Archiv


"Romantiker in einem anti-romantischen Zeitalter"

Bruno Walter, 1876 in Berlin geboren, zählt zu den herausragenden Dirigentenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Mit Einspielungen des klassischen und romantischen Repertoires - mit Mozart, Beethoven, Bruckner und vor allem Mahler - setzte er Maßstäbe. Vor 50 Jahren starb er in Beverly Hills.

Von Stefan Zednik | 17.02.2012
    "Ich habe nun natürlich allmählich meine Schüchternheit überwunden und Mahler gesagt, wie ich eigentlich dazu kam, diese Sehnsucht zu haben, dieses Werk kennen zu lernen. Das rührte ihn natürlich sehr und freute ihn furchtbar. Er hatte diese erste Symphonie ‚Titan' schon in Budapest aufgeführt, auch verlacht und verhöhnt, und hatte sie nun in Weimar aufgeführt mit demselben Effekt, da spielte er mir diese Symphonie vor und ich war gefangen von diesem Moment an, ich wusste hier ist eine Musik, für die ich mich einzusetzen habe, dies wird für mich eine Lebensaufgabe sein."

    So erinnerte sich der Dirigent Bruno Walter an seine erste Begegnung mit Gustav Mahler. Walter, 1876 in eine bescheiden lebende, jüdische Familie in Berlin geboren, war nach gründlicher musikalischer Ausbildung am berühmten Sternschen Konservatorium und einer ersten Stelle an der Kölner Oper nach Hamburg gereist, um sich am dortigen Theater als Klavierbegleiter vorzustellen. Mahler wird sein Lehrer, sein Chef, vor allem aber sein künstlerisches und menschliches Vorbild.

    "(...) als ich 18 Jahre alt war und Gustav Mahler kennen lernte, da habe ich den Menschen kennen gelernt, für den der Alltag nicht existierte, und das war für mich ein ungeheures Erlebnis, sein ganzes Denken und Fühlen war dem Geist gewidmet und vom Geist erfüllt."

    Eine Praxis, die stets den seelischen Grund von Musik zu erreichen sucht, sich nie mit einer nur glanzvoll klingenden Oberfläche zufrieden geben will – das sollte das künstlerische Credo Bruno Walters werden. 1901 folgt er Mahler nach Wien, bleibt bis 1912 und bringt nach dessen Tod die 9. Symphonie und das "Lied von der Erde" zur Uraufführung. Sein Karriereweg, mittlerweile ist er ein auch international gefragter Pultstar, führt über München und Berlin ans Leipziger Gewandhaus, wo er 1929 die Nachfolge Wilhelm Furtwänglers als Leiter des ältesten Orchesters Deutschlands antritt. Zwei Musiker, die sich in der geistigen Haltung zur Musik durchaus ähnlich sind – und deren Wege doch weit auseinanderlaufen. Furtwängler wird in den folgenden Jahren zum gefeierten Staatskünstler, während das Propagandaministerium Bruno Walters Agentur im März 1933 zum bevorstehenden Auftritt mitteilt:

    "Verbieten wollen wir das Konzert nicht, denn es liegt uns nichts daran, Sie von der Verpflichtung zur Bezahlung des Orchesters zu befreien. Wenn Sie das Konzert abhalten, dann können Sie sicher sein, dass alles im Saal kurz und klein geschlagen wird."

    Während die Veranstaltung unter der Leitung des bereitwillig einspringenden Richard Strauss stattfindet, sitzt Bruno Walter im Zug nach Österreich. Er geht zunächst nach Wien und schließlich in die USA, wo er in den 50er-Jahren mit Platteneinspielungen des klassischen und romantischen Repertoires - mit Mozart, Beethoven, Bruckner und vor allem Mahler - Maßstäbe zu setzen vermag. Die musikalische Moderne, vor allem die atonale Musik dagegen, ist dem bekennenden Anthroposophen weit gehend fremd geblieben.

    "It's not as native to me, of course not, … Sie kommt mir nicht natürlich vor, doch wann immer eine schöpferische Qualität in ihr ist, werde ich sie mit Begeisterung begrüßen. Musik, wie jede Kunst, akzeptieren wir, wenn sie kreativ ist. Wenn nicht, wenn sie nur intellektuell oder artifiziell ist, kommt sie mir fremd vor und ich kann damit nichts anfangen ... this is something which is strange to me and I could not deal with it."

    So geht der am 17. Februar 1962 gestorbene, technisch herausragende Dirigent, der im Umgang mit seinen Musikern stets einen freundlich-kollegialen Ton bevorzugte, als Vertreter einer mittlerweile untergegangenen Interpretengeneration in die Musikgeschichte ein. Er war, wie es der amerikanische Musikjournalist Harold Schonberg formulierte,

    "Romantiker in einem anti-romantischen Zeitalter, eine moralische Kraft und auf seine Art das Gewissen der Musik. Ein Moralist und Mystiker, der eine entschwundene Tradition verkörperte und bewahrte. Musik war eine Religion, der Musiker ihr Hohepriester."