Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sagte, in Thüringen und anderen Landesverbänden übernähmen Rechtsradikale die Schaltstellen der Partei. Die AfD sei auf dem Weg zur NPD. Mützenich kritisierte außerdem die Äußerungen der AfD über einen möglichen Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge. Dies sei eine Verrohrung der Diskussion und zeige die Unmenschlichkeit, mit der auf die Flüchtlingskrise reagiert werde.
Die AfD-Vorsitzende Petry hatte argumentiert, die Polizei müsse zur Verteidigung der Grenze gegen Flüchtlinge notfalls von Schusswaffen Gebrauch machen. Dies wurde parteiübergreifend verurteilt. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Laschet warf der AfD - so wörtlich - "Verrat am Grundgesetz" vor.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits zu Jahresbeginn in einem Positionspapier gefordert, "die gefährlichen rechtsextremen Tendenzen in der Partei AfD und Gruppen wie Pegida" sollten vom Verfassungsschutz beobachtet werden. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte diese Forderung am Wochenende untermauert.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Die AfD zieht mit immer radikaleren Vorschlägen in der Flüchtlingspolitik die Aufmerksamkeit auf sich. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry hat mit einer Äußerung zum Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an der Grenze einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Vor wenigen Minuten habe ich mit Rolf Mützenich gesprochen. Er ist als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag zuständig für Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte. Ich habe ihn zuerst gefragt zum möglichen Schusswaffeneinsatz an der deutschen Grenze als Ultima Ratio gegen Flüchtlinge, wie die AfD das beschreibt. Die AfD sagt, das ist nur das, was im Gesetz steht.
Rolf Mützenich: Nein, das stimmt nicht. Das ist eine Verrohung, insbesondere eine Verrohung auch der Diskussion, und zeigt am Ende auch nur die Unmenschlichkeit, wie auf die Flüchtlingskrise und auf die Situation der Menschen reagiert wird.
Kaess: Frauke Petry hat sich gestern gerechtfertigt. Sie hat gesprochen von einer Schmutzkampagne gegen sie und die AfD. Sie sagt, es werde mit zweierlei Maß gemessen, und sie beschreibt das so: "Versuchen Sie mal, bei Ihrem nächsten Flug der Sicherheitskontrolle sich zu entziehen, oder versuchen Sie, den Sperrbereich im Flughafen unerlaubt zu betreten. Was glauben Sie, was passiert, vor allem, wenn Sie sich dann einer mehrfachen Aufforderung widersetzen, um dies zu unterlassen." - Wird hier tatsächlich mit zweierlei Maß gemessen?
Mützenich: Frau Petry muss sich der Diskussion wie andere letztlich auch stellen, und wenn sie Vergleiche anstellt, relativiert sie nicht ihre Aussage, sondern ich finde, sie verschlimmert sie noch. Praktiker, insbesondere Polizisten haben ja darauf hingewiesen, was es überhaupt bedeutet, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, und ich finde, wir sollten uns nicht auf diese Diskussion einlassen, sondern wir müssen die AfD letztlich entlarven, wie sie mit Menschen, die versuchen, Schutz zu suchen, umgehen will, und das gehört zu einer Verrohung auch der Diskussion an dieser Stelle dazu.
"Es ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes, hier genau hinzuschauen"
Kaess: Sie sagen "entlarven". Die Reaktion Ihres Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel ist: Der will die AfD vom Verfassungsschutz beobachten lassen und fordert, die AfD von Fernsehdiskussionen auszuschließen. Ist das das Ende der politischen Argumentation?
Mützenich: Ich kenne wenige, die wie Sigmar Gabriel insbesondere die politische Auseinandersetzung wollen. Wir haben aber bereits diesen Beschluss bei der Bundestagsfraktions-Klausurtagung Anfang Januar geführt und ich glaube, es ist auch richtig, dass der Verfassungsschutz seine Arbeit macht, genau hinzuschauen. Und wir wissen ja, unter anderem Herr Lucke, als er sich damals aus der AfD entfernt hat, hat ja auch darauf hingewiesen: Offensichtlich gibt es mehr und mehr Rechtsradikale, die auch Funktionärstätigkeiten nutzen, um ihr Gedankengut in die AfD zu tragen, und da ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes, hier genau hinzuschauen.
Kaess: Aber Sigmar Gabriel will ja offenbar die inhaltliche Diskussion mit der AfD nicht. Sonst würde er nicht dafür plädieren, sie von TV-Debatten auszuschließen.
Mützenich: Es geht ihm nicht grundsätzlich darum, sondern er will diese Diskussion. Er stellt sich auch der Diskussion. Aber ich finde, er tut recht daran, dass er genau hinschaut, wer zu solchen Diskussionen eingeladen wird, und insbesondere, welches Gedankengut dort auch verbreitet wird. Aber hier sind natürlich insbesondere auch diejenigen gefordert, die die AfD einladen.
Kaess: Aber da geht es ja genau darum, mit der AfD zu argumentieren. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die hat es abgelehnt, sich mit der AfD auf ein Podium zu setzen und sie argumentativ zu schlagen. Liefert denn die AfD nicht genügend Steilvorlagen, um sie tatsächlich argumentativ zu schlagen? Woher kommt diese Angst vor der AfD?
