"Die generelle Linie ist, dass wir uns etwa an bestimmten wichtigen Daten orientieren. In diesem Jahr haben wir das 200-jährige Jubiläum der Komposition von 'Ricciardo e Zoraide'. Dann wollen wir Werke spielen, die sonst seltener zu sehen sind. 'Adina' wurde in Pesaro bislang nur zweimal gespielt. Wir möchten die Strukturen, die sehr gut funktionieren und die sich als erfolgreich erwiesen haben, nicht verändern."
Der Tenor Ernesto Palacio ist seit dem Tod des legendären Dirigenten, Musikwissenschaftlers und Pädagogen Alberto Zedda künstlerischer Leiter des Rossini Opera Festival in Pesaro. Und seit dem Rückzug des Festival-Gründers und langjährigen Intendanten Gianfranco Mariotti im Mai dieses Jahres hat Ernesto Palacio auch diese Position inne.
Drei verschiedene Welten Rossinis
Vier Opernproduktionen bietet Pesaro in diesem Jahr: Neben der alljährlich von der Festival eigenen Sänger-Akademie gespielten Oper "Il viaggio a Reims", den Klassiker "Der Barbier von Sevilla" und zwei selten zu hörende Werke, den Einakter "Adina" und die zur Zeit der Kreuzzüge spielende Oper "Ricciardo e Zoraide".
"Wenn man diese drei Opern, 'Adina', 'Ricciardo e Zoraide' und den 'Barbiere' sieht, lernt man wirklich drei verschiedene Welten Rossinis kennen. Die Musik ist stilistisch so unterschiedlich, dass man die Größe dieses Komponisten verstehen lernt."
Sagt Intendant und künstlerischer Leiter Ernesto Palacio.
Musik: Rossini, "Ricciardo e Zoraide"
"Die Handlungen sind nicht von Shakespeare geschrieben (lacht). Es sind einfache Situationen, zwei Herren lieben dieselbe Dame, und am Ende gewinnt die Liebe. So schlicht ist das bei 'Ricciardo e Zoraide'. Adina hat einen Liebhaber und einen Verehrer. Dieser Verehrer entpuppt sich am Ende als der verloren geglaubte Vater von Adina, und wir haben ein glückliches Ende."
Musik: Rossini, "Adina"
Ein Ohrenschmaus: "Adina oder der Kalif von Bagdad"
Besonders die nur etwa 75-minütige Farsa "Adina oder der Kalif von Bagdad" überzeugte als Werk und als Produktion. Wie "Ricciardo e Zoraide" 1818, zwei Jahre nach dem legendären "Barbiere" komponiert, versorgt der damals erst 26-jährige Rossini sein Publikum mit all seinen kompositorischen Künsten in extrem konzentrierter Form: fantasievolle Orchesterfarben, schnelle Szenenwechsel, geschickte Vernetzung der Arien, Duette, Ensembles und Rezitative. Jede Partie hat virtuose Koloraturen und lyrische Passagen. Ein Ohrenschmaus.
Musik: Rossini, "Adina"
Mit der amerikanischen Sopranistin Lisette Oropresa als Adina und dem italienischen Bariton Vito Priante als Kalif waren die beiden Hauptrollen gut besetzt, nur zuweilen hätte man sich in der Adina-Partie etwas mehr Rossini-Leichtigkeit und dynamische Schattierungen gewünscht. Ähnliches gilt für den südafrikanischen Tenor Levy Sekgapane als Liebhaber Selimo, der sich aber gleichwohl bei seinem Pesaro-Debüt mit Koloraturen-Flexibilität empfahl.
Musik: Rossini, "Adina"
Regisseurin Rosetta Cucchi versetzte die turbulente Handlung in eine bunt-kitschige Zauber-Zuckerbäcker-Fantasiewelt. Das Domizil des Kalifen war eine dreistöckige Hochzeitstorte, an der ständig verziert und herumgeturnt wurde. Doch die Überzeichnung behielt das Maß und war so eine passende Umsetzung dieser quirligen Farsa. Und mit dem Venezolaner Diego Matheuz stand ein inspirierter und souveräner Dirigent am Pult des in Pesaro ansässigen Orchestra Sinfonica Gioacchino Rossini.
Musik: Rossini, "Adina"
Abendfüllende Oper "Ricciardo e Zoraide"
Anders als die kurze Farsa "Adina" ist "Ricciardo e Zoraide" eine abendfüllende Oper, die allerdings nicht durchgehend die Höhe des großen "Barbiere" hat. Dennoch Rossini schrieb den Sängern technisch und musikalisch herausfordernde Partien in die Kehlen. Es gibt mehrere anspruchsvolle Tenorrollen, die in Pesaro alle gut besetzt waren. Dabei standen Sergey Romanowsky und Xabier Anduaga dem peruanischen Star Juan Diego Florez in nichts nach.
Stärker noch überzeugte die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende als Zoraide. Sie hatte den funkelnden Esprit und die federnde Leichtigkeit, die man sich für Rossini wünscht.
Musik: Rossini, "Ricciardo e Zoraide"
Über die einfallslose, konventionelle Regie des vom Ballett kommenden Regisseurs Marshall Pynkoski hüllt man besser den Mantel des Schweigens. Er bekam seine Buhs vom Publikum. Figurenprofilierung, Bewegungsregie, szenische Spannung wurden schmerzlich vermisst, und auf einige der zahlreichen aufgepfropften Ballett-Einlagen hätte man gern verzichtet. Leider fehlte auch Dirigent Giacomo Sagripanti der nötige Esprit am Pult des gleichwohl Rossini-versierten Orchestra Sinfonica della Rai. So lagen die Stärken von "Ricciardo e Zoraide" eindeutig bei den Sängern.
Außerdem war es hoch spannend in diesem Werk, etwa an den subtil angelegten Ensemble-Szenen zu verstehen, wie sehr Rossini sich von Mozart anregen ließ, aber auch wie sehr sich nachfolgende Komponisten – darunter etwa Donizetti oder Verdi - von Rossini inspirieren ließen. Insofern lernt man in Pesaro auch immer etwas über die operngeschichtlichen Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts.