Auf dem weiten Kirchplatz seitlich des Hamburger Michels, der Michaelis-Kirche, spielen Kinder, fahren auf Dreirädern herum, üben Seilspringen. 26 Kinder und 17 Erwachsene leben seit Mitte September im Gemeindehaus neben Hamburgs bekanntester Kirche. Sie alle sind Roma, von der Abschiebung bedroht. Ihr Sprecher ist Isen Assanowski. Anfang 40, seit drei Jahren lebt er in Hamburg:
"Mit der Kirche läuft es ganz gut. Sehr gut! Der Priester und seine Mitarbeiter haben uns bei der Hand genommen, die unterstützen uns. Wir sind hier sicher. Wir haben viele Tage nicht so ruhig geschlafen wie jetzt. Wir sind jetzt zwei Wochen in der Kirche. Wir schlafen jede Nacht ruhig. Wir wissen, dass wir sicher sind."
Suche nach Wegen gegen drohende Abschiebung vorzugehen
Die St. Michaelis-Gemeinde hilft den Roma mit einem Dach über dem Kopf. Eine Abschiebung aus dem Gemeindehaus heraus wird es nicht geben. Und die kirchliche Beratungsstelle "Fluchtpunkt" prüft jeden einzelnen ihrer Fälle. Sucht nach Wegen, gegen den Abschiebebescheid vorzugehen. Allerdings sind Serbien, Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Ansicht der Bundesregierung sogenannte "sichere Drittstaaten". Dorthin darf abgeschoben werden. Isen Assanowski lächelt gequält. Ja natürlich, sagt er, für einige Menschen ist in diesen Ländern sicher:
"Mazedonien für Mazedonier, Serbien für Serben, Kosovo für Kosovaren und Montenegro für Montenegriner. Aber nicht für Roma! Niemand schaut auf die Roma, und niemand respektiert sie."
Und nun hoffe er auf die Hilfe der Kirche. Zunächst hatte die Gemeinde sich schwergetan mit der Besetzung des Michels. Drei, vier Tage lang könnten sie bleiben, hieß es. Dann müssten sie wieder gehen. Der Hamburger Michel ist eine Touristenattraktion, eine Bildungseinrichtung mit Dutzenden Veranstaltungen, mit Konzerten, Gottesdiensten oder Ausstellungen. Dann wurde vereinbart: die Roma dürfen bleiben bis eine neue, sichere Bleibe gefunden ist. Pröpstin Isa Lübbers ist beim Kirchenkreis Hamburg-Ost zuständig für die Flüchtlingsarbeit. Wie alle anderen Gemeindemitglieder wurde auch sie von der Besetzung überrascht:
"Üblicherweise fragen Gäste an, ob sie kommen dürfen und entscheiden wir auch, wen wir zu Gast haben und wen nicht. Das ist also eine Sache auf Gegenseitigkeit. Hier haben die Familien für sich einen Ort gesucht, der, glaube ich, auch sehr öffentlichkeitswirksam sein kann."
Abschiebungen werden einzeln geprüft
Also wurde vereinbart: Plakate und Transparente mit ihrer Losung "Alle Roma bleiben hier!" dürfen die neuen Gäste auf dem Gelände der Gemeinde nicht aufhängen. Aber auch Isa Lübbers steht hinter der Forderung der Evangelische Kirche, Abschiebungen von Sinti und Roma in die Balkanstaaten immer einzeln zu prüfen. Wie Isen Assanowski kritisiert sie, dass diese Länder pauschal als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Auch für Sinti und Roma:
"Wenn man sich anguckt, wie sie dort systematisch in ganz vielen Fällen auch diskriminiert und von vielen Dingen ausgeschlossen werden, macht es Sinn, hier genauer zu gucken und nicht pauschal zu sagen: die behandeln wir wie alle anderen, die aus diesen Staaten kommen."
Insgesamt 62 Menschen leben in Hamburg im Kirchenasyl. Daneben unterstützt die Kirche ein gutes Dutzend Initiativen, die sich um Flüchtlinge kümmern. Und sie arbeitet zusammen mit der sogenannten "Diakonischen Basisgemeinschaft Brot und Rosen". In dieser Wohngemeinschaft leben Menschen mit deutschem Pass und bis zu acht von Abschiebung bedrohte Menschen zusammen. In der Küche der Wohngemeinschaft sitzt Dietrich Gerstner, Dreitagebart, mit "Refugees welcome"-T-Shirt. Er wünscht sich, dass die Kirche im Fall der Roma im Michel noch klarer Position bezieht:
"Ich würde mir wünschen, dass sie das, ich sag mal so, auch mehr zu dem ihrigen machen, zu ihrer Sache. Es ist eher eine Duldung als ein wirkliches Sich-zur-eigenen-Sache-machen. Wenn uns Jesus begegnet, dann ist es jetzt und hier! Dann kann ich mir schon wünschen: "Ach wären sie doch zu meinem Bruder, zu meiner Schwester gegangen!" Aber sie sind zu mir gekommen. Und dann ist es meine Aufgabe.
Pröbstin pessimistisch zu Chancen für Roma im Michel
Anders als Pröpstin Isa Lübbers ist Dietrich Gerstner pessimistisch, wenn es um die Chancen für die Roma im Michel geht, in Deutschland bleiben zu dürfen. Die Gruppe hat schon angekündigt: wenn sie gehen müssen, werden sie ihre Kinder zurücklassen. Ohne Eltern in Deutschland aufzuwachsen sei allemal besser als wieder nach Serbien, Montenegro oder Slowenien zurückzukehren.