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"Rollen, die man gespielt hat, sind wie gute Freunde"

Seine Lieblingsrolle war "Pelle, der Eroberer". Auf der Berlinale ist er jetzt mit seinem neuen Film vertreten: Der 82 Jahre alte Schwede Max von Sydow agiert in "Extrem laut und unglaublich nah" als Nebendarsteller. Das hat ihm eine Oscar-Nominierung eingebracht.

Max von Sydow im Gespräch mit Sigrid Fischer | 16.02.2012
    Sigrid Fischer: Herr von Sydow, sie wurden schon in vielen Ihrer Filme mit dem Tod konfrontiert, haben Sie dabei auch etwas über das Leben gelernt?

    Max von Sydow: Das habe ich sicher. Aber es kommt immer darauf an, wonach man als Schauspieler sucht. Ich interessiere mich für Menschen, für Geschichte, für unsere Welt wie sie ist und wie sie sein sollte und so weiter. Ich weiß nicht genau, was ich gelernt habe. Es ist ein aufregender Beruf, vorausgesetzt, man bekommt viele Gelegenheiten, sich darzustellen, sonst kann man ja nicht zeigen, welche Talente man zu bieten hat. Und was das angeht, war ich Gott sei Dank immer sehr verwöhnt. Ich hatte sehr viel Glück, und konnte mit vielen großartigen Leuten zusammenarbeiten, Und bevor Sie mich das fragen: Der, der mir am meisten bedeutet hat, ist Herr Bergmann, weil wir so lange zusammen gearbeitet haben sowohl im Theater als auch beim Film. Von ihm habe ich viel gelernt. ich vermisse ihn, ich verdanke ihm auch sehr viel. Mit ihm zu arbeiten war eine einzigartige Erfahrung, er war eine große Inspiration in vielerlei Hinsicht, das kann ich gar nicht beschreiben.

    Sigrid Fischer: Sie haben schon so viele Rollen gespielt und Figuren dargestellt, kann Sie da eine überhaupt noch besonders reizen?

    von Sydow: Das ist ja das Aufregende an meinem Beruf: Mit jeder Figur, die man darstellt, findet man etwas Neues. Man spielt ja nie zwei völlig identische Personen. Deshalb darf man auch nie denken: Ach, das hab ich schon gespielt. Vielleicht trifft das auf einiges zu, aber nicht auf alles. In jeder Rolle liegt etwas ganz Persönliches. Und es geht darum, das zu finden. Was nicht immer interessant sein muss, aber sehr interessant sein kann. Es ist eben ein faszinierender Beruf. Ich habe mein Leben lang ja auch immer sehr viel am Theater gearbeitet, und das ist besonders spannend. Theater ist viel mehr noch als Film Teamwork.
    Fischer: Was gibt Ihnen dieses zweite Leben, das Sie als Schauspieler mit jeder Rolle bekommen? Dass Sie Dinge ausprobieren können, die Sie im richtigen Leben nicht leben können?

    von Sydow: Naja, es kommt darauf an, wie viel Zeit man mit der Rolle verbringt. Wenn man mit einer kleinen Rolle nur eine Woche dreht, hinterlässt sie wohl keinen nachhaltigen Eindruck. Aber wenn man die ganze Produktion über dabei ist oder man am Theater sogar Monate mit der gleichen Figur verbringt, dann kann das schon Spuren hinterlassen, die man noch lange spürt. Und in dem Fall ist es so, als ob man neue Freunde hätte. Die Rollen, die man gespielt hat, sind wie gute Freunde, und so denkt man auch an sie, das ist toll.

    Fischer: Nun ist es Ihnen, Max von Sydow, ja schon sehr früh gelungen, auch in englischsprachigen und amerikanischen Filmen besetzt zu werden. Nach der Exorzist '73 ganz regelmäßig - das ist für europäische Schauspieler nicht gerade so einfach, war das für Sie kein Problem?

    von Sydow: Mein Problem ist natürlich die Sprache. Davon hängt unter anderem ab, welche Rollen man angeboten bekommt: den Ausländer, und der ist sehr oft der Bösewicht. Er kann auch der Arzt, der Künstler oder der Wissenschaftler sein. Aber es hängt eben an der Sprache. Man muss damit arbeiten. Ich mag die englische Sprache sehr, leider werde ich sie nie ganz flüssig sprechen, dafür ist es zu spät. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann den, dass ich auf einen Knopf drücken könnte und alle Sprachen verstehen und sprechen würde. Aber das ist nur ein Wunsch.

    Fischer: In Ihrem neuen Film "Extrem Laut und unglaublich nah" spielt die Sprache ja nun keine Rolle, ihre Figur verständigt sich über geschriebene Zettel. Sie spricht nicht.

    von Sydow: Aber ich habe doch ganz viel gesagt. Nur nicht auf die übliche Weise. Das war sehr interessant, weil es anders war als sogenannte "normale" Rollen. Im Grunde gibt es keinen Unterschied zwischen jemandem, der schreibend spricht und jemandem, der ganz normal spricht. Beide sind Menschen mit den gleichen psychologischen Fähigkeiten. Mir hat das sehr gefallen.

    Fischer: Man wundert sich ja schon, wenn man den Namen Max von Sydow in der Besetzungsliste von sehr kommerziellen Filmen wir Rush Hour 3 sieht. Ist Ihnen das egal ?

    von Sydow: (lacht) Manchmal muss man eben was anderes machen . Aber ich fand es auch mal schön, Teil von etwas so Verrücktem und nicht zu Ernstem zu sein. Mir wurden zum Beispiel schon so viele Pfarrerrollen angeboten, huuuuh, und ich habe einige gespielt, da wird es irgendwann langweilig, immer dieselben Rollen angeboten zu bekommen.

    Fischer: Sie haben auch früher schon das Kommerzielle nicht gescheut und zum Beispiel in "Sag niemals nie" den Gegenspieler von James Bond alias Sean Connery gespielt.

    von Sydow: (lacht) Da hatte ich große Schwierigkeiten, denn ich habe ja mit niemandem zusammen gespielt, ich habe auch mit Mister Bond überhaupt nichts zu tun gehabt. Oder mit den anderen Bösewichten. Mein Hauptpartner war eine kleine Katze. Und die war leider nicht sehr diszipliniert. Ich musste einen langen Monolog sprechen, den hatte ich sehr gut gelernt und konnte ihn perfekt auswendig und habe ihn auch großartig gespielt gleich beim ersten Durchgang. Aber die Katze nicht. Ebenso beim zweiten und beim dritten Durchgang, und so ging das immer weiter. Ich glaube bei der 22. oder 23. Wiederholung waren endlich alle zufrieden. Außer mir, ich hatte nämlich inzwischen jede Spontaneität für meine Sätze verloren, die ich noch sprechen musste.

    Fischer: Gibt es aus Ihrem Gesamtwerk eigentlich einen Film, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

    Das kann ich schwer sagen, ich werde so oft gefragt, welcher der Ingmar-Bergmann-Filme mein liebster ist. Das kann ich nicht sagen, weil es jedes Mal sehr bedeutend war. Aber wenn ich aus allen Filmen einen auswählen sollte, wäre es vielleicht "Pelle, der Eroberer", das war eine wunderschöne Geschichte und ein schöne Figur. Eine, die in so viele verschiedene Situationen geriet, was mir die Gelegenheit gab, sehr viel von diesem armen Mann zu zeigen. Das ist eher selten. Meistens kann man nur zwei oder drei Seiten einer Hauptfigur zeigen, aber nicht so viele wie bei Pelle, der Eroberer.

    Fischer: Sie sind für ihre Rolle in "Extrem laut und unglaublich nah" für den Oscar als beste männliche Nebenrolle nominiert. Müssen Sie da jetzt nicht noch Werbung machen in Los Angeles ?
    von Sydow: Ich hab schon einige Werbung gemacht dafür, ich war bei Vorführungen des Films mit anschließender Fragestunde. Zum Beispiel hatten wir einen Abend mit "Tuesdays Children", also mit direkt Betroffenen des 11. September. Das fand ich sehr interessant.

    Fischer: Für "Pelle, der Eroberer" waren Sie schon mal nominiert, Sie sollten den Oscar endlich auch bekommen. Ist Ihnen dieser Preis überhaupt noch wichtig?

    von Sydow: Sicher ist er das. Ich finde die Nominierung besonders bewegend, denn wer nominiert einen denn? Die Kollegen, die Mitstreiter. Und die sollten doch etwas von dem verstehen, was man macht und es gut beurteilen können. Das bewegt mich sehr.