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Rot-Rot in Prag hat gute Aussichten

Sieben Jahre regierte Petr Neca Tschechien, bis der Konservative über eine Bespitzelungs- und Korruptionsaffäre stolperte. Interimslösung ist seither ein Expertengremium, das Präsident Milos Zeman einberufen hatte. Die Prognosen sehen die Sozialdemokraten vorn, allerdings nur mit Tolerierung der Kommunisten.

Von Stefan Heinlein |
    Ein Spottlied auf die Politik und die korrupten Parteienvertreter. Fast jeden Abend spielt das Prager Kabaretttheater "Rubin" vor ausverkauftem Haus. Das Drehbuch für das bitterböse Erfolgsstück "Blonde Bestien im Narrenhaus" schreibt die Realität. Fast alle Dialoge basieren auf Abhörprotokollen der Polizei.

    Tatsächlich zweifeln nur wenige in Tschechien an einem deutlichen Linksrutsch nach den Wahlen. Das neue Machtdreieck aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Präsidentenpartei werde das Land in den kommenden Jahren prägen,

    Seit ihrem Amtsantritt Mitte 2010 hangelt sich die Mitte-Rechts-Regierung von Skandal zu Skandal. Zwei Drittel aller Kabinettsmitglieder müssen im Laufe der Legislaturperiode ihrem Hut nehmen. Das harte Sparprogramm mit massiven Steuererhöhungen lässt die Popularität des Ministerpräsidenten auf einen historischen Tiefststand sinken. Im Sommer 2013 steht Petr Necas schließlich selbst im Mittelpunkt des größten Korruptions- und Spitzelskandals der tschechischen Nachwendegeschichte. Es ist der Auftakt für einen wochenlangen Politkrimi in Prag:

    Razzien bei Parlamentsabgeordneten
    Den Staatsanwälten aus der ostböhmischen Provinz ist die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Vor der versammelten Hauptstadtpresse präsentieren sie Anfang Juni die Ergebnisse monatelanger Ermittlungen:

    "An der Operation beteiligten sich 400 Polizisten – über 30 Häuser wurden durchsucht. Wir haben mehr als fünf Millionen Euro Bargeld und kiloweise Gold sichergestellt."

    Ziele der nächtlichen Razzien sind auch das Regierungsamt und das Verteidigungsministerium. Bei sieben Personen klicken die Handschellen. Der Skandal reicht bis in die innersten Machtzirkel der tschechischen Politik:
    "Die Schlüsselfigur ist Jana Nagyova. Es geht um Korruption und Bestechung. Das Strafmaß beträgt bis zu fünf Jahren."

    Jana Nagyova ist die engste Mitarbeiterin von Ministerpräsident Necas. Sie soll Abgeordnete reihenweise bestochen und mit lukrativen Posten in Staatsunternehmen belohnt haben. Als schließlich bekannt wird, der Ministerpräsident pflegte über Jahre ein intimes Verhältnis zu seiner Kabinettschefin, gehen auch seine Parteifreunde auf Distanz zu Petr Necas. Nach einer nächtlichen Krisensitzung zieht der Regierungschef die Konsequenzen:

    "Ich habe meinen Koalitionspartnern meinen Rücktritt mitgeteilt. Ich stehe zu meiner politischen Verantwortung. Ich will alles dafür tun, das die bisherige Koalition unter der Führung meiner Partei bis zu den regulären Neuwahlen im kommenden Jahr fortgesetzt wird."

    Petr Necas, tschechischer Premierminister
    Petr Necas,ehemaliger Premierminister in Tschechien (picture alliance / dpa)
    Expertenkabinett hält 30 Tage
    Doch der Wunsch von Petr Necas geht nicht in Erfüllung. Präsident Milos Zeman übernimmt das politische Ruder in Prag. Die Verfassung gibt ihm das Recht zur Vergabe eines neuen Regierungsauftrages. Der Linkspolitiker nutzt die Gunst der Stunde für eine grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse in Tschechien:

    "Die Variante, die ich für realistisch halte, ist die einer Beamtenregierung. Für mich ist das eine Regierung der Experten. Also keine Amateure sondern Leute, die sich in ihren Fachbereichen auskennen."

    Nach einer ersten Schockstarre sorgt die eigenmächtige Entscheidung des Präsidenten für Empörung bei allen Parteien. Die Missachtung der bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Parlament verändert das politische System in Tschechien, warnt Finanzminister Kalousek:

    "Es geht um einen Regimewechsel. Wollen wir eine freie parlamentarische Demokratie oder ein autoritäres Präsidialsystem?"

    Auch in den meisten Medien wird der Schachzug des Präsidenten kritisch kommentiert. Eine Beamtenregierung ohne politisches Mandat sei Butter in den Händen von Milos Zeman. Doch unbeeindruckt von der breiten öffentlichen Kritik vergibt er den Regierungsauftrag an seinen engen politischen Weggefährten Jiri Rusnok. 30 Tage später jedoch ist das Expertenkabinett bereits wieder am Ende.

    Mit deutlicher Mehrheit verliert die Übergangsregierung die notwendige Vertrauensabstimmung im Parlament. Immer lauter werden in Prag die Rufe nach einer Selbstauflösung des Abgeordnetenhauses. Die Suche nach der notwendigen Dreifünftelmehrheit ist überraschend schnell beendet. Von den ultraorthodoxen Kommunisten bis zur bürgerlich-konservativen Partei TOP 9 stimmen Mitte August fast alle Fraktionen für den Selbstmord des Parlamentes:

    Der Beifall kommt aus allen Ecken des Parlamentes. Zum ersten Mal seit der Samtenen Revolution 1989 machen die Abgeordneten mit ihrer Entscheidung den Weg frei für vorgezogene Neuwahlen. Innerhalb von 60 Tagen müssen die Bürger nun über die Zusammensetzung des Parlamentes entscheiden. In Tschechien beginnt ein kurzer harter Wahlkampf.

    Orangene Rosen im Feierabendverkehr. An einer Straßenkreuzung in der Prager Innenstadt sucht Bohuslav Sobotka den Kontakt mit den Wählern. Seit gut zwei Jahren steht der 42-jährige Jurist an der Spitze der Sozialdemokraten. Die CSSD will mit ihm die politische Kehrtwende in Tschechien erreichen:

    Tschechien Ministerpräsident Jiri Rusnok stellt im Parlament die Vertrauenfrage
    Jiri Rusnok steht der aktuell regierenden Expertenkommission in Tschechien vor (picture alliance / dpa / Roman Vondrous)
    Tschechen hoffen auf Wende
    "Nach sieben Jahren einer Rechtsregierung steckt das Land in einer tiefen Krise. Wir wollen das ändern. Mehr staatliche Investitionen in die Infrastruktur – für Wohnungen, Straßen und das Gesundheitswesen. Außerdem muss der Staat für mehr Arbeitsplätze sorgen."

    Versprechungen, die bei den Wählern gut ankommen. In den Umfragen pendeln die Sozialdemokraten knapp über der 30 Prozent Marke. Eine neue Regierung kann deshalb nicht ohne die CSSD gebildet werden, meint nicht nur der Journalist Petr Honzejk:

    "Die Sozialdemokraten werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Wahlen klar gewinnen. Doch sie brauchen einen Koalitionspartner. Wenn die Kommunisten gut abschneiden, wird es eine linke Regierung geben."

    Noch allerdings verhindert ein Parteitagsbeschluss der Sozialdemokraten eine Koalition mit den ultraorthodoxen Kommunisten auf Landesebene. In den vielen Städten und Regionen gibt es jedoch bereits seit Jahren rot-rote Bündnisse. Ein Modell, das für Parteichef Sobotka auch in Prag nicht mehr undenkbar ist:

    "Die Sozialdemokraten stehen den Kommunisten inhaltlich sicher näher als den rechten Parteien. Wir können uns eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten auch ohne eine gemeinsame Regierungskoalition vorstellen – das sollte nicht allzu kompliziert sein."

    Blasmusik, Bier und Bratwurst locken Hunderte zumeist alte Leute auf das Prager Messegelände. Noch immer sind die Kommunisten die mit Abstand mitgliederstärkste Partei in Tschechien. Anders als in den meisten anderen postsozialistischen Ländern verzichtet die KSCM bisher auf eine kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Dennoch will fast jeder sechste Tscheche sein Kreuz bei den Kommunisten machen:

    "Die Partei hat keine Skandale und Korruptionsaffären. Sie hat unser Land nicht ausgeplündert und verkauft. Im Sozialismus ging es vielen Menschen deutlich besser. Die KSCM wird sich um uns kleine Leute kümmern."

    Kommunisten sind frei von Skandalen
    Das erklärte politische Ziel der Kommunisten ist der demokratische Sozialismus. Dazu gehören die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, der Austritt Tschechiens aus der NATO und eine kritische Distanz zu Brüssel. Dennoch – so Parteivize Jiri Dolejs - reiche die politische Schnittmenge mit den Sozialdemokraten aus für eine Zusammenarbeit in Prag:

    "Wir wollen eine sozialdemokratische Minderheitsregierung aus inhaltlichen Gründen unterstützen. Unsere Programme sind in weiten Teilen identisch. Wenn wir nicht formell Teil der Regierung sind, werden wir sie zumindest politisch kontrollieren – im Parlament und auch in den Ausschüssen."

    Diese angekündigte Duldung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung durch die Kommunisten gibt der Partei eine politische Schlüsselrolle in Tschechien, warnt der Politikwissenschaftler Lubomir Kopecek. Zwar verliere die marxistisch-leninistische Ideologie langsam an Bedeutung, doch die KSCM sei noch immer ein nostalgisches Freilichtmuseum.

    "Die Kommunisten werden für ihre Unterstützung wichtige Posten im Parlament, in der Verwaltung und anderen staatlichen Einrichtungen erhalten. Diese Strategie ist nur ein Zwischenschritt, um allmählich die ganze Macht im Land zurückzuerobern."

    Wahlkampf in der Universitätsstadt Brünn. Auf dem Marktplatz wirbt die SPOZ um Unterstützung. Erst vor wenigen Jahren wurde die Partei der Bürgerrechte von Milos Zeman aus der Taufe gehoben. Nach einem Streit mit der Führung der Sozialdemokraten gründete der ehemalige CSSD-Vorsitzende seine eigene Partei. Zemanovci – die Freunde Zemans heißt die linkspopulistische Gruppierung mit vollem Namen. Auf ihren Wahlplakaten wirbt die SPOZ mit dem Porträt des Präsidenten. Der Sprung über die fünf Prozent ist diesmal sehr wahrscheinlich – so der Journalist Petr Honzejk:

    "Die SPOZ wird an der Regierung beteiligt sein. Zeman wird davon profitieren. Auch viele Sozialdemokraten halten ihn für den eigentlichen Führer der Linken. Damit driftet Tschechien weiter in Richtung eines Präsidialsystems - weg von einer parlamentarischen Demokratie."

    Schon vor seinem Amtsantritt hatte Zeman angekündigt, sich aktiv in die Tagespolitik einmischen zu wollen. Als erster direkt gewählter Präsident des Landes habe er ein stärkeres Mandat als seine Vorgänger Havel und Klaus. Offen wirbt er in seinen Reden für seine Vorstellungen einer Machtverteilung nach den Wahlen:

    "Das ideale Szenario ist eine Minderheitsregierung. Wenn der Wahlsieger von einer anderen Partei toleriert wird, haben sie doch eine Mehrheit im Parlament. Dann ist doch alles in Ordnung."

    Keiner zweifelt an Linksrutsch
    Tatsächlich zweifeln nur wenige in Tschechien an einem deutlichen Linksrutsch nach den Wahlen. Das neue Machtdreieck aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Präsidentenpartei werde das Land in den kommenden Jahren prägen, erwartet der Politikwissenschaftler Kopecek. Im Zentrum stehe künftig jedoch die Prager Burg. Von dort aus werde Milos Zeman die Fäden der Politik ziehen:
    "Er wird seine Kompetenzen soweit wie möglich ausdehnen. Die meisten Menschen werden das akzeptieren, weil ihr Vertrauen in die Parteien extrem gesunken ist. In einer Zeit der politischen Instabilität suchen viele nach neuen Lösungen und einfachen Antworten. Das ist der neue tschechische Populismus."

    Applaus für Andrej Babis. Der Unternehmer ist einer der reichsten Männer des Landes. Sein Milliardenvermögen hat der frühere Kommunist nach der Revolution 89 mit der Privatisierung der ehemaligen landwirtschaftlichen Genossenschaften gemacht. Sein internationaler Konzern hat heute einen Jahresumsatz von knapp 6 Milliarden Euro. Vor zwei Jahre gründete er seine Bewegung ANO – die Partei der unzufriedenen Bürger:

    "Weil ich habe viele Jahre lang jemanden gesucht, und ich habe gesagt, wenn das so weitergeht, hat dieses Land leider keine Zukunft, weil unsere Politiker keine Vision für dieses Land haben."

    Mit einer aufwendigen und hoch professionellen Wahlkampagne schafft es ANO innerhalb weniger Wochen auf Platz 3 in den Umfragen. Viele bekannte Gesichter aus Kultur und Medien gehören zum Team der Partei. Doch auf allen Großflächenplakaten lächelt Andrej Babis. Er sei kein Politiker, sondern ein erfolgreicher Geschäftsmann der das Land aus der Krise führen werde:

    "Alle Parteien, die hier 23 Jahre an der Macht waren, versprechen viel, aber am Ende haben sie alle die gleiche Vision, und das ist Geld und Macht. Unsere Politiker sind kein Vorbild an Tüchtigkeit oder Moral."

    Die einfachen Botschaften treffen die Stimmungslage großer Teile der Bevölkerung. Schon jetzt ist die Politikverdrossenheit in Tschechien weit verbreitet. Nur wenige sind bereit, sich für die junge tschechische Demokratie zu engagieren. Auch aus den Medien kommt nur wenig Gegenwind. Im Sommer kaufte der Milliardär im Handstreich die beiden wichtigsten Tageszeitungen des Landes. Nur wenige Journalisten wie Petr Honzejk kritisieren den Populismus von Andrej Babis:

    "Seine Bewegung und seine persönlichen Motive liegen völlig im Dunkeln. Das Parteiprogramm ist absolut bruchstückhaft. Eine merkwürdige Mischung aus dem rechten Glauben an die Wunderkraft niedriger Steuern und der linken Vorstellung von der Macht des Staates die Wirtschaft anzukurbeln. Babis ist ein extrem erfolgreicher Unternehmer, der zu allem fähig ist. Er ist absolut undurchschaubar, und das macht mir persönlich große Angst."

    In einer Straßenbahn tourt Karel Schwarzenberg mit böhmischer Folkloremusik quer durch die Prager Viertel. Der Fürst ist der letzte Hoffnungsträger des bürgerlichen Lagers. Während die Umfragewerte für die langjährige Regierungspartei ODS tief in den Keller gestürzt sind und der ehemalige Koalitionspartner Lidem völlig von der Bildfläche verschwunden ist, kann seine Partei TOP 09 auf ein gutes Abschneiden bei den Wahlen hoffen. Der ehemalige Außenminister wirbt mit den bürgerlich-liberalen Werten um Vertrauen:

    "Unser Leitmotiv ist die Verteidigung von Recht und Freiheit. Es geht um unsere Grundwerte und unsere Verfassung. Wir stehen für Freiheit und Verantwortung. Dafür werden wir kämpfen."

    Vor allem in den Städten hat der adelige Politiker seine Anhänger. Als Gegenkandidat von Milos Zeman bei den Präsidentschaftswahlen Anfang des Jahres wurde der 75-jährige von vielen Studenten, Künstlern und Intellektuellen unterstützt. Im Mittelpunkt seiner Wahlkampagne steht der Kampf gegen Präsident Zeman und die Warnung vor einer grundlegenden Veränderung des politischen Systems in Tschechien:

    "Wir befinden uns an einer entscheidenden Gabelung der tschechischen Geschichte. Die parlamentarische Demokratie ist in Gefahr. Es droht die schleichende Einführung eines autoritären Präsidialsystems."

    Doch die Kampagne des Fürsten kontert Milos Zeman mit seiner ganz eigenen politischen Taktik. Der Präsident weiß, laut Verfassung hat nur er das Recht über die Vergabe des Regierungsauftrages zu entscheiden. Schon vor dem eigentlichen Wahltermin legt sich Milos Zeman fest: Er wird unter keinen Umständen grünes Licht für eine große Koalition aus Sozialdemokraten und der konservativen TOP 09 geben.

    "Weil eine solche Koalition ganz einfach Verrat an den Wählern der beiden Parteien wäre."

    Mit dieser eigenmächtigen Interpretation des Wählerwillens blockiert der linke Präsident voraussichtlich jegliche Machtoptionen der TOP 09. Sein Intimfeind Karel Schwarzenberg steht damit schon vor Auszählung der Stimmen auf dem politischen Abstellgleis. Ein kühl kalkulierter Schachzug des Präsidenten – so der Journalist Petr Honzejk:

    "Er weiß genau, warum er jegliche Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit der TOP 09 von vorne herein ausschließt. Bei dieser Großen Koalition wäre sein Einfluss beschränkt, und er bekäme keine größere Macht. Und genau darum geht es ihm."

    Die Winkelzüge des Präsidenten lassen viele Tschechen bereits vor dem Wahltermin resignieren. Die Gefahren für die parlamentarische Demokratie werden allenfalls schulterzuckend registriert. Die schwach entwickelte Zivil- und Bürgergesellschaft in Tschechien bleibt weitgehend stumm. Der Blogger Jiri Boudal ist einer der wenigen jungen Tschechen der sich aktiv in die Politik einmischt. Mit seiner Organisation kämpft er gegen die Korruption und die leeren Versprechungen der Parteien. Doch diese Wahlen hat auch er bereits abgehakt:

    "Die meisten Tschechen erwarten keinerlei positive Veränderungen. Kaum jemand interessiert sich für diesen Wahlkampf oder die Inhalte der Parteien. Ich hoffe dennoch. In ein paar Jahren gibt es auch in Tschechien ein Angebot an politischen Alternativen. Diesmal jedoch geht es leider nur um die Wahl des kleineren Übels."