Im barocken Rom bestimmten vor allem Männer, wie die Stadt aussah. Diese Sichtweise stimmt natürlich - aber sie stimmt gleichzeitig auch nicht. Denn mit der Entdeckung der Architektin Plautilla Bricci, die in dieser Epoche Rom mitgestaltete, zeigt sich, dass wir die herkömmliche Erzählung über die Architektur unserer Städte revidieren müssen.
Vielleicht ist es an der Zeit, eine Stadt nicht nur über ihre großen Hauptgebäude zu verstehen, sondern sich auch den unauffälligeren Umbauten zu widmen, dort hinzuschauen, wo man die großen Geschichten nicht vermutet. Im Falle Briccis ergeben sie sich nämlich genau dort.
Gerade ist der Roman Die Villa der Architektin von Melania G. Mazzucco auf Deutsch erschienen, der das Leben Briccis beleuchtet. Höchste Zeit, sich Rom einmal aus einer anderen Perspektive zu nähern.
Laura Helena Wurth ist Kunstkritikerin und Autorin. Sie hat Kulturwissenschaft an der Maastricht University in den Niederlanden und der Humboldt Universität zu Berlin studiert. Als freie Autorin hat sie unter anderem für FAZ, NZZ, ZEIT und Deutschlandfunk Kultur gearbeitet. Sie ist Mitherausgeberin des Kunstmagazins One to(o) many und seit Juli 2023 Redakteurin bei Deutschlandfunk Kultur.
Die Geschichte der Architektur ist eine Geschichte der Menschen. Die Bauten einer Epoche erzählen viel über ihr Selbstbild, ihre Wünsche, Hoffnungen, aber auch über ihre Bedürfnisse und die Struktur der Gesellschaft, die in ihnen lebte.
Doch damit dieses Bild komplexer und reicher wird, lohnt es sich, nicht nur die großen, staatstragenden Gebäude und ihre Erbauer zu betrachten. Sondern einen Ausflug in die Seitenstränge der Geschichte zu unternehmen.
In diese Seitenstränge haben sich oft die Geschichten der Frauen zurückgezogen. Weil sich ihre Geschichten oft nicht in den großen Erzählungen niedergeschlagen haben, wenn sie nicht besonders skandalös oder anders Aufsehen erregend waren.
In der Kunst hat man damit begonnen, den Kanon aufzufüllen durch all die Malerinnen, die es gab und die in ihrer Zeit auch durchaus erfolgreich und bekannt waren, deren Arbeit und Erfolg nur im Laufe der Zeit, im Meer der Geschichte untergegangen ist. Dabei stellt man den Kanon als Instrument der Sortierung überhaupt infrage, denn wer entscheidet, was und vor allem wer darin vorkommt und was und vor allem wer nicht? Führt man diesen Gedanken konsequent fort, macht man den Kanon als solchen vielleicht sogar obsolet.
Um etwas Ähnliches in der Architektur machen zu können, muss man allerdings erstmal einen anderen Weg finden, sich der Architektur zu nähern und darüber sprechen, was man alles als Architektur wahrnehmen möchte. Muss das immer ein Gebäude sein? Kann das auch eine Idee, ein gedanklicher Raum sein? Kann das ein nie realisierter Entwurf sein, der davon erzählt, dass die Welt immer das Potenzial in sich trägt, auch ganz anders zu sein?
Wenn man das tut, dann erweitert sich der Kanon der Architektur automatisch. Dank der kunstgeschichtlichen Forschung kann man die erste Architektin jetzt immerhin bis ins Zeitalter des Barock zurückverfolgen. Genauer gesagt ins barocke Rom. Eine Zeit, in der diese Tätigkeit bislang ausschließlich Männern zugeschrieben wurde.
Ihr Name: Plautilla Bricci.
Geboren 1616 in Rom und 1705 dort gestorben, war Architektin und Malerin und ist die einzige Frau, der man in dieser Epoche Bauwerke zuschreiben kann. Ob sie das auch zur einzigen Frau macht, die in dieser Epoche Bauwerke erdacht hat, das weiß man nicht. Ihr Name ist der einzige, den man bisher in den Unterlagen fand. Viel mehr, als ihre Lebensdaten und einige Unterschriften gibt es über sie nicht. Das Leben, das sich zwischen diesen zwei Daten aufgefächert hat, kann man nur erahnen.
In italienischsprachigen Fachkreisen kursiert der Name schon eine ganze Weile, doch langsam verbreitet sich die Kenntnis ihrer Existenz und ihr Platz in der Geschichte im Allgemeinen und in der Architekturgeschichte im Besonderen verfestigt sich.
Bricci bezeichnete sich selbst in den Arbeitsaufträgen und Rechnungen, die man zu dem einzigen von ihr erdachten und gebauten Gebäude gefunden hat, als „Architettrice”.
Ein Wort, das es weder im 17. Jahrhundert noch heute in der italienischen Sprache gibt. Sie hat sich also, weil es keine passende Bezeichnung für das, was sie war, gab, einfach selbst eine ausgedacht.
Ein Bild dieses Schriftzugs stellte die Autorin Melania Mazzucco 2019 ihrem Roman L’Architettrice voran, der dieses Jahr auf Deutsch erschienen ist. Als auf römischen Bussen mit dem Cover des Buches geworben wurde, rief das die damals gerade gewählte rechte Regierung auf den Plan, die sich darüber ereiferte, dass man jetzt auch Berufe gendern würde und sich über die Verhunzung der Sprache ärgerte. Nicht wissend, dass bereits im 17. Jahrhundert eine Frau sich selbst diese Zuschreibung gab. Sprache war also - wohl nicht weiter überraschend - schon immer wichtig, um Realität zu beschreiben und zu erschaffen.
Neben Mazzuccos Roman, der den renommierten italienischen Literaturpreis Premio Strega gewonnen und einige Aufmerksamkeit erfahren hat, gibt es auch ein wissenschaftliches Grundlagenwerk über Briccis Schaffen, dass die Kunsthistorikerin Consuelo Lollobrigida bereits 2013 verfasst hat. 2021 gab es eine große Ausstellung über Bricci in der Galleria Corsini in Rom, kuratiert vom Kunsthistoriker Yuri Primarosa, die ihren Lebensweg und ihre Arbeit beleuchtete. Primarosa arbeitet momentan an einem ausführlichen Werkverzeichnis.
Die deutsche Übersetzung des Titels der Ausstellung in der Galleria Corsini lautete: „Eine stille Revolution. Plautilla Bricci - Malerin und Architektin.” „Still” deswegen, weil sie zu ihrer Lebzeit eher im stillen Arbeiten musste, sie nicht, wie ihre männlichen Kollegen in der Kunstakademie Accademia di San Luca, laut gefeiert wurde und weil es auch danach eher still um sie wurde und ihre Existenz und ihr Wirken für Jahrhunderte in Vergessenheit gerieten. „Revolution”, weil man noch von keiner Frau gehört hatte, die während dieser Zeit als Architektin, Malerin und Dekorateurin tätig war.
Bricci war gemeinsam mit nur einer Handvoll weiterer Frauen als Malerin in der Künstlerakademie San Luca gelistet, dem Ort, an dem die Künstler des Barock stritten, lernten, Aufträge vergaben und sich organisierten, um ihren Platz in der Gesellschaft und ihr Ansehen zu stärken. Frauen hatten jedoch, obwohl sie den gleichen Mitgliedsbeitrag entrichten mussten wie Männer, kein Stimmrecht. Das, was Bricci von ihren malenden Zeitgenossinnen, wie Artemisia Gentileschi oder Lavinia Fontana, die mittlerweile ihren festen Platz in der Kunstgeschichte haben, unterscheidet, war die Tatsache, dass sie nicht nur malte, sondern ihre Tätigkeit im Verlauf ihres Lebens und ihrer Karriere auch auf das Planen und Bauen von Gebäuden ausweitete. Eine Tätigkeit, die man traditionell Männern zugeschrieben hatte und die ihr eine Einzelstellung zukommen lässt. Gerade aus der Gegenwart heraus betrachtet, macht dieses Universalinteresse ihr Leben und dessen Weg besonders interessant.
