Stefan Koldehoff: Dass der schwedische Möbelkonzern IKEA auch in der DDR produzieren ließ, das ist seit längerem bekannt. Dort ließen sich zum Beispiel die furnierten Pressspanplatten für den Bücherregal-Longseller "Billy" kostengünstig herstellen. Unter welchen Bedingungen und durch wen das alles geschah, das sollte nun eine Studie herausfinden, die heute in Berlin im Bildungszentrum des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vorgestellt worden ist.
Roland Jahn war Bürgerrechtler und Oppositioneller in der DDR und ist seit März 2011 der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Mit ihm bin ich jetzt in Berlin verbunden. Guten Abend, Herr Jahn!
Roland Jahn: Schönen guten Abend.
Koldehoff: Herr Jahn, was ist denn die Kernaussage der Studie, die da heute in Ihrem Hause vorgestellt wurde?
Jahn: Ja die Kernaussage der Studie, will ich nicht sagen, des Berichtes, den Ikea vorgestellt hat, ist, dass es, ja, den Einsatz von politischen Gefangenen gab bei Produkten, die geliefert worden sind an Ikea, und dass Ikea davon gewusst hat. Das ist ein Eingeständnis, was so noch nicht da war, und das hat Ikea heute sehr bedauert.
Was Ikea nicht beantwortet hat, warum sie nicht genügend getan haben, dass das gestoppt worden ist, warum sie nicht verhindert hat, dass politische Gefangene an Produkten arbeiten, die sie hier weltweit verkaufen und davon profitieren.
Koldehoff: Der Konzern hat gesagt, wenn ich das richtig gelesen habe in den Nachrichtenagenturen, man habe zwar versucht, solche Einsätze zu verhindern, man habe aber nicht ausreichend kontrolliert. Wäre das denn möglich gewesen?
Jahn: Ja, das ist ein Eingeständnis, was deutlich sagt, wie Ikea hat das geschehen lassen, und das Entscheidende ist, dass man klar und deutlich sagen muss: Es hilft nicht, auf die Rahmenbedingungen, die politischen, historischen Rahmenbedingungen von damals zu verweisen, sondern Menschenrechte galten damals wie heute, und hier hätte Ikea damals anders handeln müssen.
Koldehoff: Wusste man eigentlich in der DDR selbst von dieser Geschäftsverbindung?
Jahn: Es gab ja immer wieder auch ehemalige Häftlinge, die freigekauft worden sind, die im Westen ankamen und dann die Teile sahen in den Möbelhäusern. Und die hatten schon in den 80er-Jahren immer wieder aufmerksam gemacht. Das waren die Informationen, die die Runde machten, aber die Opfer hatten keine Lobby, sie wurden nicht ernst genug genommen.
Und deswegen ist es ja wichtig, dass man jetzt hier auch noch mal deutlich macht: Es gilt, aufzuarbeiten. Da ist die Aufklärung die Voraussetzung. Aber Aufarbeiten heißt auch, den Opfern gerecht werden, denn es geht um Menschen und nicht um Möbel. Das muss auch IKEA wissen.
Koldehoff: Hat der Konzern denn da heute Ankündigungen gemacht, was nun als zweiter Schritt nach dem Schuldgeständnis geschehen könnte?
Jahn: Der Konzern hat von seiner Seite aus gesagt, dass er weitere Aufarbeitung unterstützen möchte, dass er eine wissenschaftliche Studie unterstützen möchte, die die Union der Opferverbände in Auftrag geben will, dass es hier dann um eine ganz unabhängige Aufarbeitung geht, die losgelöst ist auch von Ikea selbst. Und die Stiftung Aufarbeitung hat gefordert, dass es einen Fonds geben wird, und hat hier auch Ikea ermuntert, sich da mit einzugliedern und dazu beizutragen, dass vielleicht auch die Opfer ganz konkrete Hilfe bekommen.
Koldehoff: Sie haben es schon angedeutet, dass Sie bei dem, was heute vorgestellt worden ist, nicht gerne von einer Studie sprechen möchten. Es gab im Vorfeld Kritik an diesem Bericht, weil er eben nicht von unabhängigen Wissenschaftlern, sondern von einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen erstellt und von Ikea selbst beauftragt worden ist. Was wäre denn jetzt noch an weiterer unabhängiger Forschung nötig oder sinnvoll? Liegt jetzt noch nicht alles auf dem Tisch, gibt es weitere Fragen zu stellen?
Jahn: Ich kann die Kritik ja nachvollziehen, aber hier muss man auch der Sache gerecht werden. Das war ein erster schneller Bericht, der nur ein Anfang sein kann. Und ich denke, hier sollte man sich erst mal freuen, dass wirklich ein Eingeständnis da ist, dass IKEA klar und deutlich gesagt hat, es gab diese Produktion, wir wussten davon und wir haben zu wenig getan. Und da ist es unwichtig, ob da eine wissenschaftliche Studie für dieses Eingeständnis die Grundlage ist oder nicht.
Was natürlich notwendig ist, ist wirklich jetzt eine wissenschaftliche Studie, die uns mal die ganzen Rahmenbedingungen auch deutlich macht. Und es geht ja nicht nur um Ikea. Ikea ist ja die Spitze des Eisberges. Es waren ja viele Unternehmen, die in der DDR haben produzieren lassen, die Handelsbeziehungen mit dieser DDR hatten, davon profitiert haben, und all diese Unternehmen kann ich nur aufrufen, Transparenz zu schaffen, reinzuschauen in die Stasi-Akten zum Beispiel und auch in Akten im Bundesarchiv, um dort festzustellen, wie waren ihre Unternehmen darin verstrickt und was kann man tun, damit man den Opfern helfen kann.
Koldehoff: Sind denn da, zum Schluss gefragt, konkrete Namen schon bekannt, oder ist das eine begründete Vermutung, man weiß aber noch nicht genau, wer sonst verwickelt war?
Jahn: Konkrete Namen sind immer wieder von ehemaligen politischen Häftlingen genannt worden. Aber darum geht es ja gerade, diese Zeugenaussagen, die da sind, noch mal zu untermauern mit Dokumenten, noch mal zu untermauern mit anderen Zeugenaussagen - und hier wirklich wissenschaftlich-analytisch vorzugehen, damit wir dann wirklich wissen, wie es war.
Ich weiß nur, dass in unserer Behörde es mehrere Unternehmen gibt, die hier auch Antrag auf Akteneinsicht gestellt haben, die hier begonnen haben zu recherchieren. Ich hoffe, dass sie dem Beispiel von Ikea folgen und dann transparent machen, was sie erkannt haben, und vor allen Dingen, dass sie dann, wenn sie es feststellen, dass es stattgefunden hat und sie davon wussten, dass sie auch klar und deutlich sich zu ihrer Verantwortung bekennen und dann auch wirklich einen Weg finden, den Opfern gerecht zu werden.
Koldehoff: Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, über die heute vorgelegten Erkenntnisse über Ikea.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Roland Jahn war Bürgerrechtler und Oppositioneller in der DDR und ist seit März 2011 der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Mit ihm bin ich jetzt in Berlin verbunden. Guten Abend, Herr Jahn!
Roland Jahn: Schönen guten Abend.
Koldehoff: Herr Jahn, was ist denn die Kernaussage der Studie, die da heute in Ihrem Hause vorgestellt wurde?
Jahn: Ja die Kernaussage der Studie, will ich nicht sagen, des Berichtes, den Ikea vorgestellt hat, ist, dass es, ja, den Einsatz von politischen Gefangenen gab bei Produkten, die geliefert worden sind an Ikea, und dass Ikea davon gewusst hat. Das ist ein Eingeständnis, was so noch nicht da war, und das hat Ikea heute sehr bedauert.
Was Ikea nicht beantwortet hat, warum sie nicht genügend getan haben, dass das gestoppt worden ist, warum sie nicht verhindert hat, dass politische Gefangene an Produkten arbeiten, die sie hier weltweit verkaufen und davon profitieren.
Koldehoff: Der Konzern hat gesagt, wenn ich das richtig gelesen habe in den Nachrichtenagenturen, man habe zwar versucht, solche Einsätze zu verhindern, man habe aber nicht ausreichend kontrolliert. Wäre das denn möglich gewesen?
Jahn: Ja, das ist ein Eingeständnis, was deutlich sagt, wie Ikea hat das geschehen lassen, und das Entscheidende ist, dass man klar und deutlich sagen muss: Es hilft nicht, auf die Rahmenbedingungen, die politischen, historischen Rahmenbedingungen von damals zu verweisen, sondern Menschenrechte galten damals wie heute, und hier hätte Ikea damals anders handeln müssen.
Koldehoff: Wusste man eigentlich in der DDR selbst von dieser Geschäftsverbindung?
