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Rosa und die Schweinebucht

Belgrano Rawsons Roman "Rosas Stimme" handelt vom Desaster beim Versuch einer Invasion in der Schweinebucht im April 1961. Bis heute ist das der spektakulärste Versuch, die Kommunisten unter Fidel Castro zu vertreiben. Sein dramatischer und spannender Roman ist gleichzeitig eine schwarze Komödie.

Von Michael Schmitt |
    Sinngemäß hat einmal jemand erklärt: Wer eine Verschwörungstheorie im Kopf hat und offene Ohren und Geld sucht, um ihr nachzuhängen, der solle sich an den CIA wenden - dort werde er gewiss Unterstützung finden. Ganz falsch kann das nicht sein, der CIA hat sich bekanntlich an vielen dubiosen Aktionen beteiligt und im Nachhinein nie besonders gut ausgesehen. Und trotzdem gilt wohl, was auch der argentinische Schriftsteller und Journalist Eduardo Belgrano Rawson schreibt: "Wenn es um "die Firma" - also den CIA - geht, rechnen die Menschen mit dem Schlimmsten, aber das tut ihrer Begeisterung für sie keinen Abbruch."

    Diese "Firma" spielt in Belgrano Rawsons Roman "Rosas Stimme" dementsprechend eine wichtige Rolle, und das wird niemanden wundern, denn dieses Buch, 2005 in Buenos Aires erschienen und nun von Lisa Grüneisen aus dem Spanischen übersetzt, handelt von Kuba, vom Desaster beim Versuch einer Invasion in der Schweinebucht im April 1961. Bis heute ist das der spektakulärste Versuch - nach mancherlei oft bizarren Attentatsplänen - die Kommunisten unter Fidel Castro zu vertreiben. Es ist Teil der Folklore, die sich um Kuba rankt, seit Hemingway, Graham Greene und viele andere ihre Geschichten über die Insel und speziell auch über das Leben zur Zeit des Zusammenbruchs der Diktatur Battistas erzählt haben. Und all das bekommt in Eduardo Belgrano Rawsons Roman eine kleine Rolle, alles und jeder wird zum Teilchen in dem Mosaik, das er ausbreitet.

    Der historische Kern, die Ereignisse in der Schweinebucht, sind leidlich bekannt: Mit Unterstützung durch die US Navy versuchen Exilkubaner und Söldner aus der Luft und über das Meer eine Invasion auf der Insel; sie scheitern, die Schiffe werden teilweise versenkt, die Landungstruppen werden eingekesselt, die Flugzeuge und Fallschirmjäger werden abgeschossen. Eine Katastrophe in militärischer Hinsicht - eine Farce und eine Blamage auf der Bühne der Weltpolitik.

    Eduardo Belgrano Rawson antwortet darauf mit bissigem Humor, mit einem Roman, in dem es passagenweise spannend und dramatisch zugeht, der aber eigentlich, auf eine nur schwer fassbare Weise, die historischen Vorfälle nicht so richtig ernst nehmen will. "Magischer Realismus" ist dafür jedenfalls nicht das richtige Wort - er dekonstruiert er auf eine abgefeimte Art das ganze Spektakel. Er betreibt großen Aufwand und fügt ungezählte Stimmen, Schicksale und Episoden zusammen; er findet Platz für Jury Gagarin, der gerade in diesen Tagen im All um die Erde kreist; oder für eine ganze lange Reihe mehr oder weniger verrufener Regierungschefs in Süd- und Mittelamerika; für deren Söldner und Strippenzieher oder für die Waffengeschäfte von Peron. Er zieht seine Fäden sogar weiter bis ins Jahr 2001 zu den Selbstmordattentätern vom 11. September, denn die sind in der gleichen Flugschule bei Miami ausgebildet worden, wie manche der Akteure von der Schweinebucht. Aber was für ein Bild zeichnet er damit insgesamt? Eine große Zusammenschau des Terrors und der Willkür? Eigentlich nicht - eher nur eine schwarze Komödie.

    "Rosas Stimme" ist durchaus eine Abhandlung über das politische Schicksal der Karibik und Mittel- und Südamerikas im Schatten der USA, aber wenn die Ereignisse in der Schweinebucht eines sicher belegen, dann dies: All das ist eine ununterbrochene Abfolge von Schwächen, Inkompetenz, Improvisation, von Zufällen und natürlich auch : von sehr viel Zynismus.

    Eduardo Belgrano Rawson hat sorgfältig recherchiert. Aber er folgt den Ereignissen und seinen Charakteren insgesamt eher assoziativ, teilweise in wilden chronologischen Sprüngen. Der Roman scheint zuweilen vom Hölzchen zum Stöckchen zu treiben - aber nach und nach legen sich die Kapitel dann doch wie konzentrische Kreise um das zentrale Ereignis.

    Auf diese Konzeption muss der Leser sich einlassen, auch wenn sich dabei zuweilen bei der Lektüre das Gefühl vom "Dunkel des gelebten Augenblicks" einstellt. Man liest von Kubanern, die es vierzig Jahre lang nicht schaffen, nach Florida zu fliehen; von Piloten in schrottreifen Flugzeugen, die die Invasionsflotte angreifen, darunter ausrangierte Bananenfrachter der United Fruit Company; von versprengten Invasoren, die in einem Boot im Meer treiben und zu Kannibalen werden, um zu überleben; von einem zehnjährigen Mädchen, das als Lehrerin im Rahmen von Castros Alphabetisierungskampagne einem alten Mann in einer entlegenen Hütte Lesen und Schreiben beibringen soll.

    Nichts an diesen Charakteren ist großartig oder herausragend, aber alle zusammen sind sie in ein Ereignis verwickelt, von dessen Bedeutung sie zwar keine Vorstellung haben, dem sie aber trotzdem ihren Stempel aufdrücken. So unterläuft der Roman jedes Pathos, und so öffnet er den Blick für den Schrecken im einzelnen wie für das Lächerliche im Ganzen.

    Schon im Prolog lässt Eduardo Belgrano Rawson diese unernste, geradezu plaudernde Seite des Romans anklingen, um sein Spiel dann von Kapitel zu Kapitel weiter zu treiben: Der fiktive Erzähler hat lange eigentlich nur einen Comic über sein Thema zeichnen wollen - aber kein Verleger in Buenos Aires hatte daran Interesse. Erst nach und nach ist dann ein richtiges Buch daraus geworden, dessen zentrale Figur geradezu idealtypisch für die Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten steht: die Radiomoderatorin Rosa, deren Stimme in der Aprilnacht über den Äther die verschlüsselten Botschaften für die Invasoren verbreitet, steht im Dienst des CIA bei einem Sender, der nur für solche Aktionen aufgebaut worden ist. Sie war einmal die beliebteste Hure in Havanna, hat sich für die Generäle, mit denen sie ins Bett gegangen ist, dreimal das Jungferhäutchen wieder zunähen lassen und sie hat ungefähr 500 weitere Soldaten irgendwann einmal glücklich gemacht. Ab und an in dieser Nacht und in diesem Roman hört man ihre Stimme - und die macht die Männer immer noch richtig scharf. Am Morgen danach aber gibt es den Sender schon nicht mehr -- und von Rosa hat seither nie wieder irgendwer gehört.