Das und die Tatsache, dass sie diesen Beruf nachweislich ausgeübt hat, ohne in einem Kloster zu leben oder verheiratet zu sein. Plautilla Bricci hat ein Leben gelebt, das der heutigen Vorstellung eines freien und selbstbestimmten Lebens zumindest nahekommt.
Man ist lange davon ausgegangen, dass Frauen während des Barock nichts mit dem Bauwesen zu tun gehabt hätten. Dass das so nicht stimmt, weiß man nicht erst seit man Plautilla Bricci entdeckt hat. Erst kürzlich, als die Archive des Baus des Petersdoms gründlich erforscht wurden, hat man herausgefunden, dass, wenn es die Lage erforderte, der Mann also starb, die Baulizenz an die Witwe, die Schwester oder die Tochter übertragen wurde. Da das Bauwesen bis heute oft tödliche Unfälle produziert, muss es relativ viele Frauen gegeben haben, die dafür gesorgt haben, dass die größte Kirche der Christenheit 1626 eingeweiht werden konnte. Sie waren, wie man verschiedensten Archivmaterialien entnehmen kann, in ganz unterschiedlichen Gewerken tätig. Einige waren für die Lieferung der Baumaterialien, also Travertin, Eisen, Glas oder Edelsteine verantwortlich, andere wiederum für das Recycling von Mosaiksteinen aus anderen, zerstörten Kapellen. Dafür mussten die Steine gesammelt und katalogisiert werden. Außerdem gab es Figuren wie Paola Blado, die eine Druckwerkstatt in der Nähe des Petersdoms unterhielt und großformatige Bücher im Auftrag der Päpste und Kardinäle druckte. Sie war zudem, selbst zu dessen Lebzeiten, Teilhaberin ihres Mannes und nicht nur Erbin von dessen Lizenz. Im Baugewerbe, aber auch in anderen Bereichen, waren also durchaus Frauen unternehmerisch tätig. Nicht ansatzweise so viele wie Männer, aber es gab sie und ihre Geschichten. Man kennt sie nur eben nicht.
Neben Plautilla Bricci waren es allerdings durchaus auch Frauen, die darüber bestimmten, wie Gebäude aussahen. Auch darüber gibt es Aufzeichnungen. Dabei handelte es sich meist um wohlhabende Frauen, die als Nonnen in Klöstern lebten und dort über die An- und Neubauten ihrer Ordensstätten bestimmen konnten. Die strenge Religiosität eröffnete so auch wieder Freiräume. Bei diesen Bauplänen ging es jedoch mehr um die Erfüllung der praktischen Belange des Ordens, als darum, künstlerische Erfüllung durch das Erdenken eines Gebäudes zu finden.
Das zu wissen, ändert etwas daran, wie man die gebaute Umwelt wahrnimmt, wenn man weiß, dass sie nicht von Männern für Männer gebaut wurde, sondern immer auch Frauen daran beteiligt waren.
Während die großen Bauherren des barocken Roms wie Bernini und Borromini die ganze Stadt veränderten und in einen Zustand brachten, der noch heute das Bild Roms prägt, ist von dem, was Bricci gebaut hat, nicht mehr viel übrig. Wenn man eine Karte nimmt und die Orte, an denen man Werke von ihr betrachten kann, markiert, kommt man auf sechs. Wovon lediglich drei Gebäude sind. An den anderen Orten kann man Gemälde, meist Altarbilder, von ihr sehen.