Mützenich: Es geht hier nicht um eine Angst, sondern es geht letztlich darum, mit welchen Personen man sich an einen Tisch setzt. Und wenn wir zum Beispiel sehen, dass in Thüringen oder in anderen Landesverbänden Rechtsradikale letztlich auch die Schaltstellen der AfD übernehmen, dann, finde ich, ist eine kritische Diskussion notwendig und dann müssen sich insbesondere auch die Medien fragen, welches Gedankengut wird von dieser AfD dann auch publikumswirksam verbreitet und wie geht man insbesondere damit um. Ich finde, das muss eine Diskussion insbesondere innerhalb der Medienlandschaft sein.
Vergleich mit NPD: "Die AfD ist auf dem Weg dorthin"
Kaess: Aber eine kritische Diskussion ist ja im Prinzip nur möglich, wenn man mit denen sich unterhält, die diese radikalen Forderungen auf den Tisch legen.
Mützenich: Deswegen tun wir ja auch zum Beispiel die Aussagen, die Frau Petry jetzt getan hat, darüber reden wir politisch. Wir zeigen im Grunde genommen, welches Menschenbild sich hier widerspiegelt, und deswegen führen Sie ja auch dieses Interview mit mir.
Kaess: Aber nicht mit der AfD selbst. - Die AfD ist so brandgefährlich wie die NPD oder jede andere rechtsradikale Partei. Das sagt der SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel. Ist die AfD vergleichbar mit der NPD?
Mützenich: Sie ist auf jeden Fall auf einem Weg dorthin, und das sagt nicht nur Herr Schäfer-Gümbel, sondern das sagen auch letztlich viele andere Politiker. Wir haben eine Diskussion zum Beispiel in Thüringen auch im Landtag über diese Situation gehabt und wir müssen uns auch klar darüber werden, wie gefährlich offensichtlich einzelne Personen in dieser Partei sind.
Kaess: Dennoch muss man auch sagen, Herr Mützenich, die AfD liegt bei Umfragen bei zehn Prozent, in der jüngsten sogar bei zwölf Prozent. Muss die Regierung ihre Flüchtlingspolitik ändern, wenn sie die AfD stoppen will?
Mützenich: Es geht nicht darum, die Flüchtlingspolitik wegen der AfD zu ändern, sondern letztlich wegen der Situation, und deswegen tut die Bundesregierung gut daran zu versuchen, auch im Rahmen des Dialogs insbesondere auch mit Partnern innerhalb der Europäischen Union, aber auch darüber hinaus eine gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingskrise zu geben.
Ausweisung in Drittstaaten: "Skepsis ist berechtigt"
Kaess: Sie sprechen die Partner in der Europäischen Union an. Schauen wir noch ein bisschen auf das, was am Wochenende gesagt wurde. Die AfD profitiert ja ganz offenbar von den Sorgen der Bürger angesichts der hohen Flüchtlingszahlen, und seit der Kölner Silvesternacht kommt die Sorge vor kriminellen Migranten dazu. Der Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier, der hat am Wochenende gesagt, die Regierung will straffällig gewordene Flüchtlinge in Drittstaaten abschieben, wenn eine Rückkehr in die Herkunftsländer nicht möglich ist. Warum, Herr Mützenich, sollte zum Beispiel die Türkei Kriminelle aufnehmen, die noch nicht einmal eigene Staatsbürger sind?
Mützenich: Herr Altmaier hat ja zum Beispiel darauf hingewiesen, dass es diese Gespräche gibt. Ich kenne deren Inhalte nicht. Ich weiß auch nicht, um welche Personenzahl es geht. Ihre Skepsis, die Sie tun, ist durchaus berechtigt, weil zum Beispiel das Rückübernahme-Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei zurzeit nur sehr schleppend verläuft. Aber dennoch muss auch diese Frage angesprochen werden. Wenn die Türkei dazu bereit ist, müssen wir wissen, auch zu welchen Bedingungen.
Kaess: Aber Sie sind ja selbst skeptisch. Das heißt, Sie glauben nicht, dass das Konzept von Herrn Altmaier hier aufgehen wird?
Mützenich: Ich würde einfach Herrn Altmaier raten, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die wir in der Großen Koalition beschlossen haben, insbesondere die Beschleunigung der Verfahren. Jetzt muss das Asylpaket II in Gesetzesform und in der Diskussion im Deutschen Bundestag in zwei Wochen auf den Tisch. Alles das sind Dinge, die sich insbesondere der Flüchtlingskoordinator vornehmen muss.
Kaess: Herr Mützenich, bei Herrn Altmaier kommt das Wort "sicher" überhaupt nicht mehr vor. Ist das mittlerweile irrelevant geworden?
Mützenich: Nein, überhaupt nicht, weil diese Grundlagen müssen natürlich auch gefunden werden innerhalb unserer Verfassung, aber letztlich auch, was wir innerhalb der Europäischen Union unter Menschenrechtsschutz verstanden haben, wissen wollen, und das gehört dann zu einer Diskussion mit dazu, wenn Herr Altmaier seine Pläne präsentieren will.
Kaess: Warum glauben Sie dann hat er in diesem Zusammenhang jetzt das Wort "sicher" nicht mehr in den Mund genommen?
Mützenich: Das weiß ich nicht. Das muss er selbst beantworten.
Kaess: Sagt Rolf Mützenich. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag und zuständig für Außenpolitik, Verteidigung und Menschenrechte. Danke für dieses Gespräch heute Morgen.
Mützenich: Vielen Dank, Frau Kaess, für die Einladung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.