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Romantik
"Blau als Ausdruck der Grenzenlosigkeit"

Die blaue Blume erschien in einem Romanfragment von Novalis zum ersten Mal. Novalis habe "diese blaue Blume ganz mächtig nach vorne gebracht und zum Symbol dieser romantischen Bewegung gemacht", sagte der Kulturhistoriker Rüdiger Safranski im DLF. Bis heute stehe sie für unerfüllbare Sehnsucht.

Rüdiger Safranski im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
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    Der deutsche Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Maja Ellmenreich: Das Farbkarussell , das sich in dieser Advents- und Weihnachtszeit jeden Sonntagmorgen hier im Deutschlandfunk ein wenig weiterdreht, das bleibt heute stehen bei der Farbe blau.
    Blau wie der wolkenlose Himmel, wie – angeblich - das Blut des Adels, blau ist übrigens auch die Farbe des Deutschlandfunks und die Farbe einer Blume, die ein junger Minnesänger namens Heinrich herbeisehnt. So hat es ihm der romantische Philosoph und Schriftsteller Novalis in seinem Roman "Heinrich von Ofterdingen" in den Mund beziehungsweise in den Sinn gelegt:
    Zitat: "Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben, sagte er zu sich selbst: Fernab liegt mir alle Habsucht, aber die blaue Blume sehn‘ ich mich zu erblicken."
    Ellmenreich: Und im Traum dann begegnet Heinrich dieser blauen Blume auch: lichtblau, mit glänzenden Blättern und einem menschlichen Gesicht in der Mitte.
    Die blaue Blume in der Literatur der Romantik – in Novalis‘ Romanfragment wird sie zum ersten Mal erwähnt. Und über dieses Literaturgeschichte schreibende Symbol möchte ich mit Rüdiger Safranski sprechen; Kulturhistoriker, Philosoph, Biograph gleich mehrerer deutscher Geistesgrößen ist er und Autor des Buches "Romantik – Eine deutsche Affäre."
    Herr Safranski, viele unserer Hörer mögen heute wissen, dass diese "blaue Blume der Romantik" eine große Sehnsucht symbolisiert. Wie war das damals, als Novalis‘ Romanfragment 1802 zum ersten Mal erschien: Wussten die ersten Leser was mit dieser sonderbaren Blume anzufangen? Konnten die das Symbol entschlüsseln?
    Eine Büste des frühromantischen Dichters Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg) steht am 23.1.2001 an seinem Grab in Weißenfels. Der frühromantische Dichter wurde am 2. Mai 1772 in Oberwiederstedt bei Hettstedt (Sachsen-Anhalt) geboren und starb am 25. März 1801 in Weißenfels.
    Eine Büste des frühromantischen Dichters Novalis. (picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Rüdiger Safranski: Ja, es gab damals ein bekanntes Märchen, eine Sage, wo diese blaue Blume als Sinnbild der Sehnsucht auch schon eine Rolle spielte. Und der Novalis hat ja daran angeknüpft und in dem Erzählzusammenhang wird ja eigentlich auch deutlich, dass der Protagonist der Erzählung von Novalis selber diese Geschichte gehört hat. Kurzum: Es ist nicht ganz die Erfindung von Novalis mit dieser blauen Blume. Wie gesagt, es gab da eine Tradition. Aber man muss doch sagen, der Novalis hat diese blaue Blume ganz mächtig nach vorne gebracht und wirklich dann zum Symbol dieser romantischen Bewegung gemacht.
    Ellmenreich: Und was genau drückt dieses Symbol aus? Das Wort Sehnsucht haben wir beide jetzt schon benutzt. Was ist genau der Kern dieser Sehnsucht, dieses Verlangens?
    Safranski: Wie immer sind ja solche Bilder dann wirkungsvoll, wenn sie vielfältig in ihrer Bedeutung sind. Bei Novalis wird deutlich aus dem ganzen Zusammenhang: Zum einen ist es natürlich ein erotisches Symbol auch. Eine Blume, guckt man ihr näher zu, wird sie ein Mädchengesicht auch. Es ist also ein erotisches Verlangen, was natürlich auch eine Rolle spielt. Und dann aber ist es auch so: Die Blume, ein Stück schöner Natur, da wird auch Natur insgesamt zu einer geradezu menschlichen Angelegenheit. Man spricht mit der Natur, die Natur spricht zu uns, also ein gewissermaßen dialogisches Verhältnis zur Natur. Das ist nämlich das zweite Motiv auch in der Romantik. Die Romantik versucht ja auch, die Natur nicht nur als Gegenstand unserer Ausbeutung, muss man sagen, was wir technisch mit ihr machen, nicht nur als Ressource aufzufassen, auch nicht nur als Bedrohung, die übermächtige Natur, sondern eine Art Liebesaffäre mit der Natur insgesamt zu initiieren. Und das gehört natürlich auch jetzt zu dieser blauen Blume. Sie ist eine Blume und sie ist ein Stück Natur, aber wir können sie lieben und sie liebt vielleicht auch uns, denn schließlich hat die Natur uns ja auch hervorgebracht.
    Ellmenreich: Wird diese Sehnsucht jemals eingelöst, oder bleibt es ein ewiges Verlangen, das nie wirklich am Ende eingelöst wird und erlebt wird?
    "Blau als Ausdruck der Grenzenlosigkeit"
    Safranski: Es bleibt ein Verlangen. Die Romantik wusste genau, dass die Erfüllung der größten Wünsche doch letztlich eine Enttäuschung zurücklässt, nicht nur eine Befriedigung. Es ist die Grenzenlosigkeit, das Unerfüllbare an der Sehnsucht. Es ist auch so wie ein Horizont, auf den man zugeht, und man wird ihn nie erreichen.
    Es ist ja auch interessant, warum diese Blume blau ist. Diese Farbe blau ist ja auch für diesen Zusammenhang wirklich sehr schön gewählt. Wir gucken in den Himmel, tagsüber, wenn die Sonne scheint, und der ist blau. Zugleich wissen wir, dass diese Blauheit des Himmels ja eigentlich auch eine Folge davon ist, dass dieser Himmel grenzenlos ist. Der Himmel ist ja nichts anderes als der ungeheure Weltraum, wo aber jetzt ein Stück Sonne hineinfällt. Und das Blau ist von daher ein Ausdruck selber von Grenzenlosigkeit.
    Ellmenreich: Der Himmel sozusagen als der ultimative Sehnsuchtsort, der auch in einer gewissen Weise nie erreichbar ist. Aber laut Goethe war doch die Farbe blau ein Gefühl oder vermittelt doch die Farbe blau ein Gefühl von Kälte. Das wiederum, finde ich, passt nicht so ganz zu den hochkochenden …
    Safranski: Ja nicht nur Kälte. Der Goethe hat ja sehr schöne Betrachtungen zum Blau. Wenn man einen Raum ganz blau macht, dann kann dieser Raum kalt wirken. Er sagt aber auch und da drückt er ja auch etwas aus, was wir empfinden können, das Blau, er nimmt den Ausdruck, zieht uns, zieht uns hinaus. Und er unterscheidet einen Farbeindruck von manchen Farben, die uns anspringen gewissermaßen. Da wählt er das Beispiel rot. Und eine Farbe, die uns hinauszieht. Ich finde, das ist ein Gefühl, kann man gut nachvollziehen, besonders wenn wir einen eher hellblauen oder auch einen blauen Himmel sehen. Das zieht uns hinaus und dieses Hinausziehen, das ist in dieser Farbe blau besonders im Zusammenhang von blauer Blume und blau als romantische Farbe mit empfunden und mit gedacht.
    Ellmenreich: Was für eine Blume könnte das sein, ein blaues Vergissmeinnicht, eine Kornblume, ein Veilchen, oder sollte man so konkret gar nicht denken, wenn man sich mit der Romantik auseinandersetzt?
    Safranski: Ja, man kann schon ruhig konkret denken. Aber ich denke, das kann sich dann jeder selber so einsetzen. Ich sehe dann doch immer eine blaue Linie, so etwas, oder auf jeden Fall das Kornblumenblau. Das ist ja nun ein besonders sattes Blau. So etwas sehe ich davor. Wenn wir bei Novalis nachlesen, wird das Blau gewissermaßen in himmlischen Farben geschildert. Kurzum: Wir bekommen dort auch nicht die Angabe, um welche Blume es sich genau handelt. Da sind wir dann auch frei.
    Ellmenreich: Aber das Kornblumenblau, das heftet sich die FPÖ heute noch ans Revers, die Mitglieder, so wie es die Nationalsozialisten in Österreich nach 1933 auch gemacht haben, und zwar damals als Ersatz quasi für das Hakenkreuz. Die blaue Blume ist dann auch missbraucht worden?
    Safranski: Ja, es ist ja alles missbrauchbar. Und wenn wir alles das meiden wollten, was missbraucht worden ist, dann dürften wir nichts mehr anrühren. Dann könnten wir nichts mehr gebrauchen. Also sagen wir doch mal ganz einfach: Solche eindrucksvollen Dinge wie diese Farben sind, gerade weil sie eindrucksvoll sind, auch von allen möglichen Leuten auch zu allen möglichen üblichen Zwecken benutzt worden.
    "All diese schönen Dinge haben natürlich ihre Unschuld immer schon verloren"
    Ellmenreich: Aber die Blume an sich, nicht jetzt nur in der blauen Farbe, sondern auch in vielen anderen Farben, die hat ja auch noch eine andere Bewegung für sich als Symbol gewählt: Die Flower-Power-Bewegung der Hippies. Lässt sich da aus der Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts in die 60er des 20. Jahrhunderts, lässt sich da eine Verbindung ziehen?
    Safranski: Ja, sicher. Das ist auch alles sehr ambivalent. Wir haben die Flower-Power-Bewegung und dann die Assoziation, die Blume und Schönheit und natürlich und fruchtbar und so weiter. Aber ich meine, wir dürfen ja auch nicht vergessen: Mao Zedong hat in der Kulturrevolution in China gesagt, lasst tausend Blumen blühen, eine Kampagne, die zu einigen Millionen Toten geführt hat. Also mein Gott, all diese schönen Dinge haben natürlich ihre Unschuld immer schon verloren. Trotzdem können wir an Schönheiten festhalten, wenn wir sie heute als solche empfinden.
    Ellmenreich: Und die Blume ist da vielleicht irgendwie das schönste Symbol, auch was man sich fast denken kann. Auf der einen Seite kraftvoll, quasi aus sich selbst heraus bringt sie die schönste Schönheit hervor, und auf der anderen Seite ist sie auch extrem zerbrechlich und ganz schnell vergänglich.
    Safranski: Ja, das ist bisweilen das Schöne, und ich finde immer so anrührend die Geschichte von der bestimmten Kakteenart, die nur einmal blüht. Die ganze Kaktee, die existiert über Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte, nur einmal blüht sie. Ich meine, das sind Vorgänge, die deswegen so symbolträchtig sind, weil sie uns in anderen Zusammenhängen an etwas erinnern wie große Augenblicke sind kostbar, einmal da, einmal nicht gesehen, schon hat man eine Gelegenheit verpasst, die nie mehr wiederkehrt. Das sind alles so Erfahrungen, die man sogar bis hinein in den sakralen Raum machen kann und die sich an solchen natürlichen Gegenständen so herrlich illustrieren lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.