Archiv

Rom entdecken
Das süße Leben

In Maike Albaths Stadt-Porträt "Rom, Träume" spielen Zeitzeugen wie Masolino D'Amico eine große Rolle. Dem Leser öffnen sich so verschlossene Türen und private Archive, und Erinnerungen vervollständigen das Epochenbild der Stadt.

Von Claudia Cosmo | 10.01.2014
    Die berühmte Via Veneto in Rom schreitet man entweder hinauf oder hinab. Am unteren Ende wartet die pulsierende Piazza Barberini auf den Spaziergänger. Weiter oben gelangt man zum antiken Stadttor, der Porta Pinciana. Innerhalb dieses Radius befinden sich entlang der Via Veneto neben Hotels, auch Cafés und Bars, die heute meist von Touristen frequentiert werden. Ende der 1940er-Jahre bis in die 1960er-Jahre hingegen trafen sich dort vornehmlich Schriftsteller, Schauspieler, Drehbuchautoren, Filmemacher, Intellektuelle und Journalisten. Die Via Veneto war ein beliebter Treffpunkt, der auch zu den Schauplätzen in Federico Fellinis berühmtem Film "La dolce vita" zählt.
    Die Zeit des "Dolce Vita"
    Das Rom der Nachkriegsjahre war durchmischt von Einheimischen und Zugereisten, von Heimkehrern und Neuankömmlingen. Eine gewisse Aufbruchsstimmung lag in der Luft. Das römische Filmstudio "Cinecittà" wurde sowohl für amerikanische, als auch für italienische Filmproduktionen genutzt. Die Sehnsucht nach neuen literarischen und filmischen Ausdrucksformen, mit denen man die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs verarbeiten und den Status quo der demografisch und wirtschaftlich aufstrebenden italienischen Gesellschaft unter die Lupe nehmen konnte, war groß. Es war die Zeit der "Dolce Vita"; die 1950er- und 1960er-Jahre mit Rom als kulturellem Zentrum. Dort lebten und arbeiteten auch die Schriftsteller Carlo Emilio Gadda, Elsa Morante, Alberto Moravia, Pier Paolo Pasolini und Ennio Flaiano, die Maike Albath in ihrem Buch "Rom, Träume" stellvertretend für diese Ära vorstellt
    "Das ganz besondere an der der Gruppe, mit der ich mich beschäftigt habe, ist, dass sie sich eigentlich täglich getroffen haben. Das war nicht wie in Deutschland eine Schriftstellergruppe, die sich einmal im Jahr verabredet wie bei der Gruppe 47, sondern die sind jeden Tag gemeinsam essen gegangen, die haben sich abends noch einmal gesehen, sie haben Zeitschriften gemacht, sie haben in Theaterstücken miteinander zu tun. Flaiano war ja auch ein Dramatiker, Fellini hat seine großen Filme gedreht, also sie hatten sehr viel miteinander zu tun. Und daraus ist auch ihre künstlerische, ihre literarische Arbeit erwachsen. Das spielte sich ab auf der Straße, auf der Piazza del Popolo, auf der Via Veneto. Flaiano schildert das in seinen Feuilletons, ist aber Ende der 50er schon ernüchtert und das fließt in den Film von Fellini "La dolce vita' mit ein."
    Anspielung auf Rolf Brinkmann
    Als Fellinis Film 1960 in die Kinos kommt, erfährt die Hochzeit des sogenannten süßen Lebens bereits eine Dekadenz: Massenkonsum anstatt Individualität, tägliche TV-Berieselung und die Etablierung eines vermeintlichen modernen Lebensstils anstatt Wahrung einer kulturellen Identität. Bis zu diesem Punkt begleitet Maike Albath die fünf Schriftsteller und spielt mit ihrem Buchtitel "Rom,Träume" auf Rolf Dieter Brinkmanns "Rom, Blicke" an. Albaths Band ist auf seine Art und Weise auch eine ganz besondere Materialsammlung.
    "Es ist eine augenzwinkernde Anspielung auf Brinkmann, allerdings sind die Träume dann eher verbunden mit meinen Protagonisten, denn die Schriftsteller in Rom hatten ihre eigenen Vorstellungen von ihrer Stadt, das fließt in ihre Werke mit ein. Wenn wir uns vor Augen führen, wie unglaublich hoch das Niveau war. Carlo Emilio Gadda. Der große Schriftsteller, der seine Werke in den 30er-/40er-Jahren geschrieben hat, aber erst in den 50er und 60ern veröffentlicht hat, er war der Vertreter eine großen, klassischen Moderne, die damals in Italien mit einer unglaublichen Wucht aufbrach. Und dann auch Moravia, der mehr der Impresario war, dann Elsa Morante, mit ihren großen Werken. Pasolini nicht zu vergessen, der ja auch ein Niveau erlangt hat, das ihn in der ganzen Welt bekannt gemacht hat."
    Pasolini: Entdecker der Vorstädte
    Ohne Alberto Moravia, der neben seinem schriftstellerischen Erfolg auch journalistisch tätig war, hätte Pier Paolo Pasolini vielleicht nie Weltruhm erlangt. Als Mitherausgeber der römischen Zeitschrift "Nuovi Argomenti" veröffentlichte Moravia 1955 das Gedicht "Gramscis Asche" und machte auf das schriftstellerische Talent des noch unbekannten Pasolini aufmerksam. Letzterer hätte sich ohne seine Aufträge als Drehbuchautor in Rom erst gar nicht etablieren können.
    In ihrem stimmungsvollen und mit vielen Details gespickten Buch "Rom, Träume“ beschreibt Maike Albath viele solcher Begebenheiten und zeigt, wie eng manch schriftstellerischer Werdegang mit dem eines anderen Kollegen verknüpft sein konnte. Obwohl es inhaltlich nicht unbedingt Übereinstimmungen geben musste. Denn jeder Einzelne erzählte sein eigenes Italien und auch seine eigene Geschichte Roms.
    "Pasolini ist der große Entdecker der Vorstädte, der Borgate und er hat begriffen, dass sich da auch ein ganz zentraler Teil Italiens verbarg, nämlich das ganz Vitale, das Urtümliche, die bäuerlichen Kulturen und die Unterschicht. Und das hat er als was gesehen, was die Schriftsteller, die Intellektuellen auch häufig ausgeblendet haben, was sonst keine Rolle spielte. Und Carlo Emilio Gadda, der ja der älteste ist unter meinen Helden, 1893 in Mailand geboren, er ist ein Sprachvielfraß. Er hat einmal schön in einem Brief gesagt, dass er alle, alle Sprachen will, die des Polizisten, die Bürokratensprache, die Sprache der Soldaten, all das fließt ein in seine grandiosen Bilder. Und die 'Grässliche Bescherung in der Via Merulana' ist in Italien 1957 erschienen. Es ist ein sehr labyrinthisches, ornamentales, überberstendes Werk. Es ist aber gleichzeitig eine Detektivgeschichte! Und er schildert gleichzeitig aber, was mit Rom auch passiert ist. Es ist das schönste Romporträt bis heute, das ich kenne. Er ist jemand, der auch sehr begriffen hat, was mit dieser Stadt passierte, dass es zersplitterte, dass es zu einem Mosaik wurde, in dem auch Zugezogene begannen, eine große Rolle zu spielen."
    Dazu zählte auch der Schriftsteller, Journalist, Dramatiker und Drehbuchautor Ennio Flaiano, der 1922, einen Tag vor dem Marsch auf Rom, in der Metropole ankam. Damals war Flaiano erst zwölf Jahre alt und diente später im Abessinien-Feldzug. Nach seiner Rückkehr begann Flaianos Karriere als Feuilletonist. Er war ein Flaneur, der in den römischen Cafés saß und in den 1940er-Jahren zum ersten Mal für das Kino arbeitete. 1947 gewann er den renommierten und damals ins Leben gerufenen Literaturpreis "Premio Strega" und setzte sich mit seinem ersten und einzigen Roman "Tempo di uccidere- Alles hat seine Zeit" gegen seinen Mitbewerber Alberto Moravia durch.
    "Das erzählt Masolino D'Amico wunderbar. Er ist im Grunde genommen der Ziehsohn von Ennio Flaiano, der einen grandiosen Anti-Kriegsroman geschrieben hat, der abgerechnet hat mit dem Krieg Italiens in Abessinien. Und der gleichzeitig der Drehbuchautor von Fellini war. Und Masolino erzählt, dass seine Generation, also die mittlerweile 70 Jährigen, große Sehnsucht haben nach dieser Zeit."
    Zeitzeugen spielen große Rolle
    In Maike Albaths spannendem literarisch-filmischen Stadt-Porträt "Rom, Träume" spielen Zeitzeugen wie Masolino D'Amico eine große Rolle. So öffnen sich dem Leser verschlossene Türen und private Archive, und Erinnerungen vervollständigen das Epochenbild einer Stadt, durch die Maike Albath erzählend führt.
    "Ich finde es gerade auch so interessant, Schriftsteller und Regisseure in einem Zeitgefecht zu porträtieren und durchaus auch zu erzählen, wie sie gelebt haben. Dass Gadda mit seiner Mutter bis zu deren Tod zusammengelebt hat, Pasolini auch bis zu seinem eigenen Tod. Ich möchte dann auch wissen, wer ihre Wäsche gewaschen hat, wie ihr Alltag war, ob sie viel Geld verdient haben oder, ob sie finanzielle Schwierigkeiten haben. Das macht für mich ihre Bücher erst zugänglich. Franca Valeri war auch eine wichtige Figur. Das ist eine Schauspielerin des komischen Fachs, die noch alle kannte und für mich war es sehr berührend und mitreißend, diese Menschen zu treffen und von ihnen etwas mit einfangen zu können, was für diese Zeit wesentlich war. Die Atmosphäre hat sich aus den Erzählungen aus den 40er-, 50er-, 60er-Jahren dann doch sehr stark vermittelt."
    Historischer Stadtrundgang
    Nicht nur die Zeitzeugen machen Maike Albaths Buch "Rom,Träume" zu einem sehr konkreten Leseerlebnis. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin stellt ihre fünf Protagonisten auch in Bezug zur Architektur der Stadt Rom. So ermöglicht beispielsweise das Porträt der Schriftstellerin Elsa Morante Einblicke in das ärmliche Arbeiterviertel Testaccio, in dem Morante aufwuchs, was in hartem Kontrast zu dem sozialen Umfeld ihres späteren Mannes, Alberto Moravia, steht, der in einem der wohlhabenden Viertel Roms lebte.
    Letztendlich ist "Rom, Träume" auch ein historischer Stadtrundgang, eine Reise durch urbane Geschichte, wobei man gerade noch von hoch oben die Stadt überfliegt, um im nächsten Moment in die Wohnzimmer aus der Zeit der "Dolce Vita" hinein zu gleiten.
    Maike Albath: "Rom, Träume. Moravia, Pasolini, Gadda und die Zeit der Dolce Vita."
    Berenberg Verlag, 2013, 304 Seiten, 25 Euro.