Jahn: Es gab ja immer wieder auch ehemalige Häftlinge, die freigekauft worden sind, die im Westen ankamen und dann die Teile sahen in den Möbelhäusern. Und die hatten schon in den 80er-Jahren immer wieder aufmerksam gemacht. Das waren die Informationen, die die Runde machten, aber die Opfer hatten keine Lobby, sie wurden nicht ernst genug genommen.
Und deswegen ist es ja wichtig, dass man jetzt hier auch noch mal deutlich macht: Es gilt, aufzuarbeiten. Da ist die Aufklärung die Voraussetzung. Aber Aufarbeiten heißt auch, den Opfern gerecht werden, denn es geht um Menschen und nicht um Möbel. Das muss auch IKEA wissen.
Koldehoff: Hat der Konzern denn da heute Ankündigungen gemacht, was nun als zweiter Schritt nach dem Schuldgeständnis geschehen könnte?
Jahn: Der Konzern hat von seiner Seite aus gesagt, dass er weitere Aufarbeitung unterstützen möchte, dass er eine wissenschaftliche Studie unterstützen möchte, die die Union der Opferverbände in Auftrag geben will, dass es hier dann um eine ganz unabhängige Aufarbeitung geht, die losgelöst ist auch von Ikea selbst. Und die Stiftung Aufarbeitung hat gefordert, dass es einen Fonds geben wird, und hat hier auch Ikea ermuntert, sich da mit einzugliedern und dazu beizutragen, dass vielleicht auch die Opfer ganz konkrete Hilfe bekommen.
Koldehoff: Sie haben es schon angedeutet, dass Sie bei dem, was heute vorgestellt worden ist, nicht gerne von einer Studie sprechen möchten. Es gab im Vorfeld Kritik an diesem Bericht, weil er eben nicht von unabhängigen Wissenschaftlern, sondern von einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen erstellt und von Ikea selbst beauftragt worden ist. Was wäre denn jetzt noch an weiterer unabhängiger Forschung nötig oder sinnvoll? Liegt jetzt noch nicht alles auf dem Tisch, gibt es weitere Fragen zu stellen?
Jahn: Ich kann die Kritik ja nachvollziehen, aber hier muss man auch der Sache gerecht werden. Das war ein erster schneller Bericht, der nur ein Anfang sein kann. Und ich denke, hier sollte man sich erst mal freuen, dass wirklich ein Eingeständnis da ist, dass IKEA klar und deutlich gesagt hat, es gab diese Produktion, wir wussten davon und wir haben zu wenig getan. Und da ist es unwichtig, ob da eine wissenschaftliche Studie für dieses Eingeständnis die Grundlage ist oder nicht.
Was natürlich notwendig ist, ist wirklich jetzt eine wissenschaftliche Studie, die uns mal die ganzen Rahmenbedingungen auch deutlich macht. Und es geht ja nicht nur um Ikea. Ikea ist ja die Spitze des Eisberges. Es waren ja viele Unternehmen, die in der DDR haben produzieren lassen, die Handelsbeziehungen mit dieser DDR hatten, davon profitiert haben, und all diese Unternehmen kann ich nur aufrufen, Transparenz zu schaffen, reinzuschauen in die Stasi-Akten zum Beispiel und auch in Akten im Bundesarchiv, um dort festzustellen, wie waren ihre Unternehmen darin verstrickt und was kann man tun, damit man den Opfern helfen kann.
Koldehoff: Sind denn da, zum Schluss gefragt, konkrete Namen schon bekannt, oder ist das eine begründete Vermutung, man weiß aber noch nicht genau, wer sonst verwickelt war?
Jahn: Konkrete Namen sind immer wieder von ehemaligen politischen Häftlingen genannt worden. Aber darum geht es ja gerade, diese Zeugenaussagen, die da sind, noch mal zu untermauern mit Dokumenten, noch mal zu untermauern mit anderen Zeugenaussagen - und hier wirklich wissenschaftlich-analytisch vorzugehen, damit wir dann wirklich wissen, wie es war.
Ich weiß nur, dass in unserer Behörde es mehrere Unternehmen gibt, die hier auch Antrag auf Akteneinsicht gestellt haben, die hier begonnen haben zu recherchieren. Ich hoffe, dass sie dem Beispiel von Ikea folgen und dann transparent machen, was sie erkannt haben, und vor allen Dingen, dass sie dann, wenn sie es feststellen, dass es stattgefunden hat und sie davon wussten, dass sie auch klar und deutlich sich zu ihrer Verantwortung bekennen und dann auch wirklich einen Weg finden, den Opfern gerecht zu werden.
Koldehoff: Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, über die heute vorgelegten Erkenntnisse über Ikea.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.