Archiv


Rollende Pilgerfahrt

Alleine auf dem Landweg nach Jerusalem pilgern - das klingt schon mühsam genug. Felix Bernhards Reise wird noch beschwerlicher, denn er ist an den Rollstuhl gebunden. Doch so würde er selbst es nie ausdrücken - er sieht sein Handicap auch als Chance und möchte das Image als hilfsbedürftiger Behinderter abstreifen.

Von Rebecca Hillauer |
    "Ich befinde mich gerade in so einer typischen Umbruchphase. Und habe meinen Job ja hinter mir gelassen. Und deswegen werde ich mal gucken, was jetzt als Nächstes kommt. Was mache ich eigentlich beruflich die nächsten 30 Jahre. Und da möchte ich in der Ruhe und im Unterwegssein eine Antwort finden - und das werde ich dann auch machen."

    Felix Bernhards Plan: Von seiner Heimatstadt Frankfurt am Main aus will er nach Jerusalem pilgern – im Rollstuhl und allein. Erste Stationen sind Österreich und der Brenner-Pass. Wenn er den überwunden hat, will Felix Bernhard in Rom zusammen mit Freunden, die Priester sind, eine Gruppenaudienz bei Papst Benedikt XVI. organisieren. Dann weiter über die Türkei, Kroatien und Albanien nach Griechenland. Mit der Fähre wird er schließlich nach Zypern und von dort nach Israel übersetzen. Wie werden die Menschen in diesen Ländern mit ihm, dem Mann im Rollstuhl, umgehen?

    "Da bin ich auch ein bisschen gespannt. Weil das sind Länder, die sind das nicht gewohnt, dass jemand im Rollstuhl unterwegs ist – und allein unterwegs ist. Da ist die Rolle von jemandem im Rollstuhl natürlich auch eine andere. Da ist es eher der Hilfsbedürftige, der gepflegt werden muss. Dieses Image finde ich ein bisschen verstaubt und auch gar nicht mehr passend. Das ist ja auch was, wofür ich stehe: für diese Veränderung. Also ich melde mich, wenn ich Hilfe brauche. Und Mitleid brauche ich auch nicht."

    So offen und offensiv Felix Bernhard mit seiner Behinderung umgeht, so offen geht er auch auf andere Menschen zu. Mit diesem Verhalten will er ihnen die Scheu und das Gefühl der Hilflosigkeit nehmen. Seiner Ansicht nach macht genau dies auch den großen Erfolg der französischen Tragikomödie "Ziemlich beste Freunde" von Eric Toledano und Olivier Nakache aus, die Anfang dieses Jahres in deutschen Kinos startete.

    "Weil man plötzlich aus der Rolle des Pflegers lachen konnte, weil mit dem kann man sich identifizieren. Der Rollstuhlfahrer ist ja eher noch dieser Schicksalsschlag und alles ganz schlimm. Seine Trauer und sein Klarkommen mit dem neuen Leben – das sind auch sehr starke Momente, aber auch leidvolle Momente. Aber der Humor kommt natürlich sehr rein durch den anderen, der diesen Perspektivwechsel vollzieht auf diesen Menschen im Rollstuhl. Er hört halt auf mit dieser komischen Mitleidsnummer, sondern behandelt ihn einfach wie einen ganzen normalen Menschen."

    Wie ein "ganz normaler Mensch" trainiert Felix Bernhard schon jetzt, um sich fit zu machen für seine Reise. Im nahen Taunus treibt er seinen Rollstuhl zweimal die Woche den Großen Feldberg hoch, rund 500 Höhenmeter. Zehn Kilo Gepäck wird er mit auf den Weg nach Jerusalem nehmen. Felix Bernhard vertraut auf die Erfahrungen, die er bei seinen früheren Pilgerreisen auf dem Jakobsweg gesammelt hat. Und er baut auf seine Flexibilität, die er sich seit jenem Motorradunfall vor 19 Jahren in seinem neuen Leben im Rollstuhl angeeignet hat.

    "Der Rollstuhl ist mein Lehrmeister ohne Wenn und Aber. Der Rollstuhl hat mir so viel gezeigt, weil er mich eben zwingt, aus der Komfortzone rauszugehen – und das fast jeden Tag. Leben im Rollstuhl, das ist unbenommen, ist härter als ein Leben ohne Rollstuhl. Aber dieser Rollstuhl bietet mir auch Chancen. Er bietet mir Chancen, eben nicht wegzulaufen – und zwar nicht weglaufen zu können. Um wachsen zu können, muss man aus der Komfortzone raus und neue Dinge ausprobieren. Und ich probiere neue Dinge aus in meinem Leben. Ich gucke: Passt das für mich."

    Über seine Erfahrungen auf dem Jakobsweg hat Felix Bernhard vor fünf Jahren ein Buch geschrieben: "Dem eigenen Leben auf der Spur". Vielleicht wird er über seine Pilgerreise nach Jerusalem wieder ein Buch schreiben und Vorträge halten. Vielleicht wird er sich auch als Coach selbstständig machen. Denn im Rollstuhl hat er eine gute Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis erworben. Felix Bernhard ist sicher, dass er auf seiner Reise Klarheit gewinnen wird über seine berufliche Zukunft. Daher hat er auch nicht gezögert, für seinen Traum von Jerusalem seinen sicheren Arbeitsplatz bei einer großen Bank aufzugeben.

    "Es geht ja vielen so, die wollen mal raus aus dieser Enge. Dieser Enge der Stadt, der Familie, der Beziehung, der Jobsituation – einfach mal raus. Endlich mal lebendig sein, auf dem Weg sein, einfach das Jetzt spüren – und nicht an unbezahlte Rechnungen denken oder an den doofen Chef oder die nervende Partnerin oder den nervenden Partner. Und so bin ich jetzt in der Situation. Ich habe einen Job hinter mir gelassen, den ich halt nicht so geliebt habe, wie ich es liebe, Bücher zu schreiben, Vorträge zu halten, Seminare zu geben. Das sind tolle Sachen, das sind Highlights. Da bin ich lebendig, dabei sprühe ich. Da freue ich mich, am Leben zu sein."

    Auf dem Weg nach Jerusalem wird Felix Bernhard wöchentlich eine Kolumne für BILD am Sonntag schreiben. Da er keine Berührungsangst kennt, hat er das Angebot der Zeitung sofort angenommen.

    "Paul McCartney hat gesagt, das Leben ist das, was passiert, während man andere Pläne macht. Das große Ziel dieser Reise ist, dass ich das machen will, was mir große Freude macht – und zwar endlich mit 100 Prozent."

    Wenn alles nach Plan läuft, will Felix Bernhard nach sechs Monaten und 5.000 Kilometern im November in Jerusalem seinen 39. Geburtstag feiern. Irgendwann wird allerdings auch für Felix Bernhard wieder Alltag sein. Dann, das ist ihm klar, wird sich erweisen, ob er die Freiheit und die Antwort, die er unterwegs gefunden hat, auch in seinem täglichen Leben umsetzen kann.

    "Wenn es nicht so klappt, wie ich denke: Zurück in einen Bürojob kann ich immer. Aber ich muss mich dann in zwanzig Jahren nicht mehr fragen, was wäre wenn? Ich habe es ausprobiert. Mein größter Wunsch ist, dass ich sage, ich bin heute ein viel glücklicherer Mensch als zu dem Zeitpunkt, als ich aufgebrochen bin."