Doch einige ihrer Arbeiten sind auch Entwürfe und Hypothesen, Möglichkeiten, wie Rom heute aussehen könnte, wenn alles ein bisschen anders gewesen wäre. Darunter ein Entwurf für die Spanische Treppe, vor der sich heute täglich die Touristen drängen und die, bevor sie gebaut wurde, nichts weiter als ein Höhenunterschied in der Stadt war, auch „das Gestrüpp” genannt. Plautillas Entwurf wurde bekanntermaßen abgelehnt, dennoch hätte, wenn ein paar, gar nicht mal ganz so große, Entscheidungen anders getroffen worden wären, die Spanische Treppe auch von einer Frau gebaut sein können. Aber auch wenn Plautilla die Spanische Treppe nicht gebaut hat, hat sie Spuren in der Stadt hinterlassen. Deswegen ist es sinnvoll, sich vom Hauptaltar in San Luigi dei Francesi, über dem der riesige und stets gut besuchte Caravaggio hängt und über den und dessen Geschichte man hinlänglich viel weiß, abzuwenden und einen Blick in die Seitenkapellen zu wagen. Sich zu fragen, wie diese Stadt wohl noch aussehen könnte, wenn man sich für andere Pläne entschieden hätte.
In einer der Seitenkapellen in San Luigi dei Francesi, hängt nicht nur eines der Altarbilder von Plautilla Bricci, sie hat auch die Seitenkapelle, die am 25. August 1680 eingeweiht wurde, nach ihren Plänen umgebaut und den Bau beaufsichtigt. Ein Umbau war, davon geht man aus, wohl deswegen notwendig, weil die Kapelle einem neuen Schutzheiligen gewidmet wurde. Bis heute ist sie die einzige Kapelle, also der einzige kirchliche Bau, der einer Frau in dieser Zeit zugeschrieben werden kann. Ein so besonderer Fakt, dass nirgendwo in der Kirche darauf hingewiesen wird, wer für den Bau der Seitenkapelle verantwortlich ist.
Der Umbau fand in der Blütezeit des Barock statt. Einer Zeit, die einige der prunkvollsten Bauwerke und Inneneinrichtungen überhaupt hervorgebracht hat. Vor allem Macht wurde durch solche Gebäude ausgedrückt und diese wiederum verliehen ihr Nachdruck. Gerade, wenn man Gebäude als einen Stein gewordenen Ausdruck von Macht begreift, scheint es besonders wichtig zu sehen, dass durchaus auch Frauen daran beteiligt sein konnten. Dass es auch hier ein Mitspracherecht gab. Sie wurden zwar keine leuchtenden Ausnahmeerscheinungen, sie wurden nie so gefeiert, wie es ihrer Arbeit vielleicht angemessen wäre, aber es gab sie, so wie es ihre Bauwerke gibt.
Doch nicht nur das Leben von Frauen war klaren Regeln unterworfen. Das Leben aller Menschen war im Grunde von Geburt an vorgegeben. Und so wie es meistens ist, konnten wohlhabende Frauen sich eher einer ungewöhnlichen Karriere als Malerin oder Künstlerin widmen als solche, deren Familien eher geringeren sozialen Status aufwiesen.
Sozialer Aufstieg war in dieser Form der gesellschaftlichen Organisation nicht vorgesehen. Und so etwas wie Selbsterfüllung oder Selbstverwirklichung schon gar nicht; auch nicht für Männer übrigens. Keiner durfte die Macht der Herrschenden infrage stellen. Gerade einmal 16 Jahre vor Plautilla Briccis Geburt wurde der Mönch Giordano Bruno noch in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er die wahnwitzige Entdeckung machte, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht umgekehrt.
