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Rollstuhlbasketball-WM
Auf die Armkraft kommt es an

Mehr als 330 Spielerinnen und Spieler aus 18 Nationen nehmen ab Mitte August in Hamburg an der WM im Rollstuhlbasketball teil. Rund 50.000 Zuschauer werden erwartet. Diese Sportart eignet sich wie kaum eine andere für Inklusion, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung.

Von Ronny Blaschke |
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    Männer-Bundestrainer Nicolai Zeltinger tritt mit seinem Team bei der Rollstuhlbasketball-WM in Hamburg an. (Ronny Blaschke)
    Die Basketballerin Mareike Miller debütierte schon mit 14 in der Regionalliga der Frauen. Gleich im ersten Spiel zog sie sich einen Kreuzbandriss zu. Fortan musste sie im Sportunterricht zuschauen, monatelang. Sie kämpfte sich zurück – und verletzte sich wieder. Drei Kreuzbandrisse folgten. Mit 17 war Mareike Miller Sportinvalidin. Ihr wichtigster Lebensinhalt war abhanden gekommen.
    Der Sportlehrer munterte sie auf, nahm sie mit zum Rollstuhlbasketball. Sie war sofort begeistert, sagt Miller, und erschöpft: "Obwohl ich zehn Jahre Basketball gespielt habe, habe ich ungefähr zehn Minuten mithalten können. Oder so halbwegs das Gefühl gehabt, dass ich mich in diesem Rollstuhl bewegen konnte. Danach waren die Arme einfach lahm. Also das größte, was man aufarbeiten muss, egal ob man Talent hat oder nicht, und ob man es als Hobbysport oder Leistungssport betreibt, ist, dass man alles mit den Armen macht. Das heißt, es dauert so ein, zwei Jahre, bis man so die Kraft und Ausdauer aufgebaut hat, ein bisschen die Koordination gesammelt hat. Dass man halt einfach mit dem Stuhl und dem Ball gleichzeitig auch umgehen kann."
    "Was ist schon 'normal'?"
    Mareike Miller trainierte fast jeden Tag. Dribbeln, Werfen, mit dem Rollstuhl blitzschnell drehen. Die Arme wurden kräftiger, an ihren Händen wuchs Hornhaut. Sie wurde besser, von Jahr zu Jahr. 2012 gewann sie in London paralympisches Gold, als beste Werferin im Finale. 2016 in Rio reichte es für Silber. Als Teamführerin erhält sie immer wieder die gleiche Frage: Worin bestehen die Unterschiede zum "normalen" Basketball? Miller sagt: "Wir finden es auch immer sehr schwierig, wenn dann jemand vom ,normalen’ Basketball redet, weil für uns der Rollstuhlbasketball das Normale ist. Und letztendlich: wer kann schon definieren, was normal ist? Für uns ist die Normalität eben eine andere. Das Einzige ist, dass sehr viele Leute Berührungsängste vor dem Sport haben. Weil sie sich nicht vorstellen können, dass man im Rollstuhl wirklich Sport macht."
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    Spielt Rollstuhlbasketball seit sie 14 Jahre alt ist: Mareike Miller. (Ronny Blaschke)
    Im Rollstuhlbasketball können Menschen mit und ohne Behinderung im selben Team spielen. Eine Klassifizierung soll unterschiedliche Behinderungen ausgleichen. Spieler mit der höchsten Stufe wie einer Querschnittslähmung werden mit einem Punkt bewertet, Spieler ohne Behinderung mit 4,5. Insgesamt dürfen die fünf Spieler eines Teams 14 Punkte nicht überschreiten. Während der WM in Hamburg können sich nun rund 10.000 Jugendliche mit der Sportart vertraut machen. Die Organisatoren waren in 100 Schulprojekten zu Gast, sagt WM-Geschäftsführer Anthony Kahlfeldt: "Wir sind gerade dabei, mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft und der Leuphana Universität Lüneburg, da gibt es ein Projekt. Da wird geprüft, ob Rollstuhlbasketball oder überhaupt Rollstuhlsport ein Schulsportfach ist. Kann man das machen? So wie wir früher in der Schule auch Handball oder Basketball etc. ja auch hatten. Und das ist im Moment eine Testphase, ob man dieses unter dem Aspekt der Inklusion nicht kontinuierlich auch integrieren kann im Schulunterricht."
    Rollstuhlbasketball an Schulen
    Gibt es dafür ausreichend barrierefreie Hallen? Können sich Schulen Rollstühle und eine Fortbildung ihrer Sportlehrer leisten? Deutschland gehört zu den erfolgreichen und gut entwickelten Nationen im Rollstuhlbasketball. In einer Sportart, die 1946 von amerikanischen Kriegsveteranen gegründet wurde. Folgt man dem Ziel der Inklusion, so müssten behinderte und nicht behinderte Sportler in denselben Verbandsstrukturen aufgehen. Die Zusammenarbeit zwischen der Fußgänger- und Rollstuhlbasketball-Bundesliga hält sich jedoch in Grenzen.
    Und auch die Rollstuhl-Nationalteams sind nicht im Deutschen Basketball-Bund organisiert, sondern im Deutschen Behindertensportverband. Nicolai Zeltinger ist beim DBS Bundestrainer der Männer: "Wir sind eigenständig. Das ist, glaube ich, auch sehr angenehm für den Verband, weil wir schnelle Entscheidungen treffen können und schnell reagieren können. Und auch für uns selbst werben dürfen. Auf der anderen Seite sind wir kooperativer Partner mit dem Deutschen Basketball-Bund. Also dass Dirk Notwitzki hier Pate stand und Werbebotschaften gesendet hat für die Weltmeisterschaft, ist schon mal ein großes Zeichen, aber auch dass wir in den Broschüren des Deutschen Basketball-Bundes mit unterkommen. Ich glaube, ein gemeinsamer Verband, da würden wir vielleicht als kleinere Einheit eher auch ein bisschen untergehen."
    Zuschauermagnet der Paralympics
    Rollstuhlbasketball gilt als Zuschauermagnet der Paralympics. Auch deshalb gab es zaghafte Diskussionen, diesen Sport ins Schauprogramm von Olympia aufzunehmen. Beide Ereignisse, Olympia und Paralympics, werden auf absehbare Zeit nicht in Deutschland stattfinden. Die Rollstuhlbasketballer möchten ihre Sportart in Deutschland trotzdem auf ein neues Niveau heben.