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Rolf Mützenich (SPD)
"Aus dem Strudel zwischen USA und China heraushalten"

Unabhängig davon, wer neuer US-Präsident wird, werde sich die hegemoniale Auseinandersetzung zwischen den USA und China verstärken, sagte Rolf Mützenich (SPD) im Dlf. Deutschland sollte sich aus diesem Konflikt heraushalten und sich nicht an die Seite der USA und ihre militärische Eindämmungsstrategie stellen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
03.11.2020, Berlin: Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, äußert sich vor der Sitzung der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.
"Wir haben manchmal zu wenig deutlich gegen Trump reagiert" - Rolf Mützenich, Fraktionschef der SPD (dpa/ Bernd von Jutrczenka)
Mit Blick auf die künftige internationale Zusammenarbeit nach den Präsidentschaftschaftswahlen dürften aber nicht nur internationale Krisen im Mittelpunkt stehen. Es gebe auch internationale Themen wie die der Klimapolitik sowie der Abrüstung und Rüstungskontrolle, bei denen sich Gemeinsamkeiten finden ließen, sagte Rolf Mützenich.
Weil der US-Senat aber wohl in republikanischer Hand bleibe, werde es auch künftig schwierig, internationale Vereinbarungen mit den USA zu treffen, selbst wenn Joe Biden künftig das Land regierte.
28.07.2020,
Borkwalde, Brandenburg,
In Sprechblasen befinden sich Flaggen der USA und der Europaeischen Union. | Verwendung weltweit
Auch für die EU geht es um viel
Die Aussage, dass auch unter Biden nicht alles besser werde, wirft ein Schlaglicht auf eine fast kindische Haltung in Teilen der deutschen Politik, kommentiert Bettina Klein. In Hinblick auf eine stabile Zusammenarbeit könne die Wahl Bidens überhaupt nicht überschätzt werden.
Viel ernsthaftere Debatten müssten in militärstrategischen Fragen geführt werden, betonte der SPD-Politiker. Die Stille, die gerade in Fragen der Entspannungspolitik aktuell herrsche, sei ihm zuwider. Mützenich ist deshalb dankbar, dass Außenminister Heiko Maas das Thema auch auf die Agenda bei den Vereinten Nationen setzte.
Insgesamt gehe es um vielmehr, als nur um die Diskussionen um die Ausgaben-Quote an die NATO. Die Länder der Europäischen Union würden alleine 280 Milliarden Euro für Rüstung ausgeben. Er frage sich, warum daraus nicht "eine eigene Selbstständigkeit und eine eigene Souveränität" entstehen könne, so Mützenich.

Das Interview mit Rolf Mützenich in voller Länge
Jürgen Zurheide: Herr Mützenich, wie schauen Sie heute Morgen auf die Zahlen und auf das, was sich in Amerika abspielt?
Rolf Mützenich: Na ja, immer noch mit einer durchaus auch Hoffnung, dass der Wahlprozess nicht weiterhin gestört wird, weder politisch noch durch Gewalt. Ich glaube schon, dass sich die Institutionen, die in den jeweiligen Bundesländern, hier die Relevanz auch herstellen müssen, dass sie stark genug sind, sich gegen die Anfeindungen auch zu wehren, aber vieles wird sich in den nächsten Tagen noch zeigen.
Komische Verhaltensweise des slowenischen Präsidenten
Zurheide: Gratulieren würden Sie aber noch nicht?
Mützenich: Nein, das kann ich nicht und das wäre auch, finde ich, gegen den Konsens, der ja eben darin besteht, dass man 270 Wahlfrauen und Wahlmänner erhalten muss, um eben auch letztlich die Präsidentschaft für sich zu behaupten, aber das ist auch erst mal innenpolitischer Prozess. Gratulationen müssen dann die jeweiligen Staatsakteure untereinander tun. Es gab ja bereits jemanden in Europa, den slowenischen Präsidenten, der das sehr voreilig gemacht hat, das zeigt eine ganz komische Verhaltensweise auch hier.
Europa tut sich zu schwer, die Konsequenzen zu ziehen
Die tiefe Spaltung Amerikas, die sich in der US-Wahl wieder gezeigt habe, sei Ausdruck einer andauernden Orientierungskrise der westlichen Welt, die auch Europa auf neue Weise geteilt habe, kommentiert Stephan Detjen.
Zurheide: Denken Sie noch immer über zwei Szenarien nach, das heißt, Trump bleibt, ist das eine Szenario, und das andere Biden, oder können wir das Trump-Szenario heute Morgen schon vernachlässigen?
Mützenich: Ich glaube schon, dass man in Szenarien weiterhin denken muss, insbesondere in den Szenarien, dass offensichtlich es eine Partei, einen Präsidenten gibt, die nicht akzeptieren wollen einen Wahlprozess, die einen Angriff auch auf den Souverän, auf den Bürger, auf die Wählerinnen und Wähler tun. Und ich glaube, vor den Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren mit Trump gesammelt haben, müssen wir uns durchaus auf noch viele Situationen einstellen.
"Wir haben zu wenig deutlich gegen Trump reagiert"
Zurheide: Ab wo müsste das Ausland denn dann eingreifen, einschreiten oder sich zu Wort melden?
Mützenich: Es ist natürlich schwer, dies von außen sozusagen zu beeinflussen, ohnehin muss man sich, glaube ich, in den Bereichen der Außenpolitik mit manchem zurückhalten, aber ich glaube, dass wir auch in den vergangenen Jahren vielleicht manchmal auch zu wenig deutlich auf Trump reagiert haben. Ich kann mich an eine Situation im letzten Jahr erinnern, wo ich persönlich ihn als Rassisten bezeichnet hab, als Egomanen, und für eine solche Wortwahl auch kritisiert worden bin – es wurde an die alten Zeiten erinnert. Ich glaube, insbesondere politische Akteure müssen auch bereit sein, Differenzen auch zu sagen und letztlich eben auch Verhaltensweisen nicht zu adaptieren.
Zurheide: Auf der anderen Seite, wenn wir uns einstellen auf ein Szenario, dass Herr Biden die Wahl am Ende doch gewinnen wird, hat Herr Ischinger, der ja auch gut bekannt ist, hier und in der Außenpolitik eine wichtige Stimme in Deutschland ist, heute Morgen schon gesagt, wir Europäer müssten dann auf Biden zugehen, denn er wird es nicht leicht haben. Teilen Sie die Einschätzung?
Mützenich: Ich glaube, man muss immer dann prüfen, wie man stärker wird wieder zusammenarbeiten können, weil es gibt eben nicht nur internationale Krisen, sondern es gibt auch internationale Themen wie die der Klimapolitik, aber letztlich eben auch von Abrüstung und Rüstungskontrolle, wo kann man Gemeinsamkeiten sehen. Dennoch muss man natürlich auch feststellen, selbst für einen Präsidenten Biden, wenn es dann so kommen sollte, wird es schwer. Der Senat scheint weiterhin republikanisch, auch in republikanischer Mehrheitshand zu sein, und dies sind alles Dinge, die natürlich internationale Vereinbarungen erschweren werden. Von daher, ja, man muss miteinander reden, aber das muss dann auch auf Augenhöhe passieren.
Breiter Werkzeugkasten für die internationale Politik
Zurheide: Kommen wir auf die Sicherheitspolitik und die Militärpolitik, das ist ja ein ganz besonderes Feld auch, bei dem Sie sich immer wieder zu Wort melden. Was müsste denn passieren, Stichwort NATO, auch mit Biden oder am Ende egal mit wem, auf Deutschland kommt mehr Verantwortung zu – gehen Sie bei dem Satz noch mit?
Mützenich: Ja, natürlich, Verantwortung, aber leider haben wir ja auch in Europa und gerade auch in Deutschland eine Verknüpfung zwischen Verantwortung und alleine die Ausrichtung auf Militärausgaben. Ich finde aber, insbesondere müssen wir es verknüpfen mit außenpolitischen Schritten, mit zivilen Schritten, mit humanitären Hilfen, mit Entwicklungspolitik, also sozusagen einen breiten Werkzeugkasten für die internationale Politik. Die Messlatte, die ja eben immer wieder mit dem Zwei-Prozent-Ziel verknüpft worden ist, das ist mir sozusagen gedanklich auch viel zu eng.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Zurheide: Auf der anderen Seite, egal wie man es sieht, man kann die Debatte ja so führen, wir brauchen mehr Sicherheit. Dann kann man die Frage stellen, welche Rolle hat die Bundeswehr, in welchem Bündnis tut sie das – dann sind wir bei der Verteidigungspolitik –, und im zweiten Bein müssen wir dann die Frage stellen, wie viel Geld kostet das. Ich kann bisher nicht erkennen, dass wir da wirklich eine ernsthafte Debatte führen. Wir reden immer, wie Sie es gerade gesagt haben, über zwei Prozent, aber weniger über die Inhalte. Was würden Sie denn inhaltlich sagen, was ist die Aufgabe der Bundeswehr?
Mützenich: Ich glaube schon, dass wir im Deutschen Bundestag immer wieder deutlich gemacht haben, vielleicht bis eben auch auf die AfD, manchmal auch die Partei Die Linke, dass wir der Bundeswehr die Ausrüstung geben wollen, die sie braucht, um die Einsätze, die der Deutsche Bundestag dann auf Antrag der Bundesregierung entscheidet, auch überhaupt durchführen zu können. Das hängt mit der Ausrüstung zusammen – wir haben Rüstungsprojekte, die überhaupt nicht vorangehen, da herrscht durchaus, glaube ich, unter den demokratischen Parteien ein Konsens. Aber die Messlatte sozusagen zu nehmen dafür, das ist die alleinige Verantwortung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, das trägt nicht weiter. Sie müssen sehen, die Länder der Europäischen Union geben alleine 280 Milliarden Euro für Rüstung aus, und ich frag mich schon, warum soll daraus nicht eine eigene Selbstständigkeit und eine eigene Souveränität entstehen. Ich glaube, wir haben durchaus Anknüpfungspunkte auch in der Europäischen Union in den vergangenen Jahren gefunden, dass wir auf diesem Weg auch gehen können.
Souveränität und Selbstständigkeit stärken
Zurheide: Das heißt unterm Strich weniger NATO, mehr Europäische Union, auch Verteidigungsunion?
Mützenich: Ich würde es nicht sozusagen nur gegeneinandersetzen, aber ja, auch die europäische Außen- und Sicherheitspolitik muss sich durch Souveränität und Selbstständigkeit auszeichnen. Wir sind dort auf einem guten Weg. PESCO und andere neue institutionelle Rahmen, ein institutioneller Rahmen, der wirkt, und ich bin auch ganz zuversichtlich, dass eben immer noch die Mehrheit der europäischen Staaten das unter einem Mandat des Völkerrechts, insbesondere der Vereinten Nationen, auch wird durchführen wollen, aber gleichzeitig natürlich auch verknüpft mit Diplomatie, mit einer klugen zivilen Außenpolitik, die auch Angebote an andere Länder macht.
Zurheide: Eigentlich hätten Sie doch dann davon profitiert, wenn Herr Trump gesagt hätte, NATO ist für uns nicht mehr relevant?
Mützenich: Es geht, glaube ich, gar nicht darum, ob ich davon profitiere, sondern es geht darum, Tendenzen wahrzunehmen, und die Tendenzen in der internationalen Politik, egal wer amerikanischer Präsident wird, scheint doch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mehr unter den Vorzeichen einer hegemonialen Auseinandersetzung zwischen den USA und der Volksrepublik China zu liegen. Hier müssen wir uns aus diesem Strudel, der sich entwickeln wird, eben so gut wie möglich auch heraushalten, und das können wir eben auch nur, indem wir eigene Interessen benennen und uns sozusagen nicht an die militärische Eindämmungsstrategie der USA gegenüber China stellen.
"Von der Geißel der nuklearen Abschreckung befreien"
Zurheide: Brauchen wir in Deutschland dafür Atomwaffen, die wir nicht haben, aber dass wir zumindest beteiligt sind?
Mützenich: Nein, wir brauchen keine Atomwaffen, sondern wir müssen uns von dieser Geißel der nuklearen Abschreckung, auch des nuklearen Denkens befreien. Wir haben ja gerade erlebt, dass der amerikanische Präsident eine Atomstrategie, eine Militärstrategie aufgelegt hat, wo er bereit ist, relativ schnell in einem Konflikt auch zu Atomwaffen zu greifen, zu kleinen Atomwaffen. Ich finde, hier müssen eben auch ernsthafte Debatten geführt werden, und ich bin dankbar, dass der deutschen Außenminister immer noch mit Partnern innerhalb Europas versucht, diese Agenda bis hinein auch in die Vereinten Nationen zu tragen.
Zurheide: Was die Union übrigens heftig kritisiert, auch Ihre Aussagen zu diesem Punkt.
Mützenich: Ja, das mag sein, aber ich meine, die politische Debatte, die brauchen wir. Ich finde manchmal die Stille gerade über diese Fragen von Entspannungspolitik, von einer verlässlichen Außen- und Sicherheitspolitik, die sich eben auch dadurch bildet, dass es mehr ist als Militärausgaben, die fehlt mir, und deswegen hab ich durchaus gedacht, ich könne auch Anregungen für diese Debatte geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.