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Rot-grüner Brückenschlag

Der Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz steht. Die Grünen haben dem umstrittenen Bau der Hochmoselbrücke zugestimmt. Auf dem Sonderparteitag am Wochenende könnte die grüne Basis die Entscheidung noch kassieren, doch die Moselanwohner stellen sich schon auf den Bau ein.

Von Ludger Fittkau |
    Claudia Seidel sitzt in der offenen Seitentür eines Bullis und lässt sich die wärmende Mai-Sonne ins Gesicht scheinen. Die Winzerin gönnt sich eine Pause bei der Arbeit im Weinberg bei Zeltingen-Rachtig an der Mosel. Der Bulli steht am Straßenrand direkt unterhalb des Weinbergs, der an dieser Stelle steil ansteigt. So steil, das hier keine Maschinen mehr eingesetzt werden können. Die würden glatt umkippen. Claudia Seidel und ihre Helfer müssen hier alles mit der Hand machen.

    Doch schwere Maschinen sind trotzdem ganz in der Nähe. Gleich oberhalb des Weinbergs auf dem Zeltinger Plateau planieren Bagger bereits die Zufahrt zur sogenannten Hochmoselbrücke, die hier in 170 Metern Höhe und fast zwei Kilometern Länge über den Fluss gespannt werden soll. Sehr zum Entsetzen von Claudia Seidel:

    "Das sieht man gut, da oben im Wald ist schon alles platt gemacht. Und wenn Sie hier hoch laufen sollten, aufs Zeltinger Plateau, da ist schon alles niedergemacht bereits."

    Himmelreich, Schlossberg und Sonnenuhr - so heißen die Riesling-Lagen des Zeltinger Top-Weingutes Selbach-Oster, für das Claudia Seidel arbeitet. Sie und viele ihrer Winzerkollegen vor allem in Rachtig und Ürzig haben Angst, dass durch die Abholzungen oberhalb der Weinberge der für den Rebenanbau wichtige Wasserhaushalt im Berg durcheinander gerät. Die Riesling-Sorten, die hier angebaut werden, sind weltweit berühmt. Außerdem befürchten die Winzer international einen Imageschaden für den Moselriesling:

    "Ich hoffe nicht, aber nach dem wie sich ja der 'Wine-Spectator' und weiß der Geier was, alle möglichen Weinkritiker haben sich ja kritisch dazu geäußert und meinten, dass es sich eventuell negativ auswirken wird für die Vermarktungsmöglichkeiten hier speziell von der Mittelmosel, von dieser Region dann halt. Aber das wird die Zukunft zeigen, das kann man schlecht vorhersagen, wie sich das entwickelt."

    Um die 20 Prozent der Stimmen hatten die Grünen hier in den konservativen Weinorten bei der Landtagswahl bekommen. Viele hofften, die Grünen könnten in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD die Brücke noch stoppen. Doch weil bereits Aufträge für mehr als ein Drittel des Bauvolumens von 330 Millionen Euro vergeben waren und viele Arbeiten an den Zufahrten zur Brücke bereits weit vorangetrieben, wollte Kurt Beck das Projekt nicht mehr aufhalten. Auch deswegen, um den eigenen Genossen an der Mosel und der regionalen Wirtschaft seine Verlässlichkeit zu demonstrieren.

    Außerdem hat er es nun geschafft, den Unmut der Brückengegner auf die Grünen zu lenken. Denn die Grünen hatten im Wahlkampf versprochen, alles zu tun, um die Brücke noch zu stoppen. Beck blieb hart, die Grünen wollten die Koalition am Hochmoselübergang wohl nicht scheitern lassen. Doch ihre Wähler an der Mosel sind nun enttäuscht. Der erfahrene Polit-Profi Beck ist an diesem Punkt der klare Gewinner des Koalitionspokers, das sieht auch die Winzerin Claudia Seidel so:

    "Was sollen die Grünen da ausrichten? Von Anfang an ist halt alles schief gelaufen. Im Planfeststellungsverfahren hätte es abgewürgt werden müssen."

    Christine Reis-Keller telefoniert hinter dem Tresen des gemütlichen Hotels "Zeltinger Hof" mit einem Kunden, der mit einer Kleingruppe ein Wochenende an der Mosel verbringen will. Ihre Familie hat sich stark gegen den Hochmoselübergang engagiert. Christine Reis-Keller lässt sich nicht anmerken, dass sie nach dem Brückenbaubeschluss der künftigen Mainzer Landesregierung tief enttäuscht ist - vor allem über die Grünen. Dennoch will sie noch nicht endgültig den Stab über der Partei brechen:

    "Natürlich wurden die Grünen auch gewählt von den Bürgern dieser Orte hier, weil da Hoffnungen mit verbunden waren. Aber die Grünen stehen ja nicht nur für den Hochmoselübergang, sondern auch für eine andere Politik und die wünscht sich Rheinland-Pfalz einfach, denke ich mal."

    Für Zeltingen-Rachtig in Zeiten des Brückenbaus fordert Christine Reis-Keller: Nicht resignieren, sondern investieren. In sanften Tourismus, in Infrastruktur für Radfahrer und neue Wanderwege. Doch werden die Touristen auch weiterhin kommen, wenn die Brücke das Landschaftsbild bei Zeltingen verändert? Draußen auf der Straße diskutiert das eine Kölner Reisegruppe:

    "Ne Brücke würde uns aber nicht stören als Touristen. Wenn der Verkehr nicht immer nur durch den Ort geht, sondern mehr über die Brücke, finde ich gut."

    "Wir kriegen ja auch nix von dem Lärm und den Arbeiten mit, wenn wir einmal im Jahr hierher kommen. Aber die Anwohner wird es schon stören, ne.""Mehr Straßen und mehr Brücken, umso mehr Verkehr kommt auf die Menschen hier zu. Und das ist vielleicht nicht empfehlenswert."

    Zehn Jahre lang soll an der Brücke gebaut werden - wie die Touristen in dieser Zeit reagieren, weiß noch niemand so recht. Viele im Ort trösten sich damit, dass dann, wenn die Brücke einst fertig sein wird, weniger Schwerlastverkehr durch das Tal rollt: Wie Ursula Tross, die an diesem Morgen hinter dem Tresen der Zeltinger Bäckerei steht, sehen es hier manche:

    "Es fahren dann nicht mehr so viele LKW durch die Straßen und durch die engen Moseldörfchen, und ich denke, dass die Dörfer und auch die Landstraßen ziemlich entlastet werden durch die Brücke."

    Das ist kein Trost für die Winzerin Claudia Seidel, die ihre Frühstückspause auf der Straße unter dem Weinberg beendet. Doch sie weiß nicht, was man jetzt noch gegen den Hochmoselübergang unternehmen soll:

    "Wenn sie bauen wollen, dann bauen sie. Widerstand hin oder her. Sollen wir eine Bombe werfen? Wir sind doch keine Terroristen (lacht)."