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Rom des Ostens

Ein neues, ein zweites Rom könnte derzeit entstehen. Das zumindest behaupten Archäologen und Denkmalschützer aus Sofia. Die graben in der bulgarischen Hauptstadt gerade Überreste aus der Zeit der römischen Eroberung aus. Das kurbelt den Tourismus an, gibt der Stadt aber auch einen bislang wenig beachteten Teil ihrer Geschichte zurück.

Von Simone Boecker |
    Eine Unterführung im Herzen Sofias. Zwischen dem Präsidentenpalast und dem Ministerrat geht es ein paar Treppen hinab in die Vergangenheit. Nadeschda Kirova ist Archäologin und arbeitet bei der Stadt Sofia. Sie zeigt auf eine rotbraune Ziegelsteinmauer mit einem breiten Durchgang, rechts und links von Torbögen gesäumt. Das war das Osttor der alten römischen Stadtfestung. Damals hieß Sofia noch Serdica.

    "Das Tor stammt aus dem 2. Jh. Das ist noch der Originalboden des Tors. Die Stadt hatte erst keine Stadtmauer. Aber es gab viele Überfälle von den Barbaren-Stämmen und deswegen brauchte man eine Mauer, um sich vor den Stämmen zu schützen, die aus dem Norden kamen. "

    Serdica war ein bedeutendes militärisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des römischen Reiches. Ursprünglich hatte der thrakische Stamm der Serden die Siedlung im 5. Jahrhundert v.Chr. gegründet. Damit gehört Sofia zu den ältesten Städten Europas. Vier Jahrhunderte später kamen die Römer und bauten Serdica zur Festung aus.

    "Der Herrscher Konstantin der Große sagte, Serdica ist mein zweites Rom. Er versuchte, die Hauptstadt von Rom nach Serdica zu verlegen. Aber dann hat er sich für Konstantinopel entschieden. Deswegen wurde Serdica nicht das zweite Rom, aber fast wäre es so gekommen. "

    Nadeschda Kirova breitet eine Karte aus. Darauf ist der Verlauf der Festungsmauer eingezeichnet - das Herzstück von Serdica und auch vom heutigen Zentrum. In diesen Grenzen befindet sich das archäologische Reservat, wie es die Archäologen nennen: auf dieser überschaubaren Fläche von wenigen Hektar ist bis heute eine Vielzahl bedeutender archäologischer Bauwerke und Überreste aus den verschiedenen Epochen der Stadt erhalten. Dazu gehört die Basilika Sveta Sofia aus dem 4. Jahrhundert mit ihren Fresken und kunstvoll gefertigten Bodenmosaiken. Im Souterrain der Kirche liegt die größte Nekropole von Serdica. Über 100 Grabmäler werden zurzeit restauriert. Doch vieles liegt noch immer unter der Erde. Wie die mittelalterliche Kirche Sveti Spas, die unter einem Bankgebäude gefunden wurde.

    "Die Ausgrabungen sind wichtig für die Archäologen, um zu verstehen, wie die Stadt funktioniert hat. Nicht nur innerhalb der Festung, auch außerhalb. Dort gab es Bäder, Gebäude, das Amphitheater, eine Nekropolis, weil der Platz in der Stadt fehlte. Es gibt jedes Mal Überraschungen bei den Ausgrabungen. Wie bei den Bädern außerhalb der Stadtmauer nördlich. Sie zeigen uns, dass dieser Teil außerhalb der Stadtmauern voller Leben war. Es gab viele Gebäude und normales Alltagsleben. Die Bürger gingen zum Bad, es war nicht groß, aber ein kleines Bad für das Viertel. "

    Die Geschichte der Stadt sichtbar machen - das ist das Ziel eines Projektes der Gemeinde Sofia namens "Das Herz der Stadt". Die wichtigsten archäologischen Orte sollen zu Ende restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

    "Wir planen einen Gang unter der Erde, so dass man hier entlang laufen und sich vorstellen kann, in der römischen Zeit zu leben. Die Straße soll die beiden ehemaligen Haupttore miteinander verbinden. Wie früher zur römischen Zeit. Das war hier die Hauptstraße der Stadt. "

    Am Ende der geplanten Passage liegt das Doch vom Westtor - oder vielmehr das, was von ihm ist wenig übrig ist. Ein Das Gelände ist überwuchert mit Brombeerhecken, übersäht mit Müll. Nur kleine Erhebungen im Boden lassen erahnen, dass sich darunter noch etwas anderes befindet. Das Problem ist, wie so oft: Es gibt kaum finanzielle Mittel. Ca. 7 Millionen Euro benötigt die Stadt für die Realisierung des ehrgeizigen Projekts. Das nötige Geld aufzutreiben - das hat sich Boris Tchilev zur Aufgabe gemacht. Er ist Direktor der Abteilung "Altes Sofia", eine Behörde der Stadtgemeinde.

    "Das Einzigartige hier in Sofia ist, dass das historische Zentrum zusammenfällt mit dem heutigen Zentrum der Stadt. Einzigartig ist auch zum Beispiel nach den bisherigen Untersuchungen das Amphitheater, das leider im Moment noch nicht gründlich erforscht ist. Es ist nur 10 Meter kleiner als das römische Kolosseum. Aber im Moment gibt es keine nationale Strategie zur Erhaltung des Kulturerbes. Sofia hat ein großes Potential, aber bislang wird es nicht genutzt. Leider. "

    Die große Hoffnung von Tchilev sind jetzt die EU-Programme, für die er sich mit dem Archäologie-Projekt bewirbt. Sein Vorbild sind Länder wie Italien oder Griechenland, die ihre Kulturgüter einem Millionenpublikum präsentieren. Boris Tchilev ist optimistisch. Sein Traum: dass der archäologische Gesamtkomplex in Sofia eines Tages zum UNESCO Weltkulturerbe gehört - und damit schließlich auch Touristen aus aller Welt anlockt.