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Rom nach Raffael

Die Pierpont Morgan Library in New York ist das Paradies für jeden Liebhaber von alten Drucken und Zeichnungen. Um 1890 begann der Bankier John Pierpont Morgan dort eine Sammlung zusammenzutragen, die bis heute einzigartig ist. Längst ein Museum, finden in der Morgan Library auch immer wieder ganz hervorragende Kunstausstellungen statt. In diesem Frühjahr sind Meisterzeichner des 16. Jahrhunderts zu sehen in einer Ausstellung, die den Einfluss von Raffael auf die Kunst der Spätrenaissance in Rom untersucht.

Von Sacha Verna |
    Als Papst Julius II 1503 in den Vatikan einzog, hatte er Weltliches mit wahrhaft göttlichen Ausmaßen vor: Er wollte das heruntergekommene Rom in nie dagewesenem Glanz auferstehen lassen. Zu diesem Zweck bestellte er zunächst die beiden zweifellos bedeutendsten Künstler jener Epoche in die Ewige Stadt - Raffael und Michelangelo. Raffael sollte die päpstlichen Privatgemächer um eine Serie von Fresken bereichern, und Michelangelo erhielt den Auftrag, sowohl Julius' Grabmal im Petersdom zu errichten, als auch die Sixtinische Kapelle zu bemalen.

    Damit begann ein Jahrhundert der künstlerischen Blüte an den Ufern des Tibers. Weder die Plünderung Roms 1527 durch die spanischen Söldnertruppen Karls V, noch später die Spannungen um Reformation und Gegenreformation verhinderten, dass Rom zwischen 1500 und 1600 zur unbestrittenen kulturellen Hauptstadt Europas avancierte.

    Die Ausstellung "Rome After Raphael" ist eine der ersten ihrer Art. Es sind darin ausschließlich Meisterzeichnungen aus dieser römischen Renaissance versammelt. Die Mehrheit davon stammt aus den exquisiten Beständen der Pierpont Morgan Library: Zu sehen sind Blätter von Raffael und Michelangelo, aber auch von Giulio Romano und Parmigianino, von den Gebrüdern Zuccaro, von Annibale, Agostino und Ludovico Carracci. Die filigrane Pracht der rund achtzig gezeigten Arbeiten nimmt einem den Atem.

    Bei vielen dieser Zeichnungen handelt es sich um Studien zu Werken, mit denen dem Beispiel Julius' II folgend weitere Päpste sowie zahlreiche andere kirchliche und weltliche Würdenträger ihre Paläste und Villen schmücken ließen. Raffaels Silberstiftzeichnung einer wild aussehenden männlichen Figur etwa, die ein Erdbeben symbolisiert, ist eine Studie für die Tapisserien, die der Künstler für die Sixtinische Kapelle entwarf und die dort noch immer hängen.

    Dass viele dieser Zeichnungen erhalten geblieben sind, ist der Tatsache zu verdanken, dass man um 1500 anfing, Zeichnungen als eigenständige Werke zu schätzen und zu sammeln. So befand sich Taddeo Zuccaros predigender Johannes der Täufer einst im Besitz des berühmten Künstlerbiografen Giorgio Vasari, und zwar in dessen nicht minder berühmtem Album von Zeichnungen, dem "Libro dei Disegni". In dieser Ausstellung ist das Blatt auf Vasaris originaler Montur zu bewundern.

    Die Vorstellung der Zeichnung, des "disegno" als Ausgangspunkt aller Kunst wurde zu einer zentralen Idee für das Kunstverständnis der Renaissance. Es wäre also völlig verfehlt zu meinen, die Zeitgenossen von Künstlern wie Polidoro da Caravaggio oder die Künstler selber hätten diese Arbeiten auf Papier als bloßes Wegwerfmaterial betrachtet. Annibale Carraccis Skizze eines Cupido für die Fresken des Palazzo Farnese in Rom stellte einen ebenso elementaren Bestandteil des künstlerischen Prozesses dar, wie es für Carracci die rare Pleinairzeichnung eines überwucherten Flussufers tat.

    "Rome After Raphael" widerspiegelt die Strömungen, die sich von Rom aus im 16. Jahrhundert über ganz Europa ausbreiteten: die Hochrenaissance mit Raffael und Michelangelo und ihren Schülern, den Manierismus eines Parmigianino bis hin zum Frühbarock der Carraccis. Die konzentrierte Auswahl der Exponate und deren herausragende Qualität machen diese einzigartige Ausstellung zu einem Fest fürs Auge und für den Intellekt.



    Die Ausstellung "Rome After Raphael" ist in der Pierpont The Morgan Library & Museum noch bis am 9. Mai zu sehen.