Die Spannung ist spürbar in Amerika. Barack Obama und Mitt Romney - noch immer gleichauf im Wettlauf um das Weiße Haus. Beide kämpfen erbittert um die letzten unentschiedenen Wähler - doch eine Woche vor der Abstimmung stoppt der Wahlkampf plötzlich. Der Hurrikan Sandy erreicht die USA.
Bilder von brennenden Häusern und überfluteten Straßen beherrschen die Fernsehkanäle, Dutzende Menschen kommen allein in New York ums Leben. Die Verwüstungen an der Ostküste verdrängen die Kandidaten aus den Nachrichten, ein Rückschlag für die Rivalen. Denn beide wissen, in ihrem Kopf-an Kopf-Rennen zählt jeder Tag. Der Präsident ist allerdings im Vorteil. Als Regierungschef tritt er in einigen Notfall-Zentralen auf und besucht die Opfer. Die Wahl, beeilt er sich zu versichern, interessiere ihn momentan überhaupt nicht.
Mitt Romney will nicht zum Zuschauen verdammt sein, er tritt öffentlich auf und sammelt Essensspenden für die Hurrikanopfer. Beide Kandidaten verlieren keine Zeit. Nur Stunden nachdem der Sturm in Richtung Kanada abgezogen ist, hält Romney schon wieder eine Wahlkampfrede in Florida. Und Obama fliegt an einem Tag von Ohio, Nevada, Wisconsin und Colorado. Das alles sind Swing States, in denen noch immer völlig offen ist, ob die Wähler den Republikaner oder den Demokraten zum Präsidenten machen wollen. Bis zum Wahltag werben die Kandidaten nun in diesen neun Bundesstaaten - vor allem um Latinos, Senioren, Frauen und die jungen Wähler. Denn diese Gruppen werden das Kopf-an-Kopf-Rennen wohl am Ende entscheiden.
Es ist ein Mittwochnachmittag im Oktober und man könnte meinen, ganz Colorado sei voll von begeisterten Jungwählern: Bei einem Fest an der Uni von Denver steht der 21-jährige Vincent Silagyi am Stand der Republikaner, schick mit dunklem Anzug und Krawatte, die Schilder "Fire Obama - Feuert Obama" werden ihm von seinen Mitstudenten förmlich aus den Händen gerissen:
"Ich brauche keinen charismatischen Messias als Präsidenten, der uns Hoffnung und Wandel verspricht", sagt Vincent als Seitenhieb auf Amtsinhaber Obama. "Ich brauche jemanden mit Wirtschaftserfahrung, der sicherstellt, dass wir jungen Leute einen Job kriegen, wenn wir mit der Uni fertig sind."
Vincent will gerne zur CIA oder zum FBI. Auch ein paar Meter weiter bei den Demokraten läuft es gut: Die Obama-Aufkleber und Schilder sind alle längst weg und es stehen immer Zuhörer am Stand, die aufmerksam lauschen, wenn Studentin Lori-Ann erklärt, warum Barack Obama immer noch der Richtige ist und dass man in nur vier Jahren eben keine Wunder erwarten dürfe.
Hier an der Uni in Denver ist an diesem Nachmittag nichts zu spüren von Wahlmüdigkeit. Barack Obama und Mitt Romney würden sich freuen, so viele begeisterte Jungwähler zu sehen. Vor allem der Amtsinhaber braucht sie – nur wenn sie so zahlreich an die Urnen gehen wie 2008, kann er seinen Sieg in Colorado wiederholen. Aber das Fest ist nicht repräsentativ – in Colorado gibt es viele enttäuschte Jungwähler:
Manche werden weder Obama noch Romney ihre Stimme geben – zwischen denen gibt es doch eh keinen Unterschied, rufen die Teilnehmer dieser kleinen Protestaktion. Manche werden gar nicht wählen. Andere gehen zur Urne, aber ohne Enthusiasmus. Dazu gehört der 21-jährige Evan, der im Uni-Städtchen Boulder gerade mit seinem Skateboard auf dem Weg zur nächsten Vorlesung ist.
Evan war vor vier Jahren erst 17 und durfte noch nicht wählen. Aber er war euphorisch, machte Wahlkampf für Obama. Heute sagt er über sich, er sei total abgestumpft gegenüber der Politik. Er schaut resigniert nach Washington, wo Präsident Obama seiner Meinung nach viel zu wenig erreicht hat, auch deshalb, weil ihn die Republikaner blockierten, wo sie nur konnten:
"Das System ist so unproduktiv", beschwert sich Evan. "In den letzten vier Jahren hat sich doch praktisch nichts bewegt."
Barack Obama ist zufrieden mit seiner Bilanz, auch wenn noch eine Menge zu tun bleibe. Für fünf Millionen Jobs hat er gesorgt, sagt der Präsident, für massiv gestiegene Exporte, für eine wieder erstarkte Autoindustrie und dafür, dass die US-Soldaten endlich wieder aus dem Krieg nach Hause kommen.
Und als der Wahlkampf im Oktober in die entscheidende Schlussphase schwenkte, kam noch ein dickes Plus hinzu: Der Präsident konnte erstmals eine Arbeitslosenquote unter der acht Prozent Marke verkünden – so niedrig wie nie zuvor in seiner Amtszeit. Trotzdem übte sein Konkurrent Mitt Romney scharfe Kritik.
"Der Grund für die Arbeitslosenquote ist schlicht, dass mehr Menschen aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen. Eigentlich würde die Quote bei elf Prozent liegen."
Ganz unrecht hat der Republikaner nicht. Tatsächlich haben viele Amerikaner die Jobsuche aufgeben, sie tauchen genau so wenig in der Statistik auf, wie diejenigen, die eigentlich einen weiteren Job brauchen, weil sie unterbezahlt sind.
Unterm Strich wird deutlich: Die US-Wirtschaft hat sich zaghaft erholt, aber die Menschen haben kaum etwas davon. Denn es fehlt noch immer an Langzeitarbeitsplätzen und ausreichenden Löhnen. Und das gerade aufgebaute Wachstum droht schon wieder in sich zusammenzufallen. Der Grund dafür wird überall diskutiert, es ist die sogenannte Klippe in der Finanzpolitik, das Fiscal Cliff.
Das "Fiscal Cliff" ist ein finanzieller Abgrund, der sich vor den Bürgern und der Wirtschaft auftut: Es geht dabei um massive Steuererhöhungen und Kürzungen im Haushalt, die zum Jahreswechsel auf einen Schlag inkraft treten. Aus Angst vor den Folgen entlassen Unternehmen bereits jetzt bis zu eine Million Arbeiter und stoppen ihre Investitionen. Das ist Gift für das Wirtschaftswachstum, es droht eine neue Rezession. Und weil die Änderungen so viele Bereiche betreffen, wird es für Politiker schwer, im Nachhinein die Folgen zu reparieren, vermutet Wirtschaftsexperte Mark Zandi.
"Auch die US-Notenbank könnte dann kaum noch gegensteuern. Das wissen die Unternehmen und sind deswegen völlig verunsichert."
Dabei haben der Kongress und die Obama-Regierung schon seit Langem die Möglichkeit, das Fiscal Cliff abzumildern. Doch vor dem 6. November wollen sie sich einfach nicht darauf einigen. Denn dann finden auch Wahlen zum Kongress statt – dort könnte es genauso neue Machtverhältnisse geben wie im Weißen Haus. Und die will man erst mal abwarten. So bleibt Amerika vor den Wahlen ein Land auf unsicherem Kurs.
Es ist Ende September und Barack Obama ist entspannt und bestens gelaunt: Bei einem Wahlkampfauftritt an einer High School in Las Vegas bejubeln ihn Tausende Zuschauer. Das Präsidentschaftsrennen scheint zu diesem Zeitpunkt fast gelaufen, denn obwohl der amerikanische Wirtschaftsaufschwung weiter recht mau aussieht, kann der Wirtschaftsfachmann Mitt Romney kein Kapital daraus schlagen, seine Kampagne kommt einfach nicht richtig in Schwung. Obama liegt in den Umfragen vorn: landesweit und in den meisten wichtigen Swing States. Doch dann kommt die erste Fernsehdebatte der beiden Präsidentschaftskandidaten: Und Amerikas Linke sind dem Herzinfarkt nahe. Wo war Barack Obama an diesem Abend? Der Präsident wirkt lustlos, abwesend, er lässt sich von einem angriffslustigen Mitt Romney überfahren.
Hatte Obama einfach einen schlechten Tag? Oder war er zu arrogant und hat Mitt Romney unterschätzt? Was immer der Grund war, Obama bekommt die Quittung für seinen ganzlosen Auftritt. Romney holt in den Umfragen auf. Obama reagiert: Er greift in Debatte zwei und drei aggressiv an und geht jeweils als Sieger hervor. Trotzdem wird der Wahlkampf zum Kopf-an-Kopf-Rennen. Das ist nicht allein damit zu erklären, dass der Amtsinhaber Schwächen gezeigt hat. Mitt Romney ist stärker geworden, weil er sich in diesen Wochen vor der Wahl noch mal neu erfunden hat. Der Mann, der als sogenannter "Flip Flopper" verschrien ist, weil er seine Meinung häufiger wechselt als manche Leute die Socken, ist zunehmend Richtung Mitte gerückt, weg von den extremen Positionen aus dem Vorwahlkampf.
Auf einmal will er keine Steuersenkungen für Amerikas Superreiche mehr, keine schmerzhaften Einschnitte bei der Bildung, keine knallharte Einwanderungsreform und in der Außenpolitik vermeidet er kriegerische Töne. Und weil er es dazu auch noch schafft, persönlich menschlicher und sympathischer zu wirken, sieht Romney auf einmal wählbarer aus - für Frauen zum Beispiel.
Barack Obama diagnostiziert "Romnesie” – die Tendenz, alles zu vergessen, was man früher einmal versprochen hat. Aber der erstarkte Herausforderer lässt sich nicht aus dem Konzept bringen.
Obama habe außer Attacken nichts mehr zu bieten, so Romney, er sei ideenlos. Auch die amerikanischen Medien fragen, was eigentlich Obamas Pläne für eine mögliche zweite Amtszeit sind. Das 20-Seiten-Büchlein, das sein Lager Ende Oktober herausgibt, ist kaum mehr als ein Aufwasch alter Ideen. Aber auch Romney bleibt meist vage, was seine Pläne angeht. Das macht die Entscheidung nicht leicht für eine der kleinsten, aber wichtigsten Gruppen in diesem Präsidentschaftsrennen: die immer noch unentschlossenen Wähler.
Besonders viele der Unentschiedenen und der Wechselwähler leben in Ohio, dem am härtesten umkämpften Swing State. Einige von ihnen treibt es in die letzten wahlkampffreien Zonen hier. Auf das Kürbisfest im verschlafenen Städtchen Circleville zum Beispiel.
Neben den Buden mit Kürbispizza, Kürbishamburgern und Kürbisdonuts, steht eine Bühne: darauf die Stars des Festivals – die Riesenkürbisse. Ein rundlicher Mann präsentiert dem Publikum den Champion: ein massiges, oranges Gewächs mit einem Gewicht von 600 Kilogramm.
"Alles eine Frage der richtigen Samen und des Düngers."
Der 43-jährige Mann heißt Ceesou und arbeitet eigentlich beim Militär. Er ist einer der letzten unentschiedenen Wähler. Dieses Mal, sagt er, falle die Wahl wirklich nicht leicht, weil man sich zwischen zwei Übeln entscheiden müsse.
Ceesou wünscht sich, dass die nächste Regierung endlich aufhört, Geld zu verschwenden, das sie nicht hat. Denn zahlen müssten das am Ende Kinder und Enkelkinder. Das mache ihm Sorgen. Und die Präsidentschaftskandidaten arbeiten in Ceesous Augen nicht wirklich an einer Lösung des Problems. Er ist enttäuscht von Obama und Obama. Sie seien schlicht unglaubwürdig, findet er, und zieht sich deshalb zurück von dem Wahlkampftrubel. Abstimmen werde er auf jeden Fall, aber jetzt kümmere er sich erst mal um die Prachtkürbisse. Da gibt es wenigstens positive Rekorde zu vermelden.
"Rhode Island hat dieses Jahr den Weltrekord geknackt. Zum ersten Mal wiegt ein Kürbis damit über eine Tonne."
Um die unentschiedenen Amerikaner wie Ceesou noch irgendwie für sich zu gewinnen, mobilisieren die Wahlkämpfer die letzten Kräfte und die letzten Millionen. Die Bewohner der "Swing States" sind nicht zu beneiden in diesen letzten Tagen vor dem 6. November: Sobald sie den Fernseher anmachen, können sie dem Wahlkampf nicht entgehen. Sowohl Obama als auch Romney überziehen die wichtigsten Regionen des Landes mit einem echten Flächenbombardement an TV-Spots.
In besonders hart umkämpften Staaten laufen zurzeit jede Woche 6.000 bis 7.000 Wahlkampfspots und je näher der Wahltag rückt, desto mehr werden es. In manchen Staaten sind die Werbeflächen in besonders begehrten Programmen komplett von den Wahlkämpfern aufgekauft worden – die Menschen sehen hier nichts anderes mehr als Wahlwerbung: 90 bis 95 Prozent der Wahlwerbung sind negativ, vieles grenzt an Verleumdung. Insgesamt werden die beiden Kontrahenten und ihre Unterstützer bis zum Wahltag mehr als eine Milliarde Dollar für Werbe-Dollars ausgeben. Der gesamte Präsidentschaftswahlkampf könnte in der Endabrechnung 2,5 Milliarden Dollar kosten.
Das ist doch irre, kritisiert Barack Obama im NBC-Interview, aber natürlich spielt er das Spiel mit – schließlich will er seinem Konkurrenten das Feld nicht einfach überlassen. Es ist viel die Rede vom Geld als Machtfaktor in diesem Wahlkampf. Aber bewegen diese riesigen Summen wirklich etwas? Im Moment hat es eher den Anschein, als ob sie sich gegenseitig neutralisieren. Und viele Wähler fühlen sich längst mehr abgestoßen als angesprochen von den Spots. Sie haben geistig abgeschaltet, weil der Wahlkampf einfach viel zu lang und hässlich ist.
Geld wird diese Wahl wohl nicht entscheiden: Was also bleibt zu tun für Barack Obama und Mitt Romney in den letzten Tagen bis zum 6. November? Letztlich könnte derjenige die Nase vorn haben, der es schafft, mehr von der eigenen Stammwählerschaft an die Urnen zu bringen.
In letzter Zeit wechselt US-Präsident Obama öfter mal die Sprache und ist in Spanisch zu hören. Er will damit unbedingt die Latinos in Amerika erreichen. Viele von ihnen sind aus Mexiko eingewandert – über 50 Millionen leben in den USA. Von denen, die beim letzten Mal wählten, erhielt Obama zwei Drittel der Stimmen.
Doch vier Jahre später haben sich viele Latinos enttäuscht von ihm abgewendet.
"They are disappointed of his first 4 years",
sagt Diego Lopez. Er arbeitet in North Carolina in einer Organisation, die Latinos über die Wahl aufklärt. Speziell diesen Bundesstaat kann Obama wohl nur mithilfe der Hispanics gewinnen, doch viele sind frustriert. Sie mussten feststellen, dass noch kein Präsident so viele illegale Einwanderer ausgewiesen hat wie Obama. Er zerreiße Familien damit – denn manchmal dauere es ein ganzes Jahr, bis Kinder wieder zu ihren ausgewiesenen Eltern kämen.
"Ich sehe vor allem Angst bei den Leuten. Auch, weil einige Bundesstaaten der Polizei erlauben, jeden zu kontrollieren, der nur einen illegalen Eindruck macht. Deshalb trauen sich auch Latinos mit Papieren nicht mal mehr, ihre Kinder zur Schule zu bringen."
Präsident Obama wird auch an anderer Stelle Stimmen verlieren: bei den ärmeren und älteren Menschen. In einigen Bundesstaaten verlangen nämlich neue Gesetze eine besondere Form der Registrierung. Viele wissen das gar nicht oder ihnen ist der Weg zu den Behörden zu beschwerlich – abstimmen können sie also nicht. Aber auch Mitt Romney muss sich um seine Stammwähler Sorgen machen. Die sind teilweise irritiert von seinen wechselnden Positionen und fürchten, dass er nicht konservativ genug ist.
"Abtreibung soll erlaubt sein, wenn es um Inzest, Vergewaltigung oder das Leben der Mutter geht. Aber eigentlich sollen das die Gerichte entscheiden."
Die konservative Basis hatte Romney aber bisher auch deshalb unterstützt, damit ein konsequentes Abtreibungsverbot politisch festgesetzt wird. Und trotzdem: Der Herausforderer kann sich wohl auf seine Stammwähler verlassen. Denn für die meisten ist diese Abstimmung eine Schicksalswahl: Vor allem um Präsident Obama endlich abzuwählen.
In diesem November geht ein Amerika an die Wahlurnen, das so gespalten ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und egal, wer in den nächsten vier Jahren im Weißen Haus das Sagen hat: Es gibt wenig Hoffnung, dass sich das grundlegend ändert. Das lässt nichts Gutes erahnen für die Herausforderungen, vor denen das Land steht, und die dringend angepackt werden müssen: Haushaltsdefizit, Staatsverschuldung, reformdürftige Sozialsysteme. Weiteren politischen Stillstand wie in den vergangenen zwei Jahren können sich die USA nicht leisten. Aber werden es Republikaner und Demokraten tatsächlich schaffen, wieder zusammenzuarbeiten statt immer nur gegeneinander?
Wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird, wissen wir noch nicht – aber eines ist klar: Vor ihm liegt eine Aufgabe, um die er nicht zu beneiden ist.
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Mitt Romney will nicht zum Zuschauen verdammt sein, er tritt öffentlich auf und sammelt Essensspenden für die Hurrikanopfer. Beide Kandidaten verlieren keine Zeit. Nur Stunden nachdem der Sturm in Richtung Kanada abgezogen ist, hält Romney schon wieder eine Wahlkampfrede in Florida. Und Obama fliegt an einem Tag von Ohio, Nevada, Wisconsin und Colorado. Das alles sind Swing States, in denen noch immer völlig offen ist, ob die Wähler den Republikaner oder den Demokraten zum Präsidenten machen wollen. Bis zum Wahltag werben die Kandidaten nun in diesen neun Bundesstaaten - vor allem um Latinos, Senioren, Frauen und die jungen Wähler. Denn diese Gruppen werden das Kopf-an-Kopf-Rennen wohl am Ende entscheiden.
Es ist ein Mittwochnachmittag im Oktober und man könnte meinen, ganz Colorado sei voll von begeisterten Jungwählern: Bei einem Fest an der Uni von Denver steht der 21-jährige Vincent Silagyi am Stand der Republikaner, schick mit dunklem Anzug und Krawatte, die Schilder "Fire Obama - Feuert Obama" werden ihm von seinen Mitstudenten förmlich aus den Händen gerissen:
"Ich brauche keinen charismatischen Messias als Präsidenten, der uns Hoffnung und Wandel verspricht", sagt Vincent als Seitenhieb auf Amtsinhaber Obama. "Ich brauche jemanden mit Wirtschaftserfahrung, der sicherstellt, dass wir jungen Leute einen Job kriegen, wenn wir mit der Uni fertig sind."
Vincent will gerne zur CIA oder zum FBI. Auch ein paar Meter weiter bei den Demokraten läuft es gut: Die Obama-Aufkleber und Schilder sind alle längst weg und es stehen immer Zuhörer am Stand, die aufmerksam lauschen, wenn Studentin Lori-Ann erklärt, warum Barack Obama immer noch der Richtige ist und dass man in nur vier Jahren eben keine Wunder erwarten dürfe.
Hier an der Uni in Denver ist an diesem Nachmittag nichts zu spüren von Wahlmüdigkeit. Barack Obama und Mitt Romney würden sich freuen, so viele begeisterte Jungwähler zu sehen. Vor allem der Amtsinhaber braucht sie – nur wenn sie so zahlreich an die Urnen gehen wie 2008, kann er seinen Sieg in Colorado wiederholen. Aber das Fest ist nicht repräsentativ – in Colorado gibt es viele enttäuschte Jungwähler:
Manche werden weder Obama noch Romney ihre Stimme geben – zwischen denen gibt es doch eh keinen Unterschied, rufen die Teilnehmer dieser kleinen Protestaktion. Manche werden gar nicht wählen. Andere gehen zur Urne, aber ohne Enthusiasmus. Dazu gehört der 21-jährige Evan, der im Uni-Städtchen Boulder gerade mit seinem Skateboard auf dem Weg zur nächsten Vorlesung ist.
Evan war vor vier Jahren erst 17 und durfte noch nicht wählen. Aber er war euphorisch, machte Wahlkampf für Obama. Heute sagt er über sich, er sei total abgestumpft gegenüber der Politik. Er schaut resigniert nach Washington, wo Präsident Obama seiner Meinung nach viel zu wenig erreicht hat, auch deshalb, weil ihn die Republikaner blockierten, wo sie nur konnten:
"Das System ist so unproduktiv", beschwert sich Evan. "In den letzten vier Jahren hat sich doch praktisch nichts bewegt."
Barack Obama ist zufrieden mit seiner Bilanz, auch wenn noch eine Menge zu tun bleibe. Für fünf Millionen Jobs hat er gesorgt, sagt der Präsident, für massiv gestiegene Exporte, für eine wieder erstarkte Autoindustrie und dafür, dass die US-Soldaten endlich wieder aus dem Krieg nach Hause kommen.
Und als der Wahlkampf im Oktober in die entscheidende Schlussphase schwenkte, kam noch ein dickes Plus hinzu: Der Präsident konnte erstmals eine Arbeitslosenquote unter der acht Prozent Marke verkünden – so niedrig wie nie zuvor in seiner Amtszeit. Trotzdem übte sein Konkurrent Mitt Romney scharfe Kritik.
"Der Grund für die Arbeitslosenquote ist schlicht, dass mehr Menschen aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen. Eigentlich würde die Quote bei elf Prozent liegen."
Ganz unrecht hat der Republikaner nicht. Tatsächlich haben viele Amerikaner die Jobsuche aufgeben, sie tauchen genau so wenig in der Statistik auf, wie diejenigen, die eigentlich einen weiteren Job brauchen, weil sie unterbezahlt sind.
Unterm Strich wird deutlich: Die US-Wirtschaft hat sich zaghaft erholt, aber die Menschen haben kaum etwas davon. Denn es fehlt noch immer an Langzeitarbeitsplätzen und ausreichenden Löhnen. Und das gerade aufgebaute Wachstum droht schon wieder in sich zusammenzufallen. Der Grund dafür wird überall diskutiert, es ist die sogenannte Klippe in der Finanzpolitik, das Fiscal Cliff.
Das "Fiscal Cliff" ist ein finanzieller Abgrund, der sich vor den Bürgern und der Wirtschaft auftut: Es geht dabei um massive Steuererhöhungen und Kürzungen im Haushalt, die zum Jahreswechsel auf einen Schlag inkraft treten. Aus Angst vor den Folgen entlassen Unternehmen bereits jetzt bis zu eine Million Arbeiter und stoppen ihre Investitionen. Das ist Gift für das Wirtschaftswachstum, es droht eine neue Rezession. Und weil die Änderungen so viele Bereiche betreffen, wird es für Politiker schwer, im Nachhinein die Folgen zu reparieren, vermutet Wirtschaftsexperte Mark Zandi.
"Auch die US-Notenbank könnte dann kaum noch gegensteuern. Das wissen die Unternehmen und sind deswegen völlig verunsichert."
Dabei haben der Kongress und die Obama-Regierung schon seit Langem die Möglichkeit, das Fiscal Cliff abzumildern. Doch vor dem 6. November wollen sie sich einfach nicht darauf einigen. Denn dann finden auch Wahlen zum Kongress statt – dort könnte es genauso neue Machtverhältnisse geben wie im Weißen Haus. Und die will man erst mal abwarten. So bleibt Amerika vor den Wahlen ein Land auf unsicherem Kurs.
Es ist Ende September und Barack Obama ist entspannt und bestens gelaunt: Bei einem Wahlkampfauftritt an einer High School in Las Vegas bejubeln ihn Tausende Zuschauer. Das Präsidentschaftsrennen scheint zu diesem Zeitpunkt fast gelaufen, denn obwohl der amerikanische Wirtschaftsaufschwung weiter recht mau aussieht, kann der Wirtschaftsfachmann Mitt Romney kein Kapital daraus schlagen, seine Kampagne kommt einfach nicht richtig in Schwung. Obama liegt in den Umfragen vorn: landesweit und in den meisten wichtigen Swing States. Doch dann kommt die erste Fernsehdebatte der beiden Präsidentschaftskandidaten: Und Amerikas Linke sind dem Herzinfarkt nahe. Wo war Barack Obama an diesem Abend? Der Präsident wirkt lustlos, abwesend, er lässt sich von einem angriffslustigen Mitt Romney überfahren.
Hatte Obama einfach einen schlechten Tag? Oder war er zu arrogant und hat Mitt Romney unterschätzt? Was immer der Grund war, Obama bekommt die Quittung für seinen ganzlosen Auftritt. Romney holt in den Umfragen auf. Obama reagiert: Er greift in Debatte zwei und drei aggressiv an und geht jeweils als Sieger hervor. Trotzdem wird der Wahlkampf zum Kopf-an-Kopf-Rennen. Das ist nicht allein damit zu erklären, dass der Amtsinhaber Schwächen gezeigt hat. Mitt Romney ist stärker geworden, weil er sich in diesen Wochen vor der Wahl noch mal neu erfunden hat. Der Mann, der als sogenannter "Flip Flopper" verschrien ist, weil er seine Meinung häufiger wechselt als manche Leute die Socken, ist zunehmend Richtung Mitte gerückt, weg von den extremen Positionen aus dem Vorwahlkampf.
Auf einmal will er keine Steuersenkungen für Amerikas Superreiche mehr, keine schmerzhaften Einschnitte bei der Bildung, keine knallharte Einwanderungsreform und in der Außenpolitik vermeidet er kriegerische Töne. Und weil er es dazu auch noch schafft, persönlich menschlicher und sympathischer zu wirken, sieht Romney auf einmal wählbarer aus - für Frauen zum Beispiel.
Barack Obama diagnostiziert "Romnesie” – die Tendenz, alles zu vergessen, was man früher einmal versprochen hat. Aber der erstarkte Herausforderer lässt sich nicht aus dem Konzept bringen.
Obama habe außer Attacken nichts mehr zu bieten, so Romney, er sei ideenlos. Auch die amerikanischen Medien fragen, was eigentlich Obamas Pläne für eine mögliche zweite Amtszeit sind. Das 20-Seiten-Büchlein, das sein Lager Ende Oktober herausgibt, ist kaum mehr als ein Aufwasch alter Ideen. Aber auch Romney bleibt meist vage, was seine Pläne angeht. Das macht die Entscheidung nicht leicht für eine der kleinsten, aber wichtigsten Gruppen in diesem Präsidentschaftsrennen: die immer noch unentschlossenen Wähler.
Besonders viele der Unentschiedenen und der Wechselwähler leben in Ohio, dem am härtesten umkämpften Swing State. Einige von ihnen treibt es in die letzten wahlkampffreien Zonen hier. Auf das Kürbisfest im verschlafenen Städtchen Circleville zum Beispiel.
Neben den Buden mit Kürbispizza, Kürbishamburgern und Kürbisdonuts, steht eine Bühne: darauf die Stars des Festivals – die Riesenkürbisse. Ein rundlicher Mann präsentiert dem Publikum den Champion: ein massiges, oranges Gewächs mit einem Gewicht von 600 Kilogramm.
"Alles eine Frage der richtigen Samen und des Düngers."
Der 43-jährige Mann heißt Ceesou und arbeitet eigentlich beim Militär. Er ist einer der letzten unentschiedenen Wähler. Dieses Mal, sagt er, falle die Wahl wirklich nicht leicht, weil man sich zwischen zwei Übeln entscheiden müsse.
Ceesou wünscht sich, dass die nächste Regierung endlich aufhört, Geld zu verschwenden, das sie nicht hat. Denn zahlen müssten das am Ende Kinder und Enkelkinder. Das mache ihm Sorgen. Und die Präsidentschaftskandidaten arbeiten in Ceesous Augen nicht wirklich an einer Lösung des Problems. Er ist enttäuscht von Obama und Obama. Sie seien schlicht unglaubwürdig, findet er, und zieht sich deshalb zurück von dem Wahlkampftrubel. Abstimmen werde er auf jeden Fall, aber jetzt kümmere er sich erst mal um die Prachtkürbisse. Da gibt es wenigstens positive Rekorde zu vermelden.
"Rhode Island hat dieses Jahr den Weltrekord geknackt. Zum ersten Mal wiegt ein Kürbis damit über eine Tonne."
Um die unentschiedenen Amerikaner wie Ceesou noch irgendwie für sich zu gewinnen, mobilisieren die Wahlkämpfer die letzten Kräfte und die letzten Millionen. Die Bewohner der "Swing States" sind nicht zu beneiden in diesen letzten Tagen vor dem 6. November: Sobald sie den Fernseher anmachen, können sie dem Wahlkampf nicht entgehen. Sowohl Obama als auch Romney überziehen die wichtigsten Regionen des Landes mit einem echten Flächenbombardement an TV-Spots.
In besonders hart umkämpften Staaten laufen zurzeit jede Woche 6.000 bis 7.000 Wahlkampfspots und je näher der Wahltag rückt, desto mehr werden es. In manchen Staaten sind die Werbeflächen in besonders begehrten Programmen komplett von den Wahlkämpfern aufgekauft worden – die Menschen sehen hier nichts anderes mehr als Wahlwerbung: 90 bis 95 Prozent der Wahlwerbung sind negativ, vieles grenzt an Verleumdung. Insgesamt werden die beiden Kontrahenten und ihre Unterstützer bis zum Wahltag mehr als eine Milliarde Dollar für Werbe-Dollars ausgeben. Der gesamte Präsidentschaftswahlkampf könnte in der Endabrechnung 2,5 Milliarden Dollar kosten.
Das ist doch irre, kritisiert Barack Obama im NBC-Interview, aber natürlich spielt er das Spiel mit – schließlich will er seinem Konkurrenten das Feld nicht einfach überlassen. Es ist viel die Rede vom Geld als Machtfaktor in diesem Wahlkampf. Aber bewegen diese riesigen Summen wirklich etwas? Im Moment hat es eher den Anschein, als ob sie sich gegenseitig neutralisieren. Und viele Wähler fühlen sich längst mehr abgestoßen als angesprochen von den Spots. Sie haben geistig abgeschaltet, weil der Wahlkampf einfach viel zu lang und hässlich ist.
Geld wird diese Wahl wohl nicht entscheiden: Was also bleibt zu tun für Barack Obama und Mitt Romney in den letzten Tagen bis zum 6. November? Letztlich könnte derjenige die Nase vorn haben, der es schafft, mehr von der eigenen Stammwählerschaft an die Urnen zu bringen.
In letzter Zeit wechselt US-Präsident Obama öfter mal die Sprache und ist in Spanisch zu hören. Er will damit unbedingt die Latinos in Amerika erreichen. Viele von ihnen sind aus Mexiko eingewandert – über 50 Millionen leben in den USA. Von denen, die beim letzten Mal wählten, erhielt Obama zwei Drittel der Stimmen.
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"Ich sehe vor allem Angst bei den Leuten. Auch, weil einige Bundesstaaten der Polizei erlauben, jeden zu kontrollieren, der nur einen illegalen Eindruck macht. Deshalb trauen sich auch Latinos mit Papieren nicht mal mehr, ihre Kinder zur Schule zu bringen."
Präsident Obama wird auch an anderer Stelle Stimmen verlieren: bei den ärmeren und älteren Menschen. In einigen Bundesstaaten verlangen nämlich neue Gesetze eine besondere Form der Registrierung. Viele wissen das gar nicht oder ihnen ist der Weg zu den Behörden zu beschwerlich – abstimmen können sie also nicht. Aber auch Mitt Romney muss sich um seine Stammwähler Sorgen machen. Die sind teilweise irritiert von seinen wechselnden Positionen und fürchten, dass er nicht konservativ genug ist.
"Abtreibung soll erlaubt sein, wenn es um Inzest, Vergewaltigung oder das Leben der Mutter geht. Aber eigentlich sollen das die Gerichte entscheiden."
Die konservative Basis hatte Romney aber bisher auch deshalb unterstützt, damit ein konsequentes Abtreibungsverbot politisch festgesetzt wird. Und trotzdem: Der Herausforderer kann sich wohl auf seine Stammwähler verlassen. Denn für die meisten ist diese Abstimmung eine Schicksalswahl: Vor allem um Präsident Obama endlich abzuwählen.
In diesem November geht ein Amerika an die Wahlurnen, das so gespalten ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und egal, wer in den nächsten vier Jahren im Weißen Haus das Sagen hat: Es gibt wenig Hoffnung, dass sich das grundlegend ändert. Das lässt nichts Gutes erahnen für die Herausforderungen, vor denen das Land steht, und die dringend angepackt werden müssen: Haushaltsdefizit, Staatsverschuldung, reformdürftige Sozialsysteme. Weiteren politischen Stillstand wie in den vergangenen zwei Jahren können sich die USA nicht leisten. Aber werden es Republikaner und Demokraten tatsächlich schaffen, wieder zusammenzuarbeiten statt immer nur gegeneinander?
Wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird, wissen wir noch nicht – aber eines ist klar: Vor ihm liegt eine Aufgabe, um die er nicht zu beneiden ist.
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