In Schernikaus posthum erschienenem Buch "Legende" kommen vier Götter auf eine Insel, um den Menschen bei der "Errichtung des Glücks" zu helfen. Und auf der Kammerspielbühne des Deutschen Theaters ist für die "Ronald-M.-Schernikau Collage" eine hochragende Insel aus Alltagsgegenständen und Wohnutensilien im leeren Raum aufgebaut. Mit dem Heck eines Autos, denn Mutter und Sohn Schernikau flüchteten aus der DDR, ein Sofa steht neben Pissoir und Marxbüste, und über dem Gipfelausguck wechselt eine Ampel gelegentlich von Rot auf Grün, während unten die Zeile die Zeile "Ich bin's" leuchtet.
Schon Peter Baurs Bühnenbild, das im Hintergrund mit Plakaten und Bildern historisches Zeitkolorit aus Ost und West beisteuert, unterstützt die Erklärungen, mit denen Bastian Krafts Collage "Die Schönheit von Ostberlin" aufwartet. Meist chronologisch, oft aber auch von Rückblenden aufgelockert, wird Schernikaus Leben nacherzählt. Der Schwule, der Schriftsteller und der "letzte Kommunist", wie er in einer Biografie genannt wird, ist ein Mythos. Vor allem wegen seines Lebenslaufs. Denn der Schernikau siedelt noch am 1. September 1989 nach Ostberlin über.
Natürlich will Bastian Krafts Inszenierung eine Art Stolperstein auf dem Weg zu den Mauerfall-Jubelfeiern sein. Was der Abend aber kaum liefern kann mit Schernikaus Erlebnissen: Geboren in Magdeburg, als sechsjähriger mit der Mutter, einer Krankenschwester und SED-Genossin, im Kofferraum zum Vater in die Provinz bei Hannover geflüchtet Doch der Vater hat bereits eine neue Frau und neue Kinder. Das Coming-Out als Schüler mit folgendem Skandal, im Erfolgsbuch "Kleinstadtnovelle" verarbeitet, dann nach Westberlin in die Schwulenszene und in die SEW. Anschließend Studium der Literatur in Leipzig und später die Übersiedlung.
Schernikaus Lebenslauf im munteren Viererspiel mit Pathos, Witz und schrillen Effekten
Wer den Schriftsteller Schernikau nicht kennt, lernt ihn auch mit dieser Lebensreisen-Inszenierung nicht kennen. Und die politische Einschätzung der DDR bleibt äußerliche Behauptung. Einige verquere Bonmots und eher schräge politische Statements zwischen unfreiwilliger Komik und nur leichter Wahrheitsanmutung sind vor allem als Kommentar zu seinem Lebenslauf zu werten. Oder wirken wohlfeil, wenn sie, wie seine Warnung auf dem Schriftstellerkongress der DDR am 1.März 1990, wie eine Preziose vorgetragen werden:
"Wer die Gewerkschaft fordert, wird den Unternehmerverband kriegen. Wer den Videorekorder will, wird die Videofilme kriegen. Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen. Wer die Spaltung Europas überwinden will, der muss den Westen siegen lassen. Wir werden uns wieder mit den ganz uninteressanten Fragen zu beschäftigen haben. Etwa: wie kommt die Scheiße in die Köpfe."
Schernikaus Lebenslauf wird im munteren Viererspiel mit Pathos, Witz und schrillen Effekten vorgeführt. Kraft hatte den schönen Regieeinfall, Schernikau von gleich vier Darstellern spielen zu lassen. Allesamt mit blonden Langhaarperücken, flaumigem Oberlippenbärtchen und Brille. Sie teilen sich Begeisterung wie Zweifel der Figur, aber auch andere Rollen.
Wir erleben die Sehnsucht Schernikaus, auch Schlagersängerin sein zu wollen, als Verkleidungsalberei. Und sein für eine Tuntengruppe geschriebener Krimi "Die Schönheit" wird im Bauch der Insel mit Perücken- und Haltungswechseln vor einer Handkamera gespielt, worauf die Übertragung nach draußen wie eine Castorfiade wirkt.
Und wenn Bernd Moss als Schernikaus DDR-Mentor Peter Hacks dessen Texte gönnerhaft lobt und dabei Wiebke Mollenhauer, die nun einen Hund spielt, selbstvergessen krault, hat das auch wegen der Rollenwechsel der beiden sonst als zwei der vier Schernikaus agierenden Darsteller nicht nur spielerischen Witz.
Es ist ein unterhaltsamer, wenn auch ein wenig langatmiger Abend. So wirkt das alles durchaus unterhaltsam, aber es berührt eher wenig.
Über den Rahmen des Bühnenwirbels hinaus
Wäre da nicht die Schauspielerin Margit Bendokat. Die sitzt neben der Insel auf der Bühne und spricht die Erzählungen von Schernikaus Mutter, die dieser in seinem Buch "Irene Binz. Befragung" zu Literatur geformt hat. Wie Margit Bendokat aber mit ihrer schlichten, langsamen Erzählweise von der Mutter und ihrem Sohn erzählt, wie hier eine unbeirrbare Frau auch im Westen sie selbst bleibt, das gibt der Inszenierung einen Rahmen, der über ihren äußeren Bühnenwirbel weit hinaus geht.