Gerwald Herter: Susanne Klingner ist Journalistin und Autorin. Sie wurde 1978 in Berlin geboren, lebt in München, schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und die Berliner Tageszeitung, und sie glaubt daran, dass Feminismus das Leben schöner macht. Frau Klingner, guten Morgen.
Susanne Klingner: Guten Morgen!
Herter: Frau Klingner, dass sich die Frauenbewegung historische Verdienste erworben hat, ist nicht zu bestreiten. Müssen Feministinnen aber nicht längst umsteuern, weil Männer eben auch zu dieser Gesellschaft gehören und in immer größerem Maße Jungs zu den Bildungsverlierern in Deutschland gehören?
Klingner: Na so ganz umsteuern eigentlich nicht, weil ich glaube eigentlich, dass Feminismus schon immer auch sehr viel für die Männer tut. Es ist, glaube ich, vor allen Dingen ein Vermittlungsproblem, dass die das auch sehen und erkennen. Also wenn wir schauen, jetzt eine neue Generation, junge Männer, die haben ja schon ganz andere Rollenbilder, viel freiere Rollenbilder als ihre Väter und Großväter, und das ist natürlich einfach ein Nebeneffekt, nenne ich es mal, von dieser ganzen Bewegung, die einfach Rollenklischees aufgebrochen hat.
Herter: Und die haben bisher nicht gewusst, dass Feminismus für sie auch positiv ist. Warum nicht?
Klingner: Ja! Tatsächlich glaube ich, dass es da so ein bisschen ein Vermittlungsproblem gab, weil wenn man für die Emanzipation der Frau kämpft, muss man natürlich auch ganz klare Forderungen stellen, und das ist ja im letzten Jahrhundert auch sehr massiv passiert, und eben auch auf einer Ebene, damit sie überhaupt gehört wird, die sehr aggressiv war, die auch aggressiv sein musste. Und die Männer waren dann, glaube ich, tendenziell eher verschreckt und haben ein bisschen Angst bekommen, dass man ihnen was wegnimmt, anstatt man ihnen auch geschafft hat klarzumachen, was für sie drin ist, eben zum Beispiel auch eine neue Vaterrolle wahrzunehmen, oder nicht der Alleinverdiener sein zu müssen, und so weiter und so fort.
Herter: Kommen wir mal zum konkreten Anlass unseres Gespräches zurück. Seit elf Jahren gibt es diesen "Girls Day", den "Boys'Day" bundesweit erst seit heute. Das ist doch ein Versäumnis, da hat man doch was verpasst!
Klingner: Ja, wobei ich auch diesen "Boys'Day" mit zwiegespaltenen Gefühlen sehe. Einerseits finde ich natürlich extrem gut und wichtig, wenn Jungs über die Berufsauswahl, die sie sonst so treffen, hinausschauen, also auch schauen, was sehe ich vielleicht im sozialen Bereich, oder in was man so typische Frauenberufe nennt für mich. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch schwierig, Jungs jetzt so Berufe schmackhaft zu machen, die zum Beispiel viel schlechter bezahlt sind als die Berufe, die sie bisher wählen. Gerade wenn man in den Sozialbereich, oder in den Pflegebereich schaut, die sind ja einfach sehr, sehr viel schlechter bezahlt als technische Berufe, und wieso sollte ich als Junge mir jetzt irgendwie so einen Beruf wählen, wenn ich gleichzeitig auf der anderen Seite von der Gesellschaft immer noch nahegelegt bekomme, ich müsste eine Familie ernähren und ich muss der Verdiener sein, weil das ja die Politik auch unterstützt, indem sie zum Beispiel Anreize wie Ehegattensplitting und so was weiterhin aufrecht erhält. Und wenn man Mädchen und Jungs halt an diesem einen Tag mal in die, ich sage mal, entgegengesetzten Berufe schnuppern lässt, wie es ja eben so geplant ist, werden ja auch Rollenklischees wieder gefestigt. Die Mädchen gehen dann, was weiß ich, in einen coolen Technikbetrieb und sehen, hey, Astrotechnik wäre vielleicht was für mich und das ist halt was echt Tolles, und ein Junge geht halt, was weiß ich, zum Beispiel in ein Pflegeheim und stellt so fest, na ja, irgendwie alte Menschen zu pflegen, ist echt ein anstrengender Beruf und irgendwie vielleicht auch uncool. So werden Rollenklischees dann dadurch auch gefestigt, dass die Mädchenberufe eher die unschönen und wirklich schlecht bezahlten Berufe sind. Ich würde mir wünschen, dass man zu diesem "Girls Day" und dem "Boys'Day" dazu auch ein paar pädagogische Maßnahmen noch dazu anbietet, dass man wirklich über Rollen redet, darüber redet, warum sind denn die Arbeitsmärkte, die einen sehr weiblich, die anderen sehr männlich geprägt.
Herter: Rühren Ihre Vorbehalte vielleicht auch daher, dass man Frauen nicht fördern kann, ohne Männer zu benachteiligen?
Klingner: Natürlich ist es so, dass man den Jungs und Männern irgendwie was wegnehmen muss, wenn man für Mädchen und Frauen mehr Chancen eröffnen will. Gleichzeitig hält sich mein Mitleid zum Beispiel in Grenzen, wenn es jetzt auf Führungsetagen-Ebene 95 Prozent Männerquote einfach gibt. Da kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum dann der Schrecken so groß ist, wenn man sagt, 30 Prozent hätten wir jetzt gerne auch für die Frauen, weil die Qualifikation ja einfach schon da ist und einfach die gesellschaftliche Gerechtigkeit verlangen würde, dass eben auch die Etagen durchlässiger werden, wenn man erkennt - und das haben ja sehr, sehr viele Studien schon gezeigt -, dass das Geschlecht eben doch immer noch eine Rolle spielt auf dem Weg nach oben.
Herter: Das ist die Führungsetage. Aber noch mal zum Anfang unseres Gespräches zurück: Jungs sind Bildungsverlierer. Muss man hier nicht differenzieren?
Klingner: Na ja, dieses Schlagwort Bildungsverlierer ist, glaube ich, sehr attraktiv, gerade für die Medien. Ich arbeite ja selber in den Medien und kenne, wie so Schlagzeilen funktionieren. Es wird aber sehr selten ein Schritt weiter nach hinten geschaut. Dieses Phänomen des Bildungsverlierers Junge ist nicht neu, sondern der Hype darum ist neu. Eigentlich hat man schon gleich festgestellt, nachdem Jungs und Mädchen angefangen haben, miteinander zu lernen, dass die Mädchen bessere Noten bekommen. Also dieses Bildungsverlierer bezieht sich ja vor allen Dingen auch auf die Noten und man müsste eigentlich unser Schulsystem hinterfragen. Es drückt sich vor allen Dingen in den Noten aus, dass das Schulsystem besonders viel Wert legt auf brave Kinder, auf fleißige Kinder, auf zurückhaltende, angepasste Kinder, und das sind vor allen Dingen immer noch die Mädchen, weil die immer noch so erzogen werden, dass sie eher fleißig und brav und zurückhaltend sind. Gleichzeitig sieht man dann ein paar Jahre später, also spätestens im Berufsleben, dass dann diese Eigenschaften wieder hinderlich sind. Im Berufsleben habe ich wieder eher was davon, wenn ich ein bisschen lauter bin, wenn ich an mich glaube, mich verwirkliche, und da haben die Jungs ganz klar den Vorteil, weil sie eher in diese Richtung erzogen werden.
Herter: Und deswegen ist es nicht so schlimm, wenn sie in der Schule und im Kindergarten nicht ganz vorne dabei sind?
Klingner: Ich finde es schlimm für jedes einzelne Kind, was nicht vorne dabei ist. Bildungsstudien haben gezeigt, dass am allermeisten zum Beispiel die wilden Mädchen unter dem Schulsystem leiden, weil eben da die Erwartung auch ist, dass sie eigentlich brav und fleißig sind. Also es gibt so Sinus-Studien, wo dann kleinere Gruppen gemacht werden, nicht einfach nur die Jungs und die Mädchen, und im großen und ganzen verlieren da die Jungs, aber die am meisten benachteiligte Gruppe sind die wilden Mädchen. Und eigentlich sollte unser Schulsystem sich da verändern, viel individueller werden, viel mehr auf individuelle Leistungen schauen, auch vielleicht Wildheit viel mehr zulassen und eben nicht so diesen Frontalunterricht und "wer den Mund hält und sich meldet und auswendig gelernte Antworten gibt, der kriegt die guten Noten", was halt eben dann dazu führt, dass man Unterschiede zwischen den Geschlechtern sehen kann.
Herter: Das war die Autorin und Journalistin Susanne Klingner über den "Boys'Day" und die Erziehung von Mädchen und Jungen. Heute erstmals bundesweit findet der "Boys'Day" statt. Auch unsere Kollegen von "PISA plus" kümmern sich übermorgen um den "Boys'Day", "PISA plus" am Samstag von 14 bis 15 Uhr. Frau Klingner, vielen Dank für das Gespräch.
