Auch an diesem Wochenende gehen Menschen auf die Straße, die hinter der Coronapandemie dunkle Mächte vermuten. Sie werden belächelt, belehrt, bekämpft. Der Sozialpsychologe Roland Imhoff warnt davor, sie als Verrückte zu verharmlosen. Der Schriftsteller Anselm Neft will sich "auf Augenhöhe" mit ihnen auseinandersetzen.
Imhoff: Das ist kein Haufen Verrückter, der da durch die Gegend läuft
Roland Imhoff ist Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz, Schwerpunkt Verschwörungsmentalitäten.
"Sie haben einen Psychologen eingeladen. Jetzt bekommen Sie auch die Psychologen-Antwort. Die lautet: Es gibt kein Patentrezept, es kommt darauf an. Was mir wichtig ist: Man darf diese Verschwörungsnarrative nicht pathologisieren, man sollte nicht glauben, dass da ein Haufen Verrückter durch die Gegend läuft. Einerseits liegt es in uns allen, Verschwörungen zu vermuten und das zum Teil auch aus gutem Grund, denn immer wieder passieren in der Menschheitsgeschichte tatsächlich Verschwörungen. Zum anderen verkennt eine Pathologisierung in meinen Augen den politischen Charakter. Sie nimmt auch nicht notwendigerweise ernst, wie gefährlich solche Narrative werden können, wenn Menschen wie Anders Breivik oder der Attentäter von Hanau dann meinem, von diesem Weltbild ausgehend zur Tat schreiten zu müssen."
Anselm Neft: Auf Augenhöhe mit Verschwörungstheoretikern reden
Anselm Neft wurde nach einem Studium der Religionswissenschaft Schriftsteller und Essayist. 2019 veröffentlichte er den Roman "Die bessere Geschichte" (Rowohlt). Seine Vergangenheit als Rechter und Anhänger von Verschwörungstheorien machte er hier öffentlich.
"Man sollte zunächst den Begriff Verschwörungstheorie und die Art, wie wir darüber reden, hinterfragen und versuchen, mehr zu verstehen anstatt gleich alles wieder besser zu wissen. Denn es geht auch um eine Krise des Vertrauens und eine Krise des Wissens. Es ist einfach, sich als aufgeräumter, von nichts betroffener Wissenschaftler hinzustellen und über Verschwörungstheoretiker zu sprechen wie über Objekte oder Labormäuse, die mit einem selbst nichts zu tun haben. Sind sie ungebildet? Geltungssüchtig? Psychisch krank? Auf jeden Fall ganz anders als wir selbst.
Dabei kann man meiner Ansicht nach durch die Auseinandersetzung mit Verschwörungsgläubigen erst dann etwas lernen, wenn man sich selbst auf Augenhöhe begibt. Vermutlich lässt sich dann erkennen, wie massiv man selbst Komplexität reduziert, dass Verschwörungstheorien hilfreich sein können und dass man selbst ein gläubiger Mensch ist."