Die meisten Kinder starben, bevor sie drei Jahre alt wurden, die Gesellschaft war geprägt von Gewalt, Krankheit und einer starren Hierarchie. Das saubere Rom, das man sieht, wenn man heute durch die Via Babuino geht, in der eine Luxusboutique neben der anderen ist und die auf die Spanische Treppe zusteuert, wo Pferde schnauben und darauf warten, von Touristen gemietet zu werden, damit die sich durch die Stadt kutschiert lassen, existierte damals noch nicht. Die Via Babuino, in der Plautilla Bricci ihre ersten Lebensjahre verbrachte, war damals noch eine Straße, in der eher arme Menschen gelebt haben. Das, was heute das historische und von Touristen überlaufene Zentrum der Stadt ist, war zu Plautillas Zeiten noch keine Kulisse, sondern ein lebendiges Stadtbild, das benutzt und belebt war.
Dass Plautilla überhaupt Malerin werden konnte, ist an sich schon ungewöhnlich. Sie stammt aus keiner wohlhabenden oder angesehenen Familie, in der eine künstlerische Ausbildung eher anerkannt gewesen wäre. Ihr Vater selbst war nicht in der Künstlerakademie Accademia de San Luca, sondern verfasste Pamphlete und Theaterstücke, war Schauspieler und Maler. Er schrieb und unterhielt die Massen. Heute würde man vielleicht sagen, dass er Populärliteratur verfasste. Gleichzeitig brachte er seiner Tochter das Malerhandwerk bei. Ihr erstes Bild „Maria mit Kind“, um das ihr Vater geschickt eine etwas blumige Geschichte webte, hängt heute in einer der Zwillingskirchen Santa Maria di Montesanto an der Piazza del Popolo, von der die Via Babuino abgeht, als Altarbild. Ein kleines Schild weist auf Plautillas Autorschaft hin. Die Geschichte besagt, dass Plautilla Probleme gehabt hätte, das Gesicht der Jungfrau Maria zu beenden. Dass ihr das Licht und der Schatten einfach nicht geglückt wären und, dass sie eines Morgens aber zu dem Bild zurückgekehrt sei und es vollendet war. Perfekt erleuchtet das Licht des Heiligenscheins das Gesicht der Jungfrau mit dem Kind. Es wird davon ausgegangen, dass sie durch diese geschickt eingesetzte Geschichte einem Leben im Kloster und einer Heirat entgehen konnte. Weil sie so zum einen an die Jungfräulichkeit gebunden war, aber bereits genug Verbindung zur Mutter Gottes hatte, sodass man es nicht für unbedingt notwendig empfand, sie ins Kloster zu schicken. Auf diese Weise konnte sie ein einigermaßen freies Leben führen und entging der Gefahr eines frühen Todes durch Schwangerschaft und Geburt.
Dass sie malen, später davon leben und auch noch als Architektin wirken konnte, verdankte sie der Verbindung zu Abt Elpidio Benedetti. Benedetti war als, man könnte sagen, Agent des damaligen Kardinal Mazarin unterwegs. Er hielt Ausschau nach neuen Künstlern und organisierte deren Beauftragung. Und: Er förderte Briccis Karriere wie kein anderer. Er vermittelte Briccis Arbeit und sorgte dafür, dass sie verkauft wurde und übertrug ihr mehrere Bauprojekte. Ohne ihn, in dieser vermittelnden Rolle, hätte ihr Leben sicherlich eine andere Richtung eingeschlagen.
Mazzucco macht daraus in ihrem Roman eine glühende und des Schicksals wegen unerfüllte Liebesgeschichte, stattet Plautilla mit einem unerfüllten Kinderwunsch aus und lässt ihre Romanfigur von einem Körper sprechen, der leer sei und die sich wünscht, ein Kind würde ihn füllen. Nur, weil das damals einer Idee von Weiblichkeit entsprach, ist doch zweifelhaft, ob jemals eine Frau ihren nicht schwangeren Körper wirklich als leer empfunden hat. Es bedient auch ein trauriges Bild einer Frau, die den unerfüllten Wunsch nach einem Kind mit Arbeit überdeckt hat. Ein gängiges und allzu misogyn aufgeladenes Bild.
Vielleicht glaubte Benedetti auch einfach nur an ihr Talent, vielleicht war er ein früher Feminist, vielleicht war er das, was man heute einen „Ally”, also einen Verbündeten nennen würde. Und vielleicht wollte Plautilla kein Kind, weil sie arbeiten wollte, weil sie andere Wünsche hatte und weil sie an den vielen anderen Frauen um sie herum gesehen hatte, wie gefährlich Schwangerschaft und Geburt waren. Ihre Schwester hatte viele Kinder, mit denen sie eng zusammenlebte, vielleicht reichte ihr dieser Kontakt zu Kindern, ohne eigene haben zu müssen. Das alles sind die Dinge, die man nicht über sie wissen kann, die man vermutet, um ein Bild einer Person zu erschaffen, deren Innenleben nicht dokumentiert ist. Und das man - wenn man ehrlich ist - auch nicht nachempfinden kann.
Für Benedetti baute Bricci 1663 ihr einziges Gebäude: Il Vascello - das Schiff. Es ist ihr bekanntestes Werk und gleichzeitig auch ein Werk, in dessen Diskrepanz zwischen Entwurf und Wirklichkeit sich vielleicht auch das ganze Problem der weiblichen Bauherrschaft abbildet.
Denn ihr ursprünglicher Entwurf ist klassisch, zurückgenommen und gut durchdacht. Es ist ein Haus, in dem man gut leben und Menschen empfangen kann. Benedetti hatte sich auf dem bis dahin noch nicht weiter beachteten Hügel Gianicolo ein paar Hektar Land gekauft, auf denen er nun seinen Wohnsitz errichten wollte. Von dem Grundstück aus kann man den Petersdom sehen. Es lag nah, dass er dabei Plautilla einbezog. Sie hatte bereits seinen bisherigen Wohnsitz, in der Via Monserrato, ganz in der Nähe der Via Babuino, wo sie aufgewachsen war, nach seinen Wünschen umgebaut und die Bautätigkeiten beaufsichtigt.
Die Kunsthistorikerin Ilaria Hoppe arbeitete heraus, dass das Gebäude, das Plautilla erdachte, im Grunde eine eher klassische Villa des Seicento war, die sich gut in die bereits bestehende Villenstruktur einfügte. Auf den später entstandenen Stichen, auf denen man die fertige Villa erkennen kann, sieht man viele Einflüsse aus Frankreich und ein aufwändig dekoriertes Haus, mit einer auf die Straße reichenden Mauer, die man als exzentrisch beschreiben muss. Während der Bauphase hat Benedetti, der zu der Zeit im Auftrag von Kardinal Mazarin in Frankreich unterwegs war, immer wieder Änderungswünsche nach Rom geschickt. So wurden Plautillas ursprüngliche Pläne, die weitaus zurückgenommener waren, zugunsten aufwändiger Dekoration ausgetauscht. Schaut man sich Stiche der Villa an, sieht sie manchmal aus, wie ein entrücktes Märchenschloss: wild, naiv, verspielt. Die Villa sollte aussehen wie ein Schiff, das auf einem Felsen gestrandet ist. Heute denkt man an eine Wasserattraktion in Disneyland. Damals waren die ästhetischen Spielereien durchaus ein Ausdruck von Macht und einer gewissen Weltgewandtheit, die der Abt durch seine exaltierte Villa ausdrücken wollte. Bis zu ihrer Zerstörung wurde sie immer wieder aufgrund ihres außergewöhnlichen Erscheinungsbildes in Reiseführern erwähnt.
Kurz nach Fertigstellung der Villa verfasste Benedetti unter Pseudonym ein kleines Pamphlet zu seinem Schiff, in dem er als Architekten der Villa Plautillas jüngeren Bruder Basilio nannte. Sie wird lediglich als helfende Hand erwähnt. Man weiß nicht genau, was ihn dazu veranlasst hat. Auch hier kann man nur vermuten. Es ist aber wohl gut möglich, dass er Plautillas Namen auch deswegen verschwiegen hat, weil in dieser Zeit unter Papst Innozenz XI der Katholizismus wieder strenger ausgelegt und zudem die Künste kaum mehr gefördert wurden. In dieser Stimmung wäre so ein ausuferndes Projekt einer Frau zuzuschreiben wohl als unsittlich angesehen worden und hätte im schlechtesten Fall sogar Konsequenzen für Plautilla bedeuten können. Das wäre die freundliche Lesart. Die unfreundliche wäre, dass man ihre Autorschaft auslöschen wollte. Tatsächlich lässt sich mit absoluter Sicherheit sagen, dass es genau andersherum gewesen ist: Basilio hat Plautilla zur Seite gestanden. Die Leitung und letztendlich auch die Planung hatte sie inne. Die Rechnungen und Verträge mit Malern, Stuckateuren und Handwerkern belegen das.
Und sie hat sich selbst, obwohl sie viele Kompromisse eingehen musste, das Gebäude zugeschrieben. „Der Jurist und Archivar im Castel Sant’Angelo Carlo Cartari erwähnt in seinen Schriften außerdem“, so die Kunsthistorikerin Ilaria Hoppe, „dass er auf Wunsch von Plautilla Bricci eine lateinische Inschrift für eine Gedenktafel verfasst habe, in der sie explizit als Architektin des Baus benannt wird.“ Es gibt also eine Gedenktafel, auf der sie in Stein hat meißeln lassen, dass dieses Gebäude ihr und nur ihr Verdienst ist.
Il Vascello oder was davon übrig ist, erreicht man heute, wenn man den Gianicolo‑Hügel hinaufwandert. In direkter Nähe zur American Academy, bei der Porta San Pancrazio, dem südlichen Tor der aurelianischen Stadtmauern. Die Villa liegt neben einer stark befahrenen Straße, die einem den Staub in die Augen treibt, wenn man auf dem sehr kleinen, dicht beparkten Bürgersteig ein Klingelschild sucht. Auf der anderen Seite ist ein großer Park, in dem Menschen joggen oder ihren Hund ausführen oder beim Joggen den Hund ausführen.
Auf einer der Klingeln steht „Calvin Klein”. Das Modeunternehmen unterhält dort heute ein Büro. Aus dem Grundstück, auf dem das Schiff stand, sind heute zwei geworden. Der andere Teil des Grundstücks beherbergt seit 1983 die römische Abteilung der Freimaurer. Betritt man die Terrasse, hat man einen makellosen Blick auf den Petersdom. Auf dem Grundstück steht ein Baum, der vielleicht seit Plautillas Zeit dort steht, wenn man alten Zeichnungen vertraut. Als sie auf ihn geblickt hat, muss er noch um einiges kleiner gewesen sein.
Mehr als die Mauer, an der man den früheren Charakter der Villa ablesen kann, ist seit 1849 nicht mehr übrig. 1849 als es eine sehr kurze Phase einer römischen demokratischen Republik gab, fiel Frankreichs Armee in Rom ein und stellte den Kirchenstaat wieder her. Il Vascello war der letzte Ort, der der Invasion noch ein paar Tage standhielt, und wurde so zum Symbol der Verteidigung der römischen Republik gegen den Kirchenstaat.
Übrig geblieben ist lediglich eben jenes Stück Mauer, das man heute noch von außen bewundern kann. Dennoch erahnt man die Größe und die exaltierte Herrschaftlichkeit, die das Haus dahinter gehabt haben muss.
Man kann durch Rom gehen, ohne den Namen Plautilla Bricci jemals gehört zu haben oder ihm zu begegnen. Aber zu wissen, dass sie in dem Rahmen, in dem sie gewirkt hat, ein ganzes Künstlerleben bestritten hat, ist mindestens bemerkenswert und verändert im Verlauf vielleicht den Blick auf die Architektur als eine nach wie vor von Männern dominierte Profession.
Von weiblicher Architektur zu sprechen, wenn man sich Briccis Werk ansieht, ist sicherlich zweifelhaft. Und ob man überhaupt von einer weiblichen Architektur sprechen kann, sei dahingestellt. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass Bricci gar nicht die Möglichkeit hatte, soviel zu bauen, als dass man von einem eigenen Stil sprechen könnte. Es ist eher eine Architektur, die unter massiven Einschränkungen entsteht und von unheimlicher Kompromissbereitschaft erzählt, die sich an die Gegebenheiten anpasst. Das ist es, was Architektur von Frauen eint. Es ist den erschwerten Entstehungsbedingungen dieser Architektur geschuldet, nicht der Tatsache, dass es Frauen waren, die sie erdachten.
Und so ist Plautilla Bricci keine leuchtende Ausnahme, keine der skandalösen oder revolutionären Geschichten, die gern über sogenannte Frauenschicksale erzählt werden. Ihre Geschichte wäre fast vergessen worden. Gerade weil sie unauffällig agierte, weil sie keine Skandale produzierte, konnte sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen. Briccis Geschichte ist die Geschichte einer Frau, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten - und dieser Rahmen war sehr eng gesteckt - getan hat, was sie konnte, um das zu tun, was sie wollte.
Man sieht daran: Es gab sie, die Frauen. Und wenn es Plautilla Bricci gab, dann darf gewiss unterstellt werden, dass es noch andere gegeben hat, die zumindest davon geträumt haben, das zu tun, was sie getan hat. Womöglich ist deren Motivation und Talent nicht sichtbar geworden und musste sich andere, unauffälligere Wege suchen. Deswegen bedarf es, wenn man sich die Geschichte der Architektur anschaut, anderer Bewertungsmechanismen. Denn wo fängt jemand an, einen Lebensraum zu gestalten und wo ist es reine Dekoration? Die Grenzen sind fließend, weswegen in den Kanon der Architekturgeschichte vielleicht noch viel mehr gehört als das, was bislang seinen Weg hineingefunden hat. Und wer weiß, wessen Lebenswege und Geschichten man dann noch erfährt, wenn man beginnt, mit einem anderen Fokus zu suchen.
Wenn man nämlich davon ausgeht, dass diese gebaute Welt eben nicht immer nur von Männern für Männer gebaut wurde, sondern immer auch aktiv von Frauen gestaltet wurde, dann kann man eben auch anders auf die Zukunft blicken. Heute steht die Baubranche vor einer ihrer größten Herausforderungen und Transformationen. Sie muss klimafreundlicher bauen. Es muss mehr im Bestand gebaut werden, Städte müssen nachverdichtet werden, es müssen Rohstoffe eingespart werden. Bauen heißt in Zukunft vor allem: Umbauen. Die Zeit der großen Architekturen, die Ausdruck von Macht waren, sollte eigentlich vorbei sein. Um dieses Umdenken schneller voranzubringen, sollte man den Begriff dessen, was Architektur ist, erweitern und sich anschauen, wie schon immer unter großen Einschränkungen gebaut wurde. Indem Figuren wie Plautilla Bricci in den Kanon eingehen, gibt man auch denjenigen, die nicht viel und nicht ausufernd bauen konnten, eine Bühne und erkennt ihr Werk an.
Die Anerkennung eines Lebens wie das von Plautilla Bricci ist aber auch das Anerkennen davon, dass es - auch damals - ganz unterschiedliche und individuelle Biografien von Frauen gab. Dass der eine Faktor, nämlich Frausein, nicht ausreicht, um sich ein Bild von einem ganzen Leben machen zu können. Nur, weil es Einschränkungen gab, die alle Frauen betrafen, konnte sich ihre individuelle Ausgestaltung doch drastisch unterscheiden. Erkennt man diese Tatsache an, dann bekommt man einen anderen Blick auf die Gegenwart und somit auch auf die Zukunft. Der Menschen und des Bauens.
Diese Recherche wurde durch das Casa di Goethe-Stipendium der Karin und Uwe Hollweg Stiftung und den AsKI gefördert.