Archiv

Rom
Staatsoper setzt plötzlich auf Neue Musik

Als eine ästhetische Grenzüberschreitung empfindet das Stammpublikum der Staatsoper Rom offenbar, was dort seit Kurzem geboten wird: Nämlich nicht die immer wieder gleichen Klassiker des Belcanto-Repertoires, sondern zeitgenössische Musik. Was die einen verschreckt, freut andere.

Von Thomas Migge |
    Römische Staatsoper: Zuschauer schauen von den Rängen.
    Um seinem Haus einen entscheidenden Ruck zu geben, berief Intendant Carlo Fuortes vor einigen Monaten den auch in Deutschland bekannten Komponisten Giorgio Battistelli zum zweiten musikalischen Direktor. (AFP / Claudio Peri))
    Eine Pop-Rock-Folk-Oper von John Adams im September. Einen Monat später folgte "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagony" von Kurt Weill, und jetzt, Ende November, wird die neue Spielzeit mit Hans Werner Henzes "Die Bassariden" eröffnet.
    Drei aufeinander folgende Werke der Moderne. Das hat es an der Staatsoper Rom noch nie gegeben - frohlockt Alessio Vlad, bis vor Kurzem einziger künstlerischer Direktor des Hauses:
    "Wir wollen, dass der Geschmack unseres Publikums nicht stagniert. Nur mit viel Neuem kommen auch neue Leute ins Haus, ohne dass wir unsere alten Freunde verlieren.")
    Doch das Publikum, das am liebsten immer nur Verdi, Puccini, Bellini & Co. hören möchte, reagiert angesichts der Neuigkeiten aus der römischen Staatsoper verschreckt - und bleibt nicht selten weg. Intendant Carlo Fuortes ist trotzdem fest entschlossen, sein Haus komplett umzukrempeln und ein breit gestreutes Publikum anzulocken. Zunächst gelang es dem Manager, mit finanzieller Hilfe des Kulturministeriums, den Schuldenberg des Opernhauses in Höhe von mehr als 30 Millionen Euro abzubauen.
    Extrem vielseitige Programmgestaltung
    Dann machte er sich an eine neue Saison, die viele überraschen wird: Der angesehene Schauspielregisseur Mario Martone deutet Henzes "Bassariden", Italiens Avantgarde-Star Emma Dante übernahm die Regie von Rossinis "Cenerentola", Damiano Michieletto inszeniert Puccinis "Trittico", Sascha Waltz Purcells "Dido and Aeneas" und so weiter. Zum ersten Mal überhaupt wird in Rom zugleich Modern-Zeitgenössisches und Repertoiretitel in der Interpretation experimentierfreudiger Regisseure geboten.
    Um seinem Haus einen entscheidenden Ruck zu geben, berief Intendant Fuortes vor einigen Monaten den auch in Deutschland bekannten Komponisten Giorgio Battistelli zum zweiten musikalischen Direktor:
    "Wir müssen das Publikum, mit einer extrem vielseitigen Programmgestaltung überzeugen. Das wird nicht einfach sein, aber sehen Sie: Adams, Weil und das erste Symphoniekonzert, da war der Saal relativ voll. Wir wollen Neues, aber wir sind ganz und gar nicht gegen Verdi und Puccini".
    Es ist Battistelli zu verdanken, dass es jetzt auch einen Zyklus mit Symphoniekonzerten gibt. Konzerte, die nach dem immer gleichen Schema organisiert sind: ein Werk der Klassik, der Moderne und der zeitgenössischen Musik. Der Komponist ist auch, zusammen mit seinem deutschen Kollegen Wolfgang Rihm als Musiker "in residence", für das Projekt Fabbrica verantwortlich:
    Junge Leute aus ganz Europa
    Ein Jahr lang werden ab Januar 2016 junge Leute aus ganz Europa ein sogenanntes "Training on the job" durchlaufen: Im Unterschied zu anderen Theaterakademien an Opernhäusern, wie etwa an der Scala in Mailand, werden in Rom auch Opernkomponisten, Librettisten und Regisseure weitergebildet. Battistelli organisiert am Opernhaus auch das erste italienische Festival für Opern des 20. und 21. Jahrhunderts: 6 Werke werden an 10 Tagen im Frühjahr präsentiert. Giorgio Battistelli:
    "Hier muss viel nachgeholt werden, denn die Italiener bekommen ja solche Werke fast nie zu sehen. Zum Beispiel ‚Schwarz und weiß' von Heiner Goebbels aus dem Jahr 1996. Wir zeigen auch die neue Oper von Michael van der Aa, die im kommenden März in Amsterdam uraufgeführt wird").
    Ein frischer Wind bläst also durch Roms Opernhaus. Die lange wegen ihres Schlendrians, ihrer Skandale, wegen Mutis aufsehenerregendem Weggang, der drohenden Schließung und ihrer Schulden belächelte Oper der Hauptstadt versucht das für Italien schier Unmögliche. Mit dem neuen Ausbildungsprojekt Fabbrica, dem neuen Festival für moderne Opern, mit einer Spielzeit aus Werken der Moderne, einem klassischen Repertoire und den Symphoniekonzerten ist es sicherlich keine Übertreibung zu behaupten, dass Roms Staatsoper heute in Italien eine Vorreiterrolle einnimmt – sogar gegenüber der Scala in Mailand. Nun muss nur noch das Publikum von den Neuerungen überzeugt werden.