"Es ist außerordentlich problematisch, wenn die Coronakrise zusammenfällt mit der Kür des CDU-Kanzlerkandidaten. Und da sind Herr Söder und Herr Laschet leider ein Stück weit verhaltensauffällig. Denen müssen Sie ihre Kritik als allerstes sagen. Frau Bundeskanzler, es geht um das Leben und die Existenz von Menschen, nicht um die Karrieren in der Union."
Der Co-Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, spießt den unionsinternen Profilierungswettbewerb auf, und Angela Merkel kann sich auf der Regierungsbank das Lachen nicht verkneifen. Die Szene aus dem Bundestag vom 23. April ist ein gutes Beispiel für die Haltung, die die Linkspartei lange in der Coronakrise gepflegt hat: Konstruktiv statt konfrontativ, Kritik an Einzelpunkten statt Fundamentalopposition.
In der Coronakrise rücken Regierung und Opposition zusammen
Gerade am Anfang der Krise rückten Regierung und Opposition – mit Ausnahme der AfD - im Bundestag dicht zusammen. Auch für die Linke eine ungewohnte Situation. Amira Mohamed Ali, Co-Vorsitzende der Linksfraktion: "Also, ich hatte schon den Eindruck, dass zumindest so am Anfang, als es um dieses große Hilfspaket ging, dass auch eine nennenswerte Bereitschaft der Regierungsparteien da war, da auch einfach Anregungen aufzunehmen. Also, es war so spürbar, dass das eine Sondersituation ist, wo man ein Stück weit anders zusammensteht als vorher."
Inzwischen sind die Unterschiede zwischen Koalition und Opposition wieder deutlicher, und die Partei sieht sich in einigen Fragen durchaus bestätigt. Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag und stellvertretende Parteivorsitzende:
"Viele Themen, die wir eigentlich die letzten Jahre behandelt haben, gesetzt haben, sind aktueller denn je: Dass die schwarze Null nicht sinnvoll ist, dass wir Investitionen brauchen, dass die Privatisierung im Gesundheitssystem ein Fehler war, und dass Erzieherinnen und Erzieher, Verkäufer und Pflegekräfte besser bezahlt werden müssen. Das sind Themen, die gerade eine gewisse Konjunktur gerade haben. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir gerade eine Schwierigkeit haben, so wirklich durchzukommen und wahrgenommen zu werden."
Momentan liegt die Linke bei sieben und acht Prozent
Bundesweite Umfragen bestätigen diesen Eindruck: Während die Union als Partei der Exekutive konstant um die 38 Prozent liegt, verzeichnen andere Parteien keine Zuwächse. Die Linke bewegt sich derzeit zwischen sieben und acht Prozentpunkten, also unter dem Wahlergebnis von 2017. Wie so manche andere Frage wird auch die Existenzfrage der Linkspartei durch die Coronakrise verschärft: Warum profitiert die Partei nicht, wenn ihre Themen Konjunktur haben? Der erkennbar quälende, schon so lange andauernde Personalstreit an der Spitze kann dafür nicht der einzige Grund sein.
Der Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin sieht einen Trend bestätigt: "Wenn man sich Umfragen anguckt, dann bewegt sich die Linke eigentlich schon sehr lange in einem Korridor von sieben bis zehn Prozent auf Bundesebene. Da gibt es immer noch starke Unterschiede zwischen Ost und West. Aber es ist faszinierend, dass wir bei der Linken dieses hohe Maß an Stabilität sehen. Das ist Versicherung und Frustration zugleich, weil es einerseits heißt, dass die Linke eine feste Basis hat. Es ist zugleich frustrierend, dass zumindest im Bund nach oben sehr wenig geht. Und das führt vielleicht auch dazu, dass die Linke manchmal so ein bisschen langweilig erscheint, manchmal auch nicht unbedingt in den Debatten die erste ist, an die man denkt."
Ob Mietsenkungen, Kurzarbeitergeld-Erhöhung, Hartz-IV-Aufstockung, Vermögensabgabe oder Fahrradprämie: Auch an Forderungen herrscht kein Mangel. Dennoch befindet sich die Partei im Zwiespalt, wie ihn auch die Co-Parteivorsitzende Katja Kipping jüngst auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung skizzierte.
"Wir sind weder gut beraten, wenn wir Lindner, Laschet und den Boris Palmers nachrennen, wer die beste Lockerungslobby ist. Wir sind aber auch nicht gut beraten, wenn wir dastehen wie die fünfte Kolonne der Bundesregierung, die sagt: ‘Also Angela Merkel hat alles richtig gemacht.’ Beides ist kommunikativ und inhaltlich falsch."
Extrem Unterschiede innerhalb der Partei
Kipping selbst spricht sich unter dem Strategie-Hashtag #StopTheVirus für größte Vorsicht bei den Lockerungen aus - während Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow für genau diese Vorsicht nun keinen Anlass mehr sieht. Die Heterogenität der Partei zeigt sich auch auf der Straße: Am vorvergangenen Samstag trat der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko auf einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Aachen auf. Er sei grundsätzlich kein Impfgegner, sagte Hunko.
"Aber ich habe mich zum Beispiel nicht bei der Schweinegrippe-Impfung impfen lassen. Und es war, das ist ja nachgewiesen mittlerweile durch Untersuchungen, es war tatsächlich ein Marketing-Konzept der weltweiten Impfstoff-Industrie, die ungefähr 30 bis 40 Milliarden Dollar in deren Kassen gespült hat."
Der Außenpolitiker Hunko wird dem Flügel der ehemaligen Co-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht zugerechnet. Mit umstrittenen politischen Manövern ist er bereits häufiger aufgefallen - zum Beispiel durch eine Audienz beim venezolanischen Machthaber Nicolas Maduro und eine Reise in die Ostukraine. Die Fraktion wählte ihn dennoch im Februar in einer Kampfabstimmung zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden.
Gysi gibt sein Comeback
Wenige Tage später erklärte wiederum ein anderer Außenpolitiker seinen Rückzug zum Ende der Legislaturperiode: Stefan Liebich, der für einen realpolitischeren Kurs steht und parteiübergreifend anerkannt ist:
"Gerade in der internationalen Politik nähern sich die Mitglieder unserer Fraktion und Partei von sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten. Und da knirscht und knallt es immer wieder. Aber ich gehe nicht aus Groll oder weil ich mich nicht genug wertgeschätzt gefühlt habe. Ich gehe nicht, weil ich glaube, meine Positionen könnten sich nicht durchsetzen. Sondern ich habe dafür so gut gekämpft, wie ich konnte. Es ist ein ganz persönlicher Grund. Nämlich, dass ich sage, es ist Zeit für was Neues in meinem Leben."
Liebichs Nachfolger als außenpolitischer Sprecher der Fraktion wird der 72-jährige Partei-Senior Gregor Gysi: Erkennbar der Versuch, realpolitische Kontinuität zu schaffen. Und das nächste Comeback des ehemaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden.
Dass man bei der Linken niemals so ganz geht, gilt auch für eine andere prominente Figur. "Hallo und schön, dass ihr wieder eingeschaltet habt, zur neuen Ausgabe der ‚Besseren Zeiten‘: Wagenknechts Wochenschau."
Die Linkspartei kann eine Grundsatzfrage nicht beantworten
Zugleich gibt ihr Machtbündnis in der Fraktion weiterhin den Ton an. Die neue Fraktionschefin Amira Mohamed Ali war Wagenknechts Wunschkandidatin, setzte sich in einer Kampfabstimmung durch. "Hufeisen" oder "Beutegemeinschaft" nennen Vertreter aus der vernachlässigten Fraktionsmitte das Bündnis, das der linke Wagenknecht-Flügel und das "Reformerlager" des immer noch amtierenden Co-Fraktionschefs Dietmar Bartsch geschmiedet haben. Immerhin: Die Zusammenarbeit in der streitfreudigen Fraktion sei unter der Führung Mohamed Alis konstruktiver geworden, heißt es.
Die von Wagenknecht entfachten Kontroversen ruhen derzeit. Verschwunden sind sie nicht. Die von Wagenknecht 2018 gegründete "Aufstehen"-Bewegung und ihre kritische Haltung zur Flüchtlingsfrage zeigten, dass die Linkspartei eine Grundsatzfrage nicht beantworten kann: Wen will die Linke eigentlich vertreten? Zuletzt tauchte dieser Konflikt in der Debatte auf, ob die Linke auch Klimapartei sein kann - oder ob sie damit zu einer Kopie der Grünen wird.
Der Historiker Thorsten Holzhauser von der Uni Mainz hat den Weg von PDS und Linkspartei durch die Nachwende-Republik analysiert. Er erinnert daran, dass bereits die PDS nicht nur die Partei der Arbeiter sein wollte, sondern zugleich für sich beanspruchte, Ökologiebewegung, Frauenbewegung und Anti-Rassismus-Bewegung zu vertreten.
"Die Frage war und ist heute glaube ich mehr denn je, wie dieses ‚Auch‘ aussehen soll: Also wie viel Umweltschutz braucht es eigentlich? Tritt die Partei für offene Grenzen ein, hat sie zuerst die heimischen Arbeiterinnen und Arbeiter im Kopf? Ist der Kampf gegen Rassismus eigentlich gleichbedeutend mit dem Kampf für soziale Gleichheit?"
Die Rolle der Protestpartei hat längst die AfD übernommen
Mit der Richtungsfrage geht auch das Bewusstsein einher, dass die politische Landschaft sich verändert hat: Als klassische Ostpartei erlitt die Linke 2019 bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg deutliche Verluste. Außerhalb der Städte ist sie dort kaum noch präsent. Die Rolle der Protestpartei hat längst die AfD übernommen. Zugleich stellt die Linke in Thüringen mit dem pragmatischen Reformlinken Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten.
Der Politologe Thorsten Faas: "Tatsächlich haben wir ja jetzt so eine Art Dreiteilung: Sie haben den Westen, Sie haben die Linke im Osten, und dann als Sonderfall tatsächlich Thüringen, wo die Linke ja den Ministerpräsidenten stellt. Auch der Osten ist inzwischen doch beweglicher geworden, wenn man so will."
Und Thorsten Holzhauser ergänzt:
"Wenn man sich das nochmal genauer anschaut, dann hat die Partei in Westdeutschland vor allem in urbanen Zentren - Hamburg, Bremen, andere Großstädte - zweistellige Ergebnisse erreicht. Also hier ist sie besonders stark geworden, ist also insgesamt deutlich westlicher und in gewisser Weise auch urbaner geworden."
Die Öffnung zu dieser neuen Klientel war zu großen Teilen das Werk des Führungsduos der Partei, Bernd Riexinger und Katja Kipping. Beide haben noch nicht entschieden, ob sie im Herbst nach acht Jahren ihre Ämter aufgeben. Die Satzung sieht dies eigentlich vor.
Die Linke liebäugelt mit Rot-Rot-Grün
Beide gelten als belastet: Kipping durch den ermüdenden Streit mit ihrer Rivalin Sahra Wagenknecht, Riexinger durch sein als glücklos beschriebenes öffentliches Auftreten – auch wenn er ein gutes Verhältnis zur Basis pflegt. Zuletzt hat der Gewerkschafter politischen Gegnern Munition geliefert, als er auf einer Parteikonferenz über Zwangsarbeit für Reiche scherzte.
Kipping und Riexinger eint das Ziel, aus der Linken eine Regierungspartei zu formen. Deutlich wird das auch in dem jüngst vorgelegten Strategiepapier, das den "sozial-ökologischen Systemwechsel" propagiert. Und als offene Einladung an SPD und Grüne zu verstehen ist.
Eine Einladung, die Kipping an die beiden Wunschpartner auch in ihrem neuen Buch ausspricht. Der Titel: "Neue linke Mehrheiten". Anfang März, knapp vor den Corona-Pandemie-Maßnahmen, stellte sie das Brevier vor - und lud zur Podiumsdiskussion auf auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ein. Nur mit einem Mitte-Links-Bündnis aus SPD, den Grünen und der Linken, so Kipping, seien die vielen Krisen der Gegenwart zu meistern - vom Klimawandel über den Neoliberalismus bis hin zum Rechtsradikalismus.
"Zuallererst braucht es andere gesellschaftliche Mehrheiten. Und am Ende muss das eben auch in andere Regierungsmehrheiten münden."
Zu dem Zeitpunkt, Ende Februar, kam R2G, so die Abkürzung für ein rot-rot-grünes Bündnis, auf 50 Prozent Zustimmung im Bund. Lars Klingbeil, der bei den Sozialdemokraten dem konservativen Seeheimer Kreis angehört, reagierte sehr freundlich: "Die Zeit für ein solches Bündnis und die Bereitschaft der SPD für ein solches Bündnis, die war noch nie so groß wie heute."
Gemeinwohlökonomie, internationale Abrüstungsinitiativen, Abkehr von Hartz IV: Die Gesprächskanäle im Bundestag zwischen seiner und der Linksfraktion seien eng, sagte Klingbeil. Und auch die neue Parteiführung der koalitionsmüden SPD um Saskia Esken und Norbert Walter Borjans sendet regelmäßig linke Signale.
Publizist Misik hält die Linke nicht für regierungsfähig
Nun schielt die Grünen-Spitze derzeit eher in Richtung schwarz-grün, also einer Koalition mit der Union. Doch Linken-Co-Chefin Kipping deklinierte an diesem Abend am Beispiel der Energiewende schon einmal durch, wie eine klimapolitische Zusammenarbeit der drei Parteien aussehen könnte. R2G also in greifbarer Nähe?
"Das klingt alles wunderbar, aber so wird es natürlich nicht kommen", intervenierte der dritte Diskutant auf dem Podium, der österreichische Publizist Robert Misik. Nicht, weil er die Corona-Pandemie vorhersah, in deren Folge die Umfragewerte der drei Parteien bis heute wieder auf etwa 40 Prozent gesunken sind. Nein, erklärte Misik: Ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit halte die Linke schlicht für nicht regierungsfähig. Dabei gehe es nicht nur um ihre SED-Vergangenheit, sondern auch um ganz konkrete politische Positionen.
Dass die schwer in ein Bündnis zu bringen seien, glaubt auch Historiker Holzhauser. Die Schnittmengen von R2G in der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik seien zwar größer geworden. Doch er verweist auf das Parteiprogramm der Linken, das Positionen wie die Auflösung der NATO und ein Ende der Kriegseinsätze der Bundeswehr enthält:
"Insofern ist natürlich die Forderung ultimativer Art nach einem außenpolitischen Radikalwechsel, wie sie in der Linkspartei zum Teil hervorgehoben wird, im Grunde nicht vereinbar mit dem Ziel der Regierungsbeteiligung."
Susanne Hennig-Wellsow, die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, findet daher, dass radikale Positionen wie die NATO-Auflösung kurzfristig hintangestellt werden müssten: Weniger Ideologie, mehr Pragmatismus. Die von den Linken geführte rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen sei mit diesem Kurs erfolgreich - und dies ein Fingerzeig für die Bundesebene:
"Es muss auch im Bund möglich sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Dass wir handeln dürfen auch für die Menschen im Land. Darum geht es ja am Ende. Es geht ja nicht um uns als Partei, sondern darum, gesellschaftliche Verhältnisse zu verbessern und zu verändern."
Wer zahlt am Ende?
Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern will auch Janine Wissler, die als Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag Oppositionspolitik macht. Allerdings benötige es dafür weniger Ministerposten, sondern vor allem den Druck sozialer Bewegungen:
"Und deswegen ist es nicht alleine die Frage: Ist man jetzt in der Regierung oder der Opposition. Sondern die Frage ist, wie kann man was am besten durchsetzen. Und ich finde schon, da gibt es sehr gute Beispiele, wie die Linke auch aus der Opposition heraus mit einer gemeinsamen Mobilisierung von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie man da auch Dinge anschieben kann und auch Dinge verändern kann."
Regierungsbereitschaft ja, sagt die Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Amira Mohamed Ali. Aber nicht um jeden Preis: "Dafür halte ich die Linke als politische Kraft einfach für zu wichtig in diesem Land, und da dürfen wir unsere Identität nicht aufgeben. Und wir haben ja in unserem Parteiprogramm auch rote Haltelinien formuliert: Wir sagen, wir machen Aufrüstung nicht mit, wir machen Sozialabbau nicht mit. Wir sagen, wir wollen die Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht. Und das sind die Punkte und an denen müssen wir uns auch orientieren."
Leichter als mit solchen Grundsatzfragen tut sich die Linke damit, die Losung für die Zeit des Wiederaufbaus nach Corona zu formulieren: Wer zahlt am Ende? Das sei die alles entscheidende Frage, findet Stefan Liebich:
"Und da wird es tatsächlich eine harte Links-Rechts-Auseinandersetzung geben: Wird es beispielweise durch eine höhere Mehrwertsteuer von allen, also auch den Armen und den Mittel-Verdienenden bezahlt? Oder werden wir diejenigen, die viel haben, heranziehen bspw. durch eine einmalige Vermögensabgabe? Das wird eine Auseinandersetzung. Im Moment nützt uns das als Partei in den Umfragen relativ wenig."
Dennoch sieht der Historiker Thorsten Holzhauser in der aktuellen Krise auch eine Chance für die Linke:
"Langfristig ist glaube ich auf jeden Fall die Frage, inwiefern mit der Corona-Krise auch soziale Verwerfungen verbunden sind und inwiefern diese sozialen Verwerfungen auch letztendlich in eine soziale Bewegung münden können. Also letztlich auch zu Demonstrationen führen, zu politischer Sprengkraft. In solchen Situationen, muss man sagen, war die Linkspartei immer sehr stark und hat profitiert."
Die Partei muss mit sich selbst ins Reine kommen
Die "Hygienedemos", da ist sich die Partei weitestgehend einig, sind noch nicht der richtige Anlass, um die soziale Frage mit dem Protest zu verbinden. Und sowieso: Es werde zwar wieder vermehrt über gesellschaftliche Missstände und die Exzesse des Marktes gesprochen, sagt die thüringische Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow. Einen Erfolgs-Automatismus für ihre Partei gebe es für die Post-Corona-Zeit dadurch aber nicht:
"Dass linke Themen Konjunktur haben, heißt noch nicht, dass die Linke von allein in den Himmel steigt. So einfach ist es auch nicht. Und da müssen wir uns als Linke noch befleißigen."
Die Herausforderung für die Linke, glaubt Politologe Thorsten Faas, sei deshalb .durch ein gewisses Prisma auf die Welt zu schauen. Das, was der AfD gelingt, weil sie bei jedem Thema Flüchtlinge und Migration einbindet, so müssten natürlich linke Parteien bei allen Themen, die die politische Agenda prägen, Fragen von sozialer Gerechtigkeit thematisieren."
Stefan Liebich, der nach dieser Wahlperiode zumindest aus dem Bundestag keinen Einfluss mehr auf die Strategie der Linken nehmen wird, erkennt krisenbedingt jedenfalls bereits den Anfang eines gesellschaftlichen Wertewandels:
"Im Moment hat man gemerkt, dass Solidarität, dass Menschlichkeit, dass Füreinander-Einstehen ganz wichtige Werte sind. Man hat auch die Systemrelevanz, das war früher ein Begriff, der mit den Banken verbunden wurde. Systemrelevant sind heute eben die Krankenschwestern, die Verkäuferin. Das ist anders als in der Vergangenheit. Und ich glaube schon, dass das über die Krise hinaus auch Nachwirkungen haben wird."
Bevor sich diese Nachwirkungen jedoch in Zustimmungswerten für die Linke bei Wahlen spiegeln könnten, mahnt Liebich, müsse die Partei zunächst einmal mit sich selbst ins Reine kommen. Allein das dürfte schwer genug werden.
[*] Anm. d. Red.: Wir haben die politischen Ämter, die Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch innehaben, an dieser Stelle korrigiert.