Klingner: Sehr gerne!
Susanne Klingner: Guten Morgen!
Herter: Frau Klingner, dass sich die Frauenbewegung historische Verdienste erworben hat, ist nicht zu bestreiten. Müssen Feministinnen aber nicht längst umsteuern, weil Männer eben auch zu dieser Gesellschaft gehören und in immer größerem Maße Jungs zu den Bildungsverlierern in Deutschland gehören?
Klingner: Na so ganz umsteuern eigentlich nicht, weil ich glaube eigentlich, dass Feminismus schon immer auch sehr viel für die Männer tut. Es ist, glaube ich, vor allen Dingen ein Vermittlungsproblem, dass die das auch sehen und erkennen. Also wenn wir schauen, jetzt eine neue Generation, junge Männer, die haben ja schon ganz andere Rollenbilder, viel freiere Rollenbilder als ihre Väter und Großväter, und das ist natürlich einfach ein Nebeneffekt, nenne ich es mal, von dieser ganzen Bewegung, die einfach Rollenklischees aufgebrochen hat.
Herter: Und die haben bisher nicht gewusst, dass Feminismus für sie auch positiv ist. Warum nicht?
Klingner: Ja! Tatsächlich glaube ich, dass es da so ein bisschen ein Vermittlungsproblem gab, weil wenn man für die Emanzipation der Frau kämpft, muss man natürlich auch ganz klare Forderungen stellen, und das ist ja im letzten Jahrhundert auch sehr massiv passiert, und eben auch auf einer Ebene, damit sie überhaupt gehört wird, die sehr aggressiv war, die auch aggressiv sein musste. Und die Männer waren dann, glaube ich, tendenziell eher verschreckt und haben ein bisschen Angst bekommen, dass man ihnen was wegnimmt, anstatt man ihnen auch geschafft hat klarzumachen, was für sie drin ist, eben zum Beispiel auch eine neue Vaterrolle wahrzunehmen, oder nicht der Alleinverdiener sein zu müssen, und so weiter und so fort.
Herter: Kommen wir mal zum konkreten Anlass unseres Gespräches zurück. Seit elf Jahren gibt es diesen "Girls Day", den "Boys'Day" bundesweit erst seit heute. Das ist doch ein Versäumnis, da hat man doch was verpasst!
Klingner: Ja, wobei ich auch diesen "Boys'Day" mit zwiegespaltenen Gefühlen sehe. Einerseits finde ich natürlich extrem gut und wichtig, wenn Jungs über die Berufsauswahl, die sie sonst so treffen, hinausschauen, also auch schauen, was sehe ich vielleicht im sozialen Bereich, oder in was man so typische Frauenberufe nennt für mich. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch schwierig, Jungs jetzt so Berufe schmackhaft zu machen, die zum Beispiel viel schlechter bezahlt sind als die Berufe, die sie bisher wählen. Gerade wenn man in den Sozialbereich, oder in den Pflegebereich schaut, die sind ja einfach sehr, sehr viel schlechter bezahlt als technische Berufe, und wieso sollte ich als Junge mir jetzt irgendwie so einen Beruf wählen, wenn ich gleichzeitig auf der anderen Seite von der Gesellschaft immer noch nahegelegt bekomme, ich müsste eine Familie ernähren und ich muss der Verdiener sein, weil das ja die Politik auch unterstützt, indem sie zum Beispiel Anreize wie Ehegattensplitting und so was weiterhin aufrecht erhält. Und wenn man Mädchen und Jungs halt an diesem einen Tag mal in die, ich sage mal, entgegengesetzten Berufe schnuppern lässt, wie es ja eben so geplant ist, werden ja auch Rollenklischees wieder gefestigt. Die Mädchen gehen dann, was weiß ich, in einen coolen Technikbetrieb und sehen, hey, Astrotechnik wäre vielleicht was für mich und das ist halt was echt Tolles, und ein Junge geht halt, was weiß ich, zum Beispiel in ein Pflegeheim und stellt so fest, na ja, irgendwie alte Menschen zu pflegen, ist echt ein anstrengender Beruf und irgendwie vielleicht auch uncool. So werden Rollenklischees dann dadurch auch gefestigt, dass die Mädchenberufe eher die unschönen und wirklich schlecht bezahlten Berufe sind. Ich würde mir wünschen, dass man zu diesem "Girls Day" und dem "Boys'Day" dazu auch ein paar pädagogische Maßnahmen noch dazu anbietet, dass man wirklich über Rollen redet, darüber redet, warum sind denn die Arbeitsmärkte, die einen sehr weiblich, die anderen sehr männlich geprägt.
Herter: Rühren Ihre Vorbehalte vielleicht auch daher, dass man Frauen nicht fördern kann, ohne Männer zu benachteiligen?
Klingner: Natürlich ist es so, dass man den Jungs und Männern irgendwie was wegnehmen muss, wenn man für Mädchen und Frauen mehr Chancen eröffnen will. Gleichzeitig hält sich mein Mitleid zum Beispiel in Grenzen, wenn es jetzt auf Führungsetagen-Ebene 95 Prozent Männerquote einfach gibt. Da kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum dann der Schrecken so groß ist, wenn man sagt, 30 Prozent hätten wir jetzt gerne auch für die Frauen, weil die Qualifikation ja einfach schon da ist und einfach die gesellschaftliche Gerechtigkeit verlangen würde, dass eben auch die Etagen durchlässiger werden, wenn man erkennt - und das haben ja sehr, sehr viele Studien schon gezeigt -, dass das Geschlecht eben doch immer noch eine Rolle spielt auf dem Weg nach oben.
Herter: Das ist die Führungsetage. Aber noch mal zum Anfang unseres Gespräches zurück: Jungs sind Bildungsverlierer. Muss man hier nicht differenzieren?
Klingner: Na ja, dieses Schlagwort Bildungsverlierer ist, glaube ich, sehr attraktiv, gerade für die Medien. Ich arbeite ja selber in den Medien und kenne, wie so Schlagzeilen funktionieren. Es wird aber sehr selten ein Schritt weiter nach hinten geschaut. Dieses Phänomen des Bildungsverlierers Junge ist nicht neu, sondern der Hype darum ist neu. Eigentlich hat man schon gleich festgestellt, nachdem Jungs und Mädchen angefangen haben, miteinander zu lernen, dass die Mädchen bessere Noten bekommen. Also dieses Bildungsverlierer bezieht sich ja vor allen Dingen auch auf die Noten und man müsste eigentlich unser Schulsystem hinterfragen. Es drückt sich vor allen Dingen in den Noten aus, dass das Schulsystem besonders viel Wert legt auf brave Kinder, auf fleißige Kinder, auf zurückhaltende, angepasste Kinder, und das sind vor allen Dingen immer noch die Mädchen, weil die immer noch so erzogen werden, dass sie eher fleißig und brav und zurückhaltend sind. Gleichzeitig sieht man dann ein paar Jahre später, also spätestens im Berufsleben, dass dann diese Eigenschaften wieder hinderlich sind. Im Berufsleben habe ich wieder eher was davon, wenn ich ein bisschen lauter bin, wenn ich an mich glaube, mich verwirkliche, und da haben die Jungs ganz klar den Vorteil, weil sie eher in diese Richtung erzogen werden.
Herter: Und deswegen ist es nicht so schlimm, wenn sie in der Schule und im Kindergarten nicht ganz vorne dabei sind?
Klingner: Ich finde es schlimm für jedes einzelne Kind, was nicht vorne dabei ist. Bildungsstudien haben gezeigt, dass am allermeisten zum Beispiel die wilden Mädchen unter dem Schulsystem leiden, weil eben da die Erwartung auch ist, dass sie eigentlich brav und fleißig sind. Also es gibt so Sinus-Studien, wo dann kleinere Gruppen gemacht werden, nicht einfach nur die Jungs und die Mädchen, und im großen und ganzen verlieren da die Jungs, aber die am meisten benachteiligte Gruppe sind die wilden Mädchen. Und eigentlich sollte unser Schulsystem sich da verändern, viel individueller werden, viel mehr auf individuelle Leistungen schauen, auch vielleicht Wildheit viel mehr zulassen und eben nicht so diesen Frontalunterricht und "wer den Mund hält und sich meldet und auswendig gelernte Antworten gibt, der kriegt die guten Noten", was halt eben dann dazu führt, dass man Unterschiede zwischen den Geschlechtern sehen kann.
Herter: Das war die Autorin und Journalistin Susanne Klingner über den "Boys'Day" und die Erziehung von Mädchen und Jungen. Heute erstmals bundesweit findet der "Boys'Day" statt. Auch unsere Kollegen von "PISA plus" kümmern sich übermorgen um den "Boys'Day", "PISA plus" am Samstag von 14 bis 15 Uhr. Frau Klingner, vielen Dank für das Gespräch.
Klingner: Sehr gerne!