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Ronald Pofalla, Ko-Vorsitzender des Petersburger Dialogs
"Sanktionen gegen Russland sind richtig"

Das deutsch-russische Verhältnis habe sich eindeutig verschlechtert, sagte Ronald Pofalla, Ko-Vorsitzender des Petersburger Dialogs, im Dlf. Die Sanktionen gegen Russland seien jedoch richtig. Eine Lockerung könne es nur geben, wenn die russische Seite bereit sei, auf die Ukraine und den Westen zuzugehen.

Ronald Pofalla im Gespräch mit Sabine Adler |
Ronald Pofalla, Vorsitzender des Petersburger Dialog
Pofalla sprach sich trotz des Widerspruchs aus Brüssel für den Betrieb der Pipeline Nord Stream 2 aus, da diese bei einem Kohleausstieg bis 2038 zwingend erforderlich werde (dpa/picture alliance/Marius Becker)
Sabine Adler: Ronald Pofalla, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bahn AG und Deutscher Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs. In dieser Funktion, Herr Pofalla, wollen wir eine knappe Woche vor dem Treffen nächste Woche in Bonn über die deutsch-russischen Beziehungen, aber nicht nur, sprechen, herzlich willkommen.
Ronald Pofalla: Guten Tag.
Adler: Vor ziemlich genau 20 Jahren ist Wladimir Putin in die russische Politik gegangen, ist Ministerpräsident geworden. Damit ist eine Zeit zu Ende gegangen, die Perestroika, die von Deutschen ja unglaublich begeistert aufgenommen wurde. Es hat eine Machtübergabe stattgefunden von Michal Gorbatschow an Boris Jelzin und dann eben von Boris Jelzin an Wladimir Putin. Kann man sagen, dass genau mit diesem Datum, Anfang August vor 20 Jahren, die deutsch-russischen Beziehungen den Berg runtergegangen sind?
Pofalla: Nein, das kann man ganz sicher nicht sagen. Nach meiner Wahrnehmung ist Michail Gorbatschow bedingt durch Perestroika und Glasnost verbunden worden am Ende ja auch mit der Hoffnung, die wir Deutschen immer gehabt haben, dass uns irgendwann auch die deutsche Einheit wieder ermöglicht wird.
Adler: Gut, das war das positive Kapitel.
Pofalla: Ja und Jelzin war, nachdem Gorbatschow dann politisch in Russland schwächelte, in seiner Anfangszeit ja eher der Stabilisator der Fortführung dieser Hoffnung auf ein insgesamt besseres Verhältnis zwischen Russland und Deutschland, Deutschland und Russland, und Jelzin seinerseits schwächelte ja eher in seiner Endphase. Putin war nach meiner Erinnerung dann vor 20 Jahren wiederum die Hoffnung, dass man, sagen wir mal, an dieser Entwicklung von Gorbatschow und des frühen Jelzin wieder anknüpfen kann. Putin ist damals auch, ähnlich wie Gorbatschow, mit viel Hoffnung verbunden worden.
Deutsch-Russisches Verhältnis "eindeutig verschlechtert"
Adler: Ja, damals, und jetzt in der Rückschau dieser 20 Jahre, würden Sie sagen, hat sich das deutsch-russische Verhältnis verbessert oder verschlechtert?
Pofalla: Naja, wenn wir das heute beurteilen, hat es sich eindeutig verschlechtert. Da muss man überhaupt nicht drum herum reden, aber ich habe ja Ihrer Einschätzung, dass es seit Putin nur schlechter geworden ist, nur deshalb widersprochen, weil im Ergebnis stimmt es heute, aber der frühe Putin hat ja nicht zu einer Verschlechterung der Beziehung beigetragen.
Adler: Der frühe Putin hat mit dem damaligen Kanzler, Gerhard Schröder, den Petersburger Dialog aus der Taufe gehoben. Die beiden haben immer noch ein inniges Verhältnis. Würden Sie sagen, dass dieses Instrument des Petersburger Dialogs, der von Anfang an immer ganz, ganz schwierig war, immer ein großes Bemühen war, wirklich die Zivilgesellschaften zusammenzubringen, – es ist nie gelungen –, dass das im Grunde genommen für die Katz war?
Pofalla: Nein, das genaue Gegenteil ist der Fall. Der frühe Petersburger Dialog war ja als Idee richtig, weil die Vorstellung von Kanzler Schröder und Präsident Putin damals war, nicht nur auf der Regierungsebene die Beziehungen zu verbessern, sondern auf der zivilgesellschaftlichen Seite, die Idee.
Adler: Was nicht gelungen ist.
Pofalla: Da würde ich auch widersprechen. Wir haben natürlich Schatten und auch Sonne. Also die Grundidee war richtig, und am Anfang war ja bis zur Krim-Krise über viele Jahre der Petersburger Dialog in den offiziellen Regierungskonsultationen integriert und Bestandteil, und er hat im Kern davon ja auch gelebt, dass beide Regierungen mit der Zivilgesellschaft über den Petersburger Dialog gesprochen haben, und das zählt ganz sicher zu den positiven Seiten des Petersburger Dialogs. Das, was sich seit der Krim-Annexion verändert hat, ist, dass der Petersburger Dialog nicht mehr Bestandteil der Regierungskonsultationen ist, weil es die Regierungskonsultationen nicht mehr gibt. Dann ist ja sogar in einem Jahr der Petersburger Dialog in seiner Jahreskonferenz ausgefallen, weil die Differenzen inhaltlicher Art so groß waren. Seit 2015 findet der Petersburger Dialog nun wieder statt und seit dieser Zeit bin ich Vorsitzender, und ich sehe zwischen 2015 und heute im zivilgesellschaftlichen Dialog sehr wohl Verbesserungen.
"Wir sind plural und versuchen bei den Russen dafür zu werben"
Adler: Herr Pofalla, es wurde immer auch gesagt, da haben Sie einen Auftrag von der Kanzlerin, von Angela Merkel, bekommen, sich um dieses Verhältnis zu kümmern und da zu retten, was zu retten ist. Würden Sie sagen, jetzt haben Sie ihre Schuldigkeit getan, jetzt reicht es mal langsam damit?
Pofalla: Nein, es fängt an, jetzt richtig Freude zu machen, weil ehrlicherweise in 2015 und 2016 war das Problem des Petersburger Dialogs übrigens gar nicht auf der Dialogebene zwischen deutscher Seite und russischer Seite. Es lag auf deutscher Seite und eigentlich fast ausschließlich auf deutscher Seite, weil es in Deutschland eine Diskussion darüber gab, ob der Petersburger Dialog sich erweitern müsste. Damals gab es nur 25 Mitglieder, und die deutsche Zivilgesellschaft, also insbesondere die NGO-Ebene auf deutscher Seite, wollte stärker im Dialog vertreten sein, und es gab Kräfte im damaligen Petersburger Dialog, die das nicht wollten. Wir haben dann verschiedene Reformschritte durchgeführt, heute sind wir 63 Mitglieder und decken quasi die komplette Ebene der deutschen NGOs ab. Und wir können uns heute als plurale Organisation, die nicht eine einzelne Meinung nur vertritt, darstellen und damit ja den Russen auch Vorbild geben. Wir sind plural und versuchen bei den Russen dafür zu werben, dass aus einer pluralen Meinungsvielfalt und auch aus Disput etwas Positives entstehen kann und geben damit Vorbild.
Adler: Ich will gerne noch mal einen Schritt zurückmachen zu den deutsch-russischen Beziehungen. Nächste Woche, am Dienstag, wird voraussichtlich das Europäische Parlament über die Kandidatur von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin abstimmen. Damit würde, sollte die Wahl dann positiv ausgehen für Frau von der Leyen, eine Kandidatin an der Spitze der EU stehen, die in Moskau nicht nur auf Freude und Zustimmung trifft, denn Frau von der Leyen ist nicht nur die Verfechterin einer Armee der Europäer, sondern sie steht auch für die Position, dass Putin nur einen harten Ton versteht. Das heißt, wird mit dieser Wahl das komplizierte Verhältnis, das angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und Russland, EU-Russland, noch mal angespannter?
Pofalla: Nein, unter keinen Umständen, die Betrachtung ist ja auch unfair. Wir vergleichen ja Putin auch nicht mit seiner früheren Vergangenheit, die er bei den Nachrichtendiensten gehabt hat. Frau von der Leyen war Familienministerin, Frau von der Leyen war Sozialministerin.
Adler: Als die sie jetzt nicht antritt. Jetzt tritt sie als Verteidigungsministerin an.
Pofalla: Ja, aber noch mal, als Putin Präsident wurde, war der Abstand zwischen seiner nachrichtendienstlichen Zeit und seiner Präsidentschaft auch kurz. Da hat doch keiner im Westen ihn bewertet.
"Ich halte die Sanktionen für richtig"
Adler: Also mit anderen Worten erwarten Sie eine gemäßigtere Haltung von Frau von der Leyen gegenüber Russland in diesem womöglich neuen Amt?
Pofalla: Nein, auch das will ich damit überhaupt nicht sagen, weil ich gar nicht weiß, wie Ursula von der Leyen darüber denkt. Ich habe mit ihr jetzt seit vielen Monaten nicht gesprochen, aber ich kann Ihnen meine Position sagen, die ich auch immer wieder vertrete. Ich halte die Sanktionen für richtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Westen richtig reagiert hat. Es kann nicht sein, dass ein Staat wie Russland auf europäischem Boden ein Teilgebiet eines anderen Landes völkerrechtswidrig annektiert und wir zur Tagesordnung übergehen. Es kann nicht angehen, dass ein Staat wie Russland einen Konflikt in der Ost-Ukraine mit militärischen Mitteln aufrechterhält, in dem bis heute Woche für Woche Menschen sterben, obwohl Putin die Waffen schweigen lassen könnte. Und es kann nicht richtig sein, dass wir akzeptieren, dass in einem Land wie Russland die Zivilgesellschaft, verglichen mit von vor einigen Jahren, weiter stark unterdrückt und eingeschränkt wird.
Adler: Jetzt haben Sie aber in dem Petersburger Dialog nächste Woche auch mit einer Delegation oder einer Arbeitsgruppe Wirtschaft zu tun, von der Sie so gut wissen wie ich und unsere Hörer natürlich, dass da die Forderung nach dem Ende der Sanktionen kommen wird. Es gibt die ostdeutschen Ministerpräsidenten, nicht die, aber die meisten ostdeutschen Ministerpräsidenten, unter anderem Ihre Parteikollegen in Sachsen, Herrn Kretschmer beziehungsweise Herrn Haseloff aus Sachsen-Anhalt, dann aber auch auf SPD-Seite Herrn Woidke, auch da, wie in Sachsen, steht er vor Wahlen, oder Frau Schwesig von Mecklenburg-Vorpommern, also ganz starke Allianz für die Aufhebung oder wenigstens Lockerung der Sanktionen, und das wird eine Forderung nächste Woche auch in der Wirtschaftsgruppe sein.
Pofalla: Davon bin ich überhaupt nicht überzeugt, weil ich ja mit der Wirtschaft immer wieder rede. Natürlich gibt es solche Stimmen. Ich erspare Ihnen jetzt, das gesamte Bundeskabinett und den Rest der Ministerpräsidenten in Deutschland aufzuzählen, die genau die umgekehrte Auffassung vertreten, weil Sie ja jetzt genau die Personen aufgezählt haben und mehr können Ihnen nicht einfallen, weil es nicht mehr gibt, die diese Auffassung vertreten.
Adler: Sigmar Gabriel vielleicht noch.
Pofalla: Am Ende auch nicht, also in seiner Außenministerzeit hat er diese Position nicht vertreten. Also so gesehen, sage ich mal, die überwiegende Mehrheit vertritt schon die Richtigkeit der Sanktionen. Es gibt eine beachtliche Minderheit, die das anders sieht, und darüber zu diskutieren ist ja auch völlig richtig. Ich kann Ihnen ja jetzt nur meine Position sagen und die ist klipp und klar. Die Sanktionen sind richtig. Die Sanktionen können nicht gelockert werden, bevor Russland nicht einen beachtlichen Schritt geht, und meine Lebenserfahrung von 40 Jahren Russland-Erfahrung ist, die Russen können mit klaren Positionen sehr viel besser umgehen als wir im Westen, und es wäre ein totales Zeichen der Schwäche, würden wir ohne irgendeine Veränderung auf der russischen Seite jetzt tatsächlich Teile von Sanktionen abbauen.
"Andere Einschätzung zu Russland in neuen Bundesländern"
Adler: Jetzt haben wir Landtagswahlen am 1. September in Sachsen und in Brandenburg, und das sind ja nicht von ungefähr die Positionen, die diese beiden Ministerpräsidenten da äußern. Ist das sozusagen Populismus in Richtung der etwas russlandfreundlicher gestimmten Ostdeutschen, dass solch eine Forderung zumindest erhoben wird?
Pofalla: Nein, überhaupt nicht. Das ist kein Populismus und dagegen würde ich ja sogar die in Schutz nehmen, die eine andere Auffassung als ich vertreten. Ich habe mit Ministerpräsident Woidke, ich habe mit Ministerpräsident Kretschmer darüber bereits verschiedentlich geredet. Ich habe Verständnis für deren Position, teile sie aber nicht. Mein Eindruck ist, dass die andere Position in den neuen Bundesländern auch daher rührt, weil in der ehemaligen DDR ein anderes Verhältnis damals zur Sowjetunion, heute zu Russland, auch emotional entstanden ist und dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer der Gründe ist, dass die erste Fremdsprache in der DDR Russisch war. Die erste Fremdsprache, ich bin West-Kind, bei uns war Englisch und die Zweite war Französisch, und ich kann mich noch an meine eigene Jugend erinnern, wenn man Englisch gelernt hat, hat man sich mit England befasst, der englischen Geschichte. Und so wird es mit Russland auch gewesen sein, und deshalb gibt es ein anderes Empfinden und eine andere Einschätzung zu Russland in den neuen Bundesländern, die ich ja respektiere, die ich aber nicht teile.
Adler: Ich würde auch gerne einhaken und widersprechen wollen. Wenn wir uns daran erinnern, an Russisch als erste Fremdsprache, ich komme aus dem Osten, ich habe das also sehr genau in Erinnerung, da war das eine sehr ungeliebte Sprache und der große Bruder war ein ungeliebter Bruder. Er war nämlich nicht nur Besatzungsmacht, er war eben mit all dieser Diktatur, mit den geschlossenen Grenzen und so weiter verbunden. Das heißt also, diese Erinnerung an die damalige Sowjetunion war ja mehrheitlich negativ geprägt, umso mehr muss das doch verwundern, dass es jetzt so eine komische Nostalgie gibt.
Pofalla: Mein Vater war in weißrussischer und in russischer Gefangenschaft über viele Jahre. Der lebt noch, der wird jetzt im September 94 Jahre alt.
Adler: Lebt wo?
Pofalla: In Emmerich-Elten, einem wunderbaren kleinen Ort an der deutsch-niederländischen Grenze und mein Interesse an Russland ist durch meinen Vater entstanden als Kind, weil er aus seiner Gefangenschaft berichtet hat. Und so komisch es klingt, der hat ja das ganze Leid und Elend des Zweiten Weltkrieges mitbekommen, am Ende auch einen Teil der Last getragen durch Kriegsgefangenschaft, und mein Vater liebt Russland. Auch da ist sozusagen das eigene Erleben ja eher ein negatives gewesen und trotzdem gibt es diese Liebe zu Russland. Bei meinem Vater ist es, und davon bin ich total geprägt bis heute, immer in dem Ausdruck geendet, es darf nie wieder Krieg geben zwischen Deutschland und Russland oder, ich würde es jetzt erweitern, zwischen Europa und Russland, und da stimme ich meinem Vater total zu.
"Bindungswirkung der großen Volksparteien nimmt ab"
Adler: Gut, da wird auch kaum jemand widersprechen, das ist völlig klar. Ich würde gerne noch mal auf die Landtagswahlen zurückkommen. Also, Sie sagen, nein, das hat damit nichts zu tun, also kein Populismus in Richtung ostdeutsche Wähler bei diesen Landtagswahlen. Was heißen aber verlorene Landtagswahlen für die CDU, für die SPD, für die Große Koalition, was bedeutet das?
Pofalla: Naja, die Große Koalition, jetzt ja nicht nur bei den drei anstehenden Landtagswahlen, sondern auch bei den Wahlen, die ja in der Zeit seit der letzten Bundestagswahl stattgefunden haben, die Europawahlen auch, haben ja gezeigt, dass die Bindungswirkung beider großen Volksparteien abnimmt. Die Europawahl hat Gott sei Dank zusätzlich gezeigt, das Interesse an Wahlen nimmt zu. Wir haben einen deutlichen Anstieg der Wahlbeteiligung gehabt. Und jetzt geht es darum, dass diese Große Koalition auch deutlich macht, was ist eigentlich das Ansinnen dieser Legislaturperiode, und ich finde, auch dieses Thema liegt auf der Hand. Wir haben einen Klimawandel, wir erfüllen die Klimaschutzziele nicht. Die Bundeskanzlerin hat zu Recht ein Klimakabinett gebildet, und es könnte doch die eigentliche Aufgabe der verbleibenden zwei Jahre bis zur dann turnusmäßigen Wahl zum Bundestag sein, dass diese Große Koalition jetzt das Fundament legt, dass wir die Klimaschutzziele, die wir international vereinbart haben, erreichen. Wenn ihr das gelingt, dann legt sie ein historisches Fundament, auf dem nachfolgende politische Generationen aufbauen können, und dann bin ich davon überzeugt, dass die Bindungswirkung zu beiden großen Volksparteien, was ich ja auch für richtig halte, wieder zunehmen wird.
Adler: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Ronald Pofalla, Vorstand bei der Deutschen Bahn AG, verantwortlich für Infrastruktur, das ist ein schöner Anknüpfungspunkt, kommen wir gleich noch mal dazu, und in der Eigenschaft aber als Lenkungsausschuss-Vorsitzender des Petersburger Dialogs, heute im Interview der Woche hier im Deutschlandfunk. Ich möchte ganz kurz bei der Großen Koalition und bei der Kanzlerin bleiben. Machen Sie sich Sorgen über den Gesundheitszustand von Frau Merkel?
Pofalla: Nein, ich habe aber auch keine Erkenntnisse vorliegen. Ich kenne ja nun die Bundeskanzlerin sehr gut, und sie hat ja auf diese dritte Situation reagiert. Man sollte das jetzt so nehmen, wie sie es gesagt hat: Es wird jetzt eine Übergangsphase geben. Und dann werden wir, glaube ich, da wieder die Angela Merkel erleben, wie wir sie kennen.
Adler: Werden wir Annegret Kramp-Karrenbauer als tatsächlich Kanzlerkandidatin, Nachfolgerin von Angela Merkel, bei der nächsten Bundestagswahl erleben, mal dahingestellt, wann sie sein wird?
Pofalla: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich befasse mich parteipolitisch, offen gestanden, mit diesen Fragen nicht mehr.
"Nord Stream 2 ist zwingend erforderlich"
Adler: Sähen Sie sie gerne?
Pofalla: Auch das halte ich für eine Frage, die ich gerne privat mit Ihnen erörtern kann, aber das geht ja die Öffentlichkeit nichts an, was ich jetzt privat denke. Ich halte mich aus diesen politischen Diskussionen, seitdem ich aus der Politik ausgeschieden bin, aus guten Gründen raus.
Adler: Sie sind Vorstand für Infrastruktur bei der Deutschen Bahn AG. Sie haben gerade vom Klimaschutz, von der Notwendigkeit, dass Deutschland da wirklich in die Puschen kommt, gesprochen. Können Sie diese Situation, nämlich mit ja auch einflussreichen Wirtschaftsgrößen Russlands zusammenzukommen in der nächsten Woche, können Sie über dieses Thema da auch mit denen sprechen, sind da Kooperationen eventuell sogar denkbar?
Pofalla: Naja, ich habe ja mit drei anderen, unter anderem Matthias Platzeck, Stanislaw Tillich und Frau Professor Praetorius, der Kohlekommission als Vorsitzender vorgestanden und wir haben ja, glaube ich, wirklich auch eine historische Einigung erzielt. Vom BDI bis Greenpeace hat es am Ende Zustimmung gegeben und wir haben gesagt, wir werden spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen und nach Möglichkeit, wenn es geht, auch 2035.
So, jetzt wird es übrigens beim Petersburger Dialog eine interessante Sitzung geben der Arbeitsgruppe Ökologische Modernisierung und der Arbeitsgruppe Wirtschaft, und alle Vorsitzenden der Kohlekommission werden in dieser gemeinsamen Arbeitsgruppensitzung mit den Russen unsere Überlegungen noch mal darstellen, warum wir unter Klimagesichtspunkten der Auffassung sind, wir müssen in dem genannten Zeitraum aus der Kohleverstromung aussteigen und sozusagen dann eine kohlefreie Energiewirtschaft in Deutschland haben. Wir werden sehr dafür werben, dass in Russland Vergleichbares passiert. Jetzt will ich Ihnen trotzdem noch einen anderen Zusammenhang sagen, der auch wieder das deutsch-russische und europäisch-russische Verhältnis betrifft. Das ist einer der Gründe, warum ich zum Beispiel für Nord Stream 2 bin, weil ja darüber auch politisch diskutiert wird.
Adler: Und die Dänen gerade ihre Vorbehalte noch haben.
Pofalla: Ja, skeptisch sind, Nord Stream 2 ist, wenn wir den Kohleausstieg bis 2038 machen, zwingend erforderlich, weil wir dann ja andere Energieträger brauchen, die den Grundlastbereich sichern. Dafür kommt dann nur Gas infrage, dann werden wir auf absehbare Zeit andere Gasmengen brauchen und benötigen, und die können wir am Ende ökologisch vertretbar und wirtschaftlich vertretbar nur im Zusammenhang mit Nord Stream 2 in der deutschen Gesellschaft garantieren. Das ist einer der Gründe, warum ich unter anderem auch für Nord Stream 2 bin.
Kein Faustpfand auf europäischer Seite
Adler: Ist Nord Stream 2 das Zugeständnis, die Möglichkeit, tatsächlich diese Pipeline dann in Betrieb zu nehmen, ist das dann sozusagen das allerletzte Unterpfand, was auf deutscher, was auf europäischer Seite noch vorhanden ist, um Präsident Putin in solchen Territorialfragen wie in der Ukraine, auch in anderen Fragen, irgendwie noch einigermaßen in der Hand zu behalten?
Pofalla: Naja, Nord Stream 2 ist ein solches Projekt nicht, weil die Bundesregierung, soweit ich das sehe, vertritt ja auch die Auffassung, dass die Pipeline richtig ist. Wie soll man ein Faustpfand in einer Sache nehmen, von der man aus unterschiedlichen Gründen auf russischer wie deutscher Seite der Auffassung ist, es ist richtig?
Adler: Weil man zum Beispiel darauf setzen kann, dass der Widerspruch nicht aus Deutschland, aber aus Brüssel kommt.
Pofalla: Naja, aber der Widerspruch aus Brüssel, ich will da jetzt rechtlich nicht darauf eingehen, ist ja am Ende nicht durchsetzbar. Die europäische Ebene kann bestimmte Erfordernisse erhöhen, dann steigen die Kosten des Betriebs von Nord Stream 2 und der Installation, aber es verhindert nicht Nord Stream 2. Also so gesehen gibt es dieses Faustpfand auch von europäischer Seite nicht. Nein, die Sanktionen wirken ja. Mir wird berichtet in vielen Gesprächen von der russischen Landbevölkerung, dass die Probleme mit der Versorgung von Naturalien immer schwieriger wird, weil die Naturalien ja Teil des Sanktionsmechanismus sind und es wirkt sich offensichtlich aus, oder nehmen Sie, notwendige Investitionen in Russland können nicht stattfinden, weil Russland durch die Sanktionen keinen Zutritt zum internationalen Finanzmarkt hat und die Eigenfinanzierung ungleich teurer ist als die Finanzierung über den internationalen Finanzmarkt. Das heißt, das was jetzt eigentlich an Transformation in Russland in der Wirtschaft, im Mittelstand stattfinden müsste, kann nicht stattfinden, weil Russland es nicht bezahlen kann. Putin hat es doch einfach. Es ist doch gar nicht schwer. Er müsste doch jetzt nur mal für drei, vier, fünf Monate nachweisbar die Waffen in der Ost-Ukraine ruhen lassen, und er hat Einfluss auf die Separatisten, die immer wieder die vereinbarten Waffenruhen brechen, und dann könnte man doch über erste Schritte zum Abbau von Sanktionen nachdenken, weil dann die russische Seite gezeigt hätte, dass sie sehr wohl bereit ist, hier auch auf die Ukraine und auf den Westen zuzugehen.
Adler: Aber der Westen hat ein ganz wichtiges Zeichen des Entgegenkommens ohne Gegenleistung gebracht, nämlich die Rückkehr ermöglicht in die parlamentarische Versammlung des Europarates. Russland hat das Stimmrecht wiederzurückerlangt, ohne dass sich in der Ukraine-Politik irgendetwas verändert hat. Das heißt also, Sie haben gesagt, Russland braucht diese eindeutigen Signale. Da kommt ja jetzt gerade eine ziemliche Zweideutigkeit ins Spiel.
Pofalla: Nein, überhaupt nicht, die Sache ist ja ambivalent. Ja, die Russen haben wieder Zutritt zum Europarat, aber ja, die Russen müssen damit auch akzeptieren, dass aus der russischen Gesellschaft heraus die Zivilgesellschaft klagen kann und dann Rechte erstreiten kann, die sie in der russischen Justiz niemals bekäme.
"Fundament für Stabilität"
Adler: Herr Pofalla, nächste Woche, wenn der Petersburger Dialog in Bonn zusammentritt, wird Stefanie Schiffer, die Vorsitzende der Europäischen Plattform für demokratische Wahlen, mit teilnehmen können. Beim letzten Petersburger Dialog im vorigen Jahr konnte sie nicht teilnehmen. Der hat in Russland stattgefunden, sie hat kein russisches Visum bekommen, weil ihre Organisation auf der Liste der feindlichen Agenten ist. Stefanie Schiffer ist nicht irgendeine Person, sie ist im Vorstand des Petersburger Dialogs, der ja ein ausgewiesenes Diskussionsforum für die Zivilgesellschaften sein soll. Das heißt, da wird von höchster russischer offizieller Seite dieser Dialog boykottiert. Was unternehmen Sie?
Pofalla: Das ist nicht akzeptabel, deshalb werde ich auch selber diesen Fall der EPDE wieder in Bonn ansprechen. Ich bin für Frau Schiffer und für die EPDE auch informell unterwegs und ich habe den Optimismus, dass wir dieses Problem im Zusammenhang mit dem EPDE in den nächsten zwölf Monaten wegbringen. Für mich, um es klipp und klar zu sagen, ist der Umgang der russischen Seite mit Frau Schiffer und der Umgang mit der EPDE absolut inakzeptabel.
Adler: Und es sind neue Fälle schon wieder anhängig, es gibt eine neue Klage zum Beispiel gegen eine Mitarbeiterin von Chodorkowski, also der von dem ehemaligen russischen Oligarchen finanzierten Open Russia Organisation. Also diese Kette geht immer weiter. Ich möchte Ihnen zum Schluss dieses Interviews der Woche eine Frage stellen…
Pofalla: Ich würde noch gerne dazu was sagen. Wir haben aber schon Erfolge. Ich habe noch als Kanzleramtsminister im Jahre 2013 mich dafür eingesetzt, dass der damalige Vorsitzende von Greenpeace in Russland, der inhaftiert war, freikommt. Der ist jetzt Mitglied des Petersburger Dialogs auf russischer Seite. Eine gewisse Beharrlichkeit und Sturheit, die man mir ja auch nachsagt, zahlt sich manchmal aus.
Adler: Vielleicht möchte Sie auch jemand beschäftigt halten auf russischer Seite.
Pofalla: Ja, aber wenn es ja zu solchen Erfolgen beiträgt, lasse ich mich gerne beschäftigen. Das ist schon der Mühe wert.
Adler: Fazit, deutsch-russische Beziehungen, sind die ein Faktor für Stabilisierung oder weitere Eskalation?
Pofalla: Wenn wir die Gespräche nicht abbrechen lassen, sind sie eher am Ende ein Fundament für Stabilität.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.