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Rot-Rot-Grün
Neuer Schwung für eine alte Idee

Ökosoziale und damit klassische Mitte-Links-Themen dominieren zurzeit den öffentlichen Diskurs. Zudem käme aktuellen Umfragen zufolge ein Bündnis aus SPD, Linken und Grünen auf 45 Prozent der Stimmen. Wie realistisch wäre also ein sogenanntes "R2G" auf Bundesebene und wie sähe das aus?

Von Mathias von Lieben |
Kugelschreiber von der SPD, die Grünen und die Linke, Symbolfoto rot-rot-grüne Koalition Pen from the SPD the Greens and the Left Symbolic image Red Red green Coalition
Schon nach der Bundestagswahl 2013 hätte Rot-Rot-Grün eine Mehrheit gehabt (imago stock&people)
Seit 2008 trifft sich Linkenpolitiker Stefan Liebig regelmäßig im kleinen Kreis mit Gleichgesinnten, Sozialdemokraten und Grünen. Sie wollen Gemeinsamkeiten ausloten, denn sie verfolgen das gleich Ziel: R2G auf Bundesebene – eine rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Linkspartei und den Grünen. In dieser Woche kam die Runde aus knapp 15 Interessierten erneut zusammen - zum ersten Mal seit dem Herbst. Diesmal soll es laut Initiator Liebig der Startschuss für etwas größeres sein.
"Wir haben ein gutes, enges und vertrauensvolles Verhältnis, wir informieren uns über die Debatten in unseren Fraktionen. Und wir sind natürlich dafür, dass es in Deutschland mal eine andere Mehrheit gibt – nämlich eine Mitte-Links-Mehrheit. Und dafür weht der Wind gerade. Und das wollen wir gerne vorantreiben."
In aktuellen Umfragen käme ein Bündnis aus SPD, Linken und Grünen auf 45 Prozent der Stimmen. Hinzu kommt: Ökosoziale und damit klassische Mitte-Links-Themen dominieren zurzeit den öffentlichen Diskurs. Linkenpolitiker Liebich sagt auch:
"Es kommt hinzu, dass die Schlachten nicht mehr die sind von früher. Also wir sind nicht mehr die SPD oder die Linkspartei, die sich über Gerhard Schröders Agenda 2010 unterhalten. Das ist alles sehr gut und sehr positiv."
Viele Gegner der großen Koalition
Schon nach der Bundestagswahl 2013 hätte Rot-Rot-Grün eine Mehrheit gehabt – doch die SPD hatte ein Bündnis mit der Linken vor der Wahl ausgeschlossen. Mittlerweile steckt die SPD im Umfragetief und will sich mit einer sozialpolitischen Offensive wieder ein linkeres Profil zu verleihen. Und immer noch gibt es bei den Sozialdemokraten viele Gegner der großen Koalition. Zum Beispiel den NRW-Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer:
"Wir sind nicht so weit von Mehrheiten entfernt. Aber die letzten fünf Prozent sind die schwersten. Und die kann man nur erreichen, indem man sagt: Ja, rot-rot-grün ist für uns auch eine Perspektive. Ich sage: Die wir wollen. Andere sollten sagen: Die wir nicht ausschließen. Wir brauchen Fantasie, die Gedanken müssen fliegen und wir dürfen uns nicht nur in den Mühen der Ebene erschöpfen."
Die Fantasie beflügeln wollte zuletzt auch Juso-Chef Kevin Kühnert, der mit einem kapitalismuskritischen Interview in der "Zeit" eine bundesweite System-Debatte angestoßen hat. Bei Linken-Parteichefin Katja Kipping kam das gut an. Sie wirbt schon lange offensiv für Mitte-Links-Bündnisse. Auch Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen sieht Bewegung im linken Lager:
"Es ist doch sehr deutlich meiner Wahrnehmung nach, dass kein gesteigertes Interesse auf Seiten der SPD besteht, die große Koalition nach der nächsten Bundestagswahl nochmals fortzusetzen. Und der Weggang von Sahra Wagenknecht bringt offensichtlich auch in den Linken noch mal sehr viel Umorientierung und neue Diskussionen über die eigene Ausrichtung mit sich."
R2G oder doch GR2?
Für viele bei Grünen und der SPD stellte das eher regierungsskeptische Wagenknecht-Lager ein großes Hindernis für ein Mitte-Links-Bündnis dar – besonders wegen der teils restriktiven Haltung in Fragen der Arbeitsmigration.
Die Pragmatiker bei der Linken gewinnen an Macht. Das beobachtet auch Volker Kronenberg, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn:
"Aber: Ich will auch gleich Wasser in den Wein gießen. Das Ganze ist für mich nach wie vor und gerade aktuell eine sehr virtuelle Debatte. Denn statt über R2G heute zu diskutieren, sollte man doch gerade die Parteien in den Blick nehmen, die im Moment der stärkste der drei sind: Das sind die Grünen. Was können denn die Grünen für ein Interesse an diesem Projekt haben?"
Bis zu 20 Prozent prophezeien ihnen die Demoskopen auf Bundesebene. Sollten die Grünen ihre berauschenden Umfragewerte auch bei Wahlen bestätigen können, hieße das: Aus R2G würde GR2. Grün-Rot-Rot. Ein grüner Kanzler? Für viele Sozialdemokraten wohl schwer vorstellbar. Kronenberg weist auf ein weiteres Hindernis hin:
"Die Grünen haben auch ein großes Interesse daran, weit in das schwarz-grüne Milieu auszugreifen, in das bürgerliche Lager. Das bürgerliche Lager wird mit einem linken Projekt verschreckt."
Festlegen will die Grünen-Bundestagsabgeordnete Dörner aber noch lange nicht. Auch wenn sie wie Sozialdemokrat Schäfer und Linkenpolitiker Liebich besonders in der Sozial- oder Gesellschaftspolitik viele Überschneidungen sieht. Doch die drei wissen auch: in außenpolitischen Fragen gibt es noch einige Differenzen. Die Fantasie anregen wollen sie trotzdem weiterhin.