Göring-Eckardt stellte sich hinter die für heute geplante Wahl des Linken-Politikers Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten Thüringens. Die Grünen seien bestimmt kein Steigbügelhalter, sagte sie im Deutschlandfunk. Es gehe um Veränderungen im Land. Thüringen habe in den vergangenen Jahren einen Skandal nach dem anderen erlebt, die mit Demokratie nicht viel zu tun gehabt hätten.
Als Beispiel nannte sie die Affäre um den Regierungssprecher Peter Zimmermann, der mit 37 Jahren in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden war und trotz eines neuen Jobs weiterhin Bezüge vom Land erhalten sollte. Von der Grünen-Basis gibt es laut Göring-Eckardt große Rückendeckung für den Kurs der Partei. Bei der Urabstimmung hätten über 80 Prozent für die Koalition gestimmt. Sie gehe nicht davon aus, dass nach einer Wahl Ramelows viele von ihnen austreten würden, so Göring-Eckardt.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Rot-Rot-Grün oder CDU mit Unterstützung von wem auch immer - viele Augen und Ohren richten sich heute auf Thüringen. Gestern protestierten rund 2000 Menschen in der Landeshauptstadt gegen einen Ministerpräsidenten von der Linkspartei.
Prominenteste Thüringer Grüne ist die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt. Guten Morgen.
Prominenteste Thüringer Grüne ist die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt. Guten Morgen.
Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Frau Göring-Eckardt, welche Erinnerung haben Sie an den 4. Dezember 1989, gestern vor 25 Jahren?
Göring-Eckardt: Gestern vor 25 Jahren in Erfurt gab es vor der Stasi-Zentrale eine Mahnwache, eine Demonstration, wo man die Stasi-Zentrale besetzt hat, versucht hat, die Akten dort zu sichern und dafür zu sorgen, dass die Vergangenheit nicht einfach weggespült wird, verbrannt wird oder was auch immer.
Heinemann: Weggespült oder verbrannt. Wie wirkt das auf Opfer der SED-Diktatur, wenn heute ein Ministerpräsident mit den Stimmen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter gewählt wird?
Göring-Eckardt: Ich glaube, es gibt auf der einen Seite welche, die nach wie vor an das denken, denen das vor Augen steht, was damals gewesen ist, und die damit einen großen Schmerz empfinden. Da bin ich ganz sicher. Übrigens auch nicht nur diejenigen, von denen man sagt, sie waren Opfer, sie waren im Knast, ihre Biografien wurden zerstört, sondern auch diejenigen, die in der DDR gelebt haben, das als Diktatur erlebt haben und die damit hadern, dass die Nachfolgepartei der SED jetzt einen Ministerpräsidenten stellen soll. Und es gibt die anderen, die sagen, nach 25 Jahren muss endlich ernsthaft aufgearbeitet werden. Beides finde ich sehr ernst zu nehmen, finde ich sehr wichtig, aber die Aufarbeitung eben auch. Wir haben 25 Jahre lang auch in Thüringen unter CDU-Regierung diese Aufarbeitung nicht besonders ernst genommen und zu dieser Koalition, die keine leichte ist und deren Entstehung keine leichte gewesen ist, gehört es dazu, diese Aufarbeitung jetzt endlich wirklich ernst zu nehmen.
"Zur Demokratie gehört auch der Wechsel"
Heinemann: Ist eine Partei, die ehemalige Stasi-Leute zu Landtagswahlen aufstellt, im Rechtsstaat angekommen?
Göring-Eckardt: Eine Partei, die jemanden aufstellt zu einer Landtagswahl, der dann auch gewählt wird, der damit offen umgeht - und das haben die beiden getan, auf unterschiedliche Art und Weise. Ich habe sehr großen Respekt vor Ina Leukefeld, die sich mit ihrer eigenen Geschichte sehr intensiv beschäftigt hat, das auch öffentlich gemacht hat und auch sehr deutlich gemacht hat, dass sie das bereut, was sie getan hat. Insofern ja, das gehört zur Demokratie dazu, dass dann auch Entscheidungen getroffen werden. Die sind von Bürgerinnen und Bürgern ja gewählt worden, in aller Transparenz und in aller Offenheit. Zur Demokratie gehört, dass dann auch Entscheidungen getroffen werden, die einem weh tun und die einem nicht gefallen. Das geht mir so, das geht anderen natürlich auch so.
Heinemann: Man hätte ja noch warten können, bis diese Generation politisch abtritt. Die Grünen führen ja immer noch das Bündnis 90 als Titel im Schilde. Hätten sich die Menschen damals träumen lassen, dass die Grünen ein viertel Jahrhundert später Steigbügelhalter der SED-Erben werden könnten?
Göring-Eckardt: Steigbügelhalter bestimmt nicht. Ich bin jedenfalls '89 auch nicht auf die Straße gegangen, um dann immer nur von einer anderen Partei, die im Übrigen eine ehemalige Blockpartei ist, regiert zu werden, und insofern gehört zur Demokratie auch der Wechsel und das passiert jetzt in Thüringen. Und da geht es nicht um Steigbügel halten, sondern es geht um Veränderungen im Land, um Veränderungen in einem Land, was in den letzten Jahren, insbesondere in den letzten Jahren einen Skandal nach dem anderen erlebt hat, der auch nicht wahnsinnig viel mit Demokratie zu tun hatte. Wo es dazu gekommen ist, dass Menschen gesagt haben, meine Güte, was passiert jetzt hier eigentlich, werden jetzt nur noch Fäden im Hintergrund gezogen, wenn ein 35 Jahre alter Regierungssprecher in Ruhestand geschickt wird, weil er nicht mehr ins Konzept passt, und das Land dafür aufkommen soll bis zum Rentenalter und solche Dinge. Da muss man einfach sagen, ja, der Wechsel gehört zur Demokratie, und das gehört zur Demokratie auch, dass man eine andere Politik machen kann, dass man aus grüner Sicht endlich mehr macht für Naturschutz, dass die freien Schulen in Thüringen gleichgestellt werden. Da gibt es eine ganze Menge Dinge, die zu diesem Wechsel gehören, und das ist dann auch Demokratie.
Heinemann: Das hätten die Grünen ja mit der CDU machen können. Mit welchem Recht wollen Sie sich eigentlich in Zukunft moralisch entrüsten, wenn die Union mit der AfD zusammengeht?
Göring-Eckardt: Für mich ist eines völlig klar: Was ich erlebe in Thüringen, aber auch darüber hinaus mit der AfD, dann ist das eine Partei, die eine völkische Politik macht nach dem Motto, wir machen eine Drei-Kind-Politik. Dann ist es eine Partei, die mit fremdenfeindlichen Ressentiments arbeitet. Und ich sage, mit denen kuschelt man nicht, mit denen setzt man sich knallhart auseinander. Das ist der entscheidende Punkt. Und es geht auch nicht um moralische Entrüstung, sondern es geht um politische Auseinandersetzung, und diese politische Auseinandersetzung muss man führen.
Auseinandersetzung mit Israel-Kritik in der Linken
Heinemann: Ressentiments gibt es ja in der Linkspartei durchaus auch, Stichwort Israel.
Göring-Eckardt: Genau. Das wäre jetzt der zweite Teil meines Satzes gewesen. Und wenn ich mir in der Linkspartei auf Bundesebene anschaue, wie da Israel-feindliche Parolen nach wie vor möglich sind, eine Rolle spielen, das keine Konsequenzen hat - es gab ja die Situation, dass im Deutschen Bundestag Gregor Gysi da angegriffen wurde. Dann gab es viel Reden darüber, aber die Abgeordneten, die das getan haben, die jetzt inzwischen auch zu einer Demonstration aufrufen am 13. Dezember, wo man nun wirklich sagen muss, da geht es um Fremdenfeindlichkeit, da geht es um eine völlig undifferenzierte Israel-Kritik, die ich als Israel-Feindlichkeit bezeichnen würde, um quasi Antisemitismus, um Anti-Amerikanismus. Damit muss man sich genauso auseinandersetzen.
Heinemann: Und mit diesen Leuten wollen Sie trotzdem zusammenarbeiten? Was rechnen Sie, wie viele Grünen werden heute ihre Mitgliedschaft beenden?
Göring-Eckardt: Es geht ja um Thüringen, wo erstens keine Außenpolitik gemacht wird und wo zweitens wir mit denen, die dort im Landtag sind, die dort entscheiden, eine völlig andere Politik erleben, auch eine völlig andere Herangehensweise. Darüber bin ich froh, dass das so ist. Wir haben ja bei den Grünen eine Urabstimmung gemacht über diese Koalition und dort haben über 80 Prozent gesagt, dass sie diese Koalition, diese Möglichkeit des Politikwechsels unterstützen, und insofern glaube ich nicht, dass es sehr viele Austritte geben wird.
Heinemann: Katrin Göring-Eckardt, die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.