Tanja Runow: Er gilt als einer der Begründer des modernen Horror-Films und als Vater der Zombies. Der Regisseur George A. Romero. Ende der 60er Jahre wurde er berühmt mit seinem Film "Night of the Living Dead" oder "Nacht der lebenden Noten". Es folgten "Zombie 1" und "2", "Dawn of the Dead". Lange war er ganz allein auf diesem Spielplatz, wie er selber einmal sagte. Wie heute bekannt wurde, starb Romero gestern an den Folgen einer kurzen, schweren Krankheit im Alter von 77 Jahren in Toronto. Über ihn und sein Schaffen möchte ich jetzt sprechen mit dem Filmwissenschaftler Rolf Giesen aus Berlin - Mitarbeiter des Filmmuseums Berlin, Autor von Standardwerken zum Thema Horror, Trickfilm und Science Fiction. Und nicht zufällig Träger des Ehrentitels "Dr. Horror". Guten Tag Herr Giesen!
Rolf Giesen: Hallo! Schönen, guten Tag.
"Der Film kam wie ein Schock"
Runow: Wie bedeutend war Romero für das Genre Horrorfilm – und wie hat er das Genre geprägt?
Giesen: Nun, es ist ja fast 50 Jahre her, dass wir – dass auch ich – "Die Nacht der lebenden Toten" gesehen habe. Und ich kann Ihnen versichern, dass vor fast einem halben Jahrhundert dieser Film wie ein Schock kam. Es war ein, ja, vergleichbar mit der europäischen Neuen Welle aufgemachter Horrorfilm. Und er war quasi dokumentarisch. Er war schwarz-weiß und er wirkte auf uns wie echt. Wir waren ja damals nur Vampirfilme gewohnt, Frankensteinfilme, Gothic-Horror. Das war etwas, das ja in die aktuelle Politik hineinging, in die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Es war die Stimmung des Vietnam-Kriegs – und das wurde übertragen, ja, auf Zombies, auf lebende Tote, die durch eine Manipulation einer Sonde plötzlich aus ihren Gräbern aufstiegen und die Lebenden zu fressen begannen.
"Der Erfolg kam plötzlich"
Runow: Genau, dieses Leichenfressen, das war doch vielleicht der Schritt vom Vampir zum Zombie, oder?
Giesen: Ganz genau! Das war damals völlig ungewohnt. Es gab nur die Hammer-Filme – und das war eine neue Stufe des Horrorfilms. Das ist gemacht worden, mit etwa einem Budget von nur 114.000 Dollar, hat aber weltweit 30 Millionen Dollar eingespielt. Eine ungehörte Summe damals.
Runow: Heute ist "Night of the Living Dead" natürlich ein Kultfilm, ein Klassiker. Kam dieser Erfolg denn sofort oder war das erst mal ein Weg dahin? Sie haben grad von einem Schock gesprochen?
Giesen: Der Erfolg kam plötzlich. Es war ein kleiner Exploitation-Film, aber bis es zu einer Welle kam, dauerte es im Grunde noch 10 Jahre. Romero hat dann probiert, mit anderen Horrorfilmen zu reüssieren – das hat nicht so gut geklappt. Und er hat sich dann, Ende der 70er Jahre, mit dem Italiener Dario Argento zusammengetan, dann kam ein neuer Zombiefilm. Und das war an sich die Geburt der eigentlichen Welle der Zombiefilme.
Runow: Ja, wie konnte sich denn dieser Zombie-Hype entwickeln, den wir in den letzten Jahren so eindrucksvoll erlebt haben? Stichwort: "The Walking Dead" und so weiter?
Giesen: Ja, es hat dann natürlich… in den 70er Jahren haben dann auch größere Firmen gemerkt: da ist etwas drin. Da begann die Welle zu rollen und langsam begannen sich auch größere Filmfirmen zu interessieren. Romero hat probiert, aus diesem Kreis herauszukommen. Natürlich war er interessiert, auch andere Dinge zu machen. Aber plötzlich war er ein Typecast, er war festgelegt auf dieses Genre. 2004 hat er noch einen größeren Film gedreht: "Land of the Dead" – und hat sehr viel Geld daran verdient. Aber aus diesem Kreislauf der von ihm geschaffenen Figuren ist er zeitlebens nicht herausgekommen.
"Zombies sind ganz normale Menschen"
Runow: Wie unterscheiden sich denn die heutigen Zombies von denen damals?
Giesen: Es war lange Zeit so, dass dann plötzlich diese politische Motivation, diese gesellschaftlichen Hintergründe, die verschwanden. Die waren Romero natürlich wichtig gewesen. Und in der Welle wurde das sehr vordergründig. Es war dann… es wurde zum Splatter. Also es ging nur noch darum, dass Menschen gefressen wurden, dass Gliedmaßen abgetrennt wurden und dass ja aus der Erde sozusagen die niedersten Geschöpfe krochen. Das Interessante an den Zombies ist ja, dass es keine Aristokraten sind wie die Vampire, sondern, dass das ganz normale Menschen sind, eben Alltagsmenschen, die dann ja von den letzten Ressourcen sozusagen leben. Nämlich vom menschlichen Fleisch.
Romero wird höchstens digital auferstehen
Runow: Sehen Sie denn Zweige dieses Zombiegenres, wo dieser politische Subtext noch überlebt heute?
Giesen: Hin und wieder gibt es Parodien, zum Beispiel der englische Film "Shawn of the Dead" – der hat so etwas. Er ist sehr satirisch, aber trotzdem hat er noch diese pointierte, ironische, gesellschaftliche Ebene. Also in den Satiren hin und wieder erkenne ich es noch. Aber das Genre des Zombiefilmes ist ausgereizt, denn man kann mit diesen Figuren natürlich nicht viel zeigen. Die Figuren selber sind nur eine anonyme Masse, die heute natürlich in großen Filmen oft digital hergestellt wird.
Runow: Glauben Sie denn eigentlich, dass Romero da liegenbleibt, in seinem Grab jetzt?
Giesen: Da bin ich hundertprozentig sicher. Aber die digitale Auferstehung der Toten, die hat er ja noch erlebt – und mit digitalen Mitteln ist sicher in Zukunft einiges an Totenerweckung, zumindest auf dem Bildschirm und dem Computerscreen, möglich.
Runow: Der Filmwissenschaftler Rolf Giesen aus Berlin war das. Wir haben an den Regisseur George A. Romero erinnert, der gestern im Alter von 77 Jahren gestorben ist. Vielen Dank, Herr Giesen.
Giesen: Ich bedanke mich auch für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.