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"Rota - Chamber Music"

Der Komponist, dem Sie jetzt als erstes begegnen werden, dürfte vielen von Ihnen vertraut sein, wenn auch nicht unbedingt mit Trios für Flöte, Violine und Klavier. "Der Pate" mit Marlon Brando, "Il Gattopardo" mit Burt Lancaster, "La Strada", "La dolce vita", überhaupt alle Fellini-Filme. Es geht um Nino Rota, eine ganze Scheibe mit Trios und Duos, und das ist nur ein Bruchteil dessen, was dieser Musiker komponiert hat. * Musikbeispiel: Nino Rota - 1. Satz aus: Trio für Flöte, Violine und Klavier 1958 schrieb Nino Rota dieses Trio für Flöte, Violine und Klavier. Da war er 47 Jahre alt und schon ein gefeierter Filmkomponist. Rota starb 1979; seit 1996 gibt es in Venedig eine Nino-Rota-Stiftung, und allmählich gerät dieser Komponist wieder ins Blickfeld der musikalischen Öffentlichkeit. Riccardo Muti hat zwei Klavierkonzerte mit dem Scala-Orchester eingespielt, wobei die phänomenale Giorgia Tomassi den Solopart übernahm. Und in Mailand, der Geburtsstadt Rotas, konstituierte sich vor kurzem das Ensemble Nino Rota um den Pianisten Massimo Palumbo, das sich die Pflege italienischer Kammermusik des novecento auf die Fahnen geschrieben hat. Bei Chandos erschien jetzt eine CD mit dem Klarinettentrio von 1973, der Bratschensonate von 1935, der Violinsonate von 1937 und dem eben erwähnten Trio für Flöte, Violine und Klavier von 1958 mit Paolo Ferrigato, Suela Mullaj und Massimo Palumbo. Nino Rota, der bei Casella und Pizzetti studiert hatte, schrieb eine unmittelbar zugängliche Musik. Das war ihm auch wichtig. Er mochte die musikalische Avantgarde des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht. Die Folgen waren weitreichend. Rota galt schlichtweg als out, hoffnungslos old-fashioned und schon beinahe als nicht salonfähig. Kurzum: Er wurde kaum gespielt, außerhalb Italiens schon gar nicht. Außerