Lafontaine betonte, immer vor Wahlen stünden Veränderungen in der Politik an. In den Programmen von SPD, Grünen und Linken für die Bundestagswahl 2013 habe es viele Gemeinsamkeiten in der Steuer- und in der Sozialpolitik gegeben. "Aber in der praktischen Politik haben SPD und Grüne nicht immer unbedingt diese Ziele verfolgt." Bis zum heutigen Tag habe sich daran nichts geändert.
Zu Berichten, wonach er selbst ein Hindernis für ein rot-rot-grünes Bündnis sei und noch alte Rechungen mit der SPD offen habe, meinte Lafontaine, es belustige ihn, wenn er so etwas lese. "Auf die Idee, dass jemand tatsächlich für soziale Gerechtigkeit eintritt und dass jemand eine Friedenspolitik tatsächlich für besser hält als ständige Interventionskriege, kommt so gut wie kaum jemand." Er sei in dem Sinne ein Hindernis, als er nicht bereit sei, etwa Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit aufzugeben.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Martin Zagatta: Neuerdings heißt das R2G, ein Kürzel für zweimal Rot und einmal Grün, also was man bisher ein rot-rot-grünes Bündnis genannt hat, eine Koalition, ein Bündnis zwischen SPD, der Linkspartei und den Grünen. Spekulationen über so ein solches auf Bundesebene bisher kaum für möglich gehaltenes Bündnis schießen ins Kraut oder werden auch geschürt, seit sich kürzlich knapp 100 Politiker dieser drei Parteien getroffen haben. Und jetzt auch wieder, nach dem Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch erklärt hat, schon nächste Woche könnte Angela Merkels Kanzlerschaft beendet sein und Sigmar Gabriel ihr Nachfolger werden, wenn man nur wolle, mit einem, was rechnerisch ja möglich wäre, mit einem Misstrauensvotum. Ist das tatsächlich ernst gemeint, dieses Gerede von einem rot-rot-grünen Bündnis oder ist das Klamauk?
- Das kann ich jetzt den Linkspolitiker Oskar Lafontaine fragen, Oppositionsführer im Saarland, der einst spektakulär der Bundesregierung und dann auch der SPD den Rücken gekehrt hat. Guten Morgen, Herr Lafontaine!
Oskar Lafontaine: Guten Morgen!
Zagatta: Herr Lafontaine, wenn man in die Zeitungen schaut, dann heißt es da immer wieder, Sie, Oskar Lafontaine, seien wegen ihrer SPD-Vergangenheit ein Hindernis für ein solches R2G-Bündnis. Bevor wir darüber sprechen, ob Sie sich als ein solches Hindernis fühlen, doch erst die Frage: Die Kanzlerin stürzen schon in der nächsten Woche, Sigmar Gabriel zum Kanzler machen – solche Äußerungen aus Ihrer Parteiführung, ist das ein Ringen um Aufmerksamkeit, ist das Klamauk oder was ist das?
Lafontaine: Das ist zunächst der Hinweis – auch ich habe das schon 2005 immer gesagt, ihr könnt ja morgen den Kanzler wieder stellen –, dass es eine Mehrheit gibt für eine Politik, die Sie als rot-rot-grün bezeichnen. Wobei ich schlicht und einfach darauf hinweisen muss, dass viele darüber reden, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was das inhaltlich heißt. Wenn solche Angebote gemacht werden, weist das darauf hin, es gibt eine Mehrheit von SPD, Grünen und Linken im Bundestag. Und der Kern ist aber nicht die Frage, wer Kanzler wird, sondern der Kern ist die Frage, was kann man für die Menschen an Verbesserungen erreichen, also bei Renten, bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Krankenversicherung, bei den Steuern und so weiter. Es ist leider bedauerlich, dass immer nur über Personen gesprochen wird anstatt über den Kern der Politik, was können wir für die Menschen tun.
Zagatta: Aber da scheint man ja nicht zusammenzukommen, diese Mehrheit gibt es ja seit der Bundestagswahl. Hat sich da jetzt seither irgendetwas verändert, dass das Thema jetzt so spektakulär hochgezogen wird?
Lafontaine: Immer vor Wahlen gibt es Veränderungen in der Politik. Wir hatten ja 2013 Bundestagswahlen, dann hätte man die Programme von SPD, Grünen und Linken nebeneinanderlegen können. Und da hätte man sehr, sehr viele Gemeinsamkeiten gefunden, etwa in der Steuerpolitik und in der Sozialpolitik, aber in der praktischen Politik der letzten Jahre haben SPD und Grüne eben nicht unbedingt diese Ziele verfolgt. Die Steuerpolitik wurde sehr schnell abgeräumt, sowohl bei SPD als auch Grünen – ich nenne nur mal als Stichwort die Vermögenssteuer –, und bis zum heutigen Tage hat sich ja daran leider nichts geändert. Denken Sie an die zähen Verhandlungen um die Erbschaftssteuer, wo eben schlicht und einfach immer wieder die Wirtschaft sich durchsetzt und Erbschaftssteuergesetze verhindert, wie sie etwa in den USA oder in Großbritannien selbstverständlich sind. Und diese Politik wird von SPD und Grünen mitgetragen – bei der SPD in der Regierung, in der Bundesregierung, bei den Grünen über die Bundesländer. Und das sind natürlich Hürden, die genommen werden müssen. Wir können nicht den Kern unserer Politik aufgeben, der heißt nun einmal soziale Gerechtigkeit. Und die soziale Gerechtigkeit vermittelt sich auch über die Steuerpolitik. Man kann nicht eine Steuerpolitik betreiben – und das tun wir seit vielen Jahren in Deutschland –, in der die Reichen mehr oder weniger von der Aufgabe freigestellt werden, zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe beizutragen.
Zagatta: Das ist ja Ihr Vorwurf an die SPD. Sehen Sie denn irgendwelche Anzeichen, dass diese Hürden überwunden werden? Also ich frag Sie auch, wie ist das mit Ihnen persönlich, Sie werden ja in Zeitungen als Hindernis für ein solches rot-rot-grünes Bündnis bezeichnet: Sind da nach Ihrem spektakulären Ausscheiden – das ist der Hintergrund – aus der Bundesregierung und der SPD, sind bei Ihnen da noch alte Rechnungen offen?
Lafontaine nicht bereit, Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit aufzugeben
Lafontaine: Das ist immer etwas, was mich belustigt in dem Sinne, dass ich dann lese, ich hätte Rachegefühle. Auf die Idee, dass jemand tatsächlich für soziale Gerechtigkeit eintritt oder dass jemand tatsächlich eine Friedenspolitik für besser hält als ständige Interventionskriege, kommt so gut wie kaum jemand. Also ich bin in dem Sinne ein Hindernis, als ich nicht bereit bin, etwa Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit aufzugeben oder eben auch Interventionskriege zu befürworten, die alle zum Desaster geworden sind und eben Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschenleben gefordert haben. Da kann man eben nicht aus irgendwelchen R2G- oder Farblehregründen seine grundsätzlichen Auffassungen ändern. Und ich bin ja jemand, der schlicht und einfach darauf verweisen kann, dass ich klassische sozialdemokratische Positionen vertrete, die jahrzehntelang unstreitig waren. Man muss ja nur das Berliner Programm lesen, das auch unter meiner Mitwirkung noch zustande gekommen ist, da steht das alles drin.
Zagatta: Herr Lafontaine, über die Themen, da liegt man ja weit noch auseinander mit der SPD, da gehen wir vielleicht gleich auch noch ein bisschen ins Detail. Aber Politik hat ja auch immer was mit Personen zu tun – das hören wir jetzt bei der Ablehnung, die sofort aus der Linkspartei kommt, wenn da Steinmeier als Bundespräsident ins Gespräch gebracht wird. Wie ist das bei Ihnen da mit Gerhard Schröder, würden Sie dem noch mal die Hand schütteln?
Lafontaine: Da hätte ich nicht das geringste Problem, aber es geht ja hier auch wiederum um Inhalte. Wir haben gesagt, wir wollen einen Bundespräsidenten, der für soziale Gerechtigkeit steht und der für eine Friedenspolitik eintritt, weil der jetzige Amtsinhaber diese beiden Themen nicht so behandelt, wie wir uns das vorstellen. Das Thema soziale Gerechtigkeit ist nicht sein Thema und er befürwortet auch Militäreinsätze im Ausland. Das ist sein gutes Recht, wir halten das aber für grundfalsch. Insofern haben wir vorgeschlagen, eine solche Persönlichkeit zu suchen. Sigmar Gabriel hat mehrere Vorschläge diskutiert, jetzt hat er Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen, ohne irgendeine Abstimmung, das ist zumindest eine zweifelhafte Vorgehensweise.
Zagatta: Sie können sich sonst, wenn Sie gefragt würden, wenn Sie einbezogen würden, Steinmeier vorstellen?
Lafontaine: Bei Steinmeier muss man zwei Dinge sehen: Einmal, er ist in der Außenpolitik jemand, der darauf hinwirkt, dass Mäßigung die Außenpolitik bestimmt. Er hat ja bewusst das Säbelrasseln an der russischen Grenze zu Recht kritisiert, das sehen wir positiv. Auf der anderen Seite wissen wir natürlich, dass er einer der Architekten der Agenda 2010 ist, und die sehen wir nun gar nicht positiv. Und da kommt es auf uns gar nicht an, um das noch mal zu sagen. Diese Agenda hat eben für viele Menschen Leiharbeit, Werkverträge, schlechtere Renten, schlechtere Löhne gebracht. Und das können wir natürlich nicht akzeptieren.
Zagatta: Aber einen Bundeskanzler Gabriel, den könnte sich Ihre Partei vorstellen – das entnehme ich den Äußerungen von gestern, dass man den ja nächste Woche da schon inthronisieren könnte.
"Es ist Zynismus oder Dummheit, zu sagen, Deutschland geht es gut"
Lafontaine: Das wäre eine falsche Schlussfolgerung. Für uns ist nicht die Frage wichtig, wer Bundeskanzler ist, sondern wen die SPD nominieren wird – das ist ja nicht klar. Für uns ist einzig die Frage wichtig, welche politischen Veränderungen werden möglich. Wird es möglich sein, die Verheerungen im Sozialstaat beispielsweise, die in den letzten Jahren ja auch von SPD und Grünen wesentlich zu verantworten sind, wird es möglich sein, diese Verheerungen wieder rückgängig zu machen – also Leiharbeit, Werkverträge, Niedriglohnsektor, befristete Arbeitsverträge. Also Verheerungen, unter denen viele Menschen leiden und die ihre Leben erheblich verschlechtert haben. Wir hören öfters, Deutschland geht es gut, das ist eine Lieblingsformel von Frau Merkel. Das ist natürlich, wenn man so will, eine wirklich Täuschung, Wählertäuschung. Da wird die Wirklichkeit schöngeredet. Es gibt viele Menschen, denen geht es gut, und insbesondere den Unternehmen geht es gut, sie haben prächtige Gewinne. Aber es gibt eben diese Millionen, die eben mit Hartz IV, mit Leiharbeit und Werkverträgen und so weiter konfrontiert sind und Altersarmut zu befürchten haben. Da ist es schon Zynismus oder Dummheit, zu sagen, Deutschland geht es gut.
Zagatta: Also da kommen Sie schwer zusammen. Aus der SPD und von den Grünen heißt es ja, solange die Linkspartei auch einem von der UNO gedeckten Kampfeinsatz der Bundeswehr, jeden solchen Einsatz ablehnt, da komme man überhaupt nicht zusammen. Müsste Ihre Partei, müssten Sie da vielleicht auch Kompromissbereitschaft zeigen und da Ihren Kurs wechseln?
Lafontaine: Zunächst einmal müssten SPD und Grüne glaubwürdig damit beginnen, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Das ist ja ein wirkliches Problem, und wir haben ja gesehen, dass in der letzten Zeit leider – weil Sie nach Gabriel gefragt haben – auch unter seiner Mitwirkung, er entscheidet das ja nicht allein, die Waffenexporte auch in Kriegsgebiete wieder angestiegen sind.
Zagatta: Aber Herr Lafontaine, lässt sich denn so eine brutale Terrororganisation wie jetzt zum Beispiel der Islamische Staat, lässt der sich mit der Yogamatte unterm Arm besiegen?
Lafontaine: Das ist ein Dummspruch von Özdemir, der davon ablenkt, dass nun wirklich Einstein etwas klüger ist, der eben darauf hingewiesen hat, die ganzen Kriege beginnen mit der Waffenproduktion und der Waffenlieferung. Und deshalb sind wir natürlich strikt dagegen. Das war eine früher unstreitige SPD-Position, also Brandt hat das immer wieder vertreten, man kann doch nicht in Kriegsgebiete auch noch Waffen liefern und ernsthaft von sich behaupten, das würde dem Frieden dienen. Im Übrigen, was den Schutz von Menschen angeht, die eben von Kriegen bedroht sind, da bin ich und viele andere seit Jahren der Auffassung, wir bräuchten eine UNO-Polizei, die nach Polizeigrundsätzen vorgeht. Aber Sie dürfen dreimal raten, wer dem entgegensteht: Das sind die Vereinigten Staaten, die natürlich nicht daran denken, sich irgendwelchen internationalen Vereinbarungen zu unterwerfen. Und das ist das Problem der sogenannten Auslands- und Friedenseinsätze: Im Wesentlichen geht es unter der Führung der Vereinigten Staaten um Öl- und Gasfelder ...
Zagatta: Sagt der Linken-Politiker und Oppositionsführer im Saarland, Oskar Lafontaine. Entschuldigung, aber unsere Nachrichten warten, geht gleich los. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Lafontaine: Ich bedanke mich auch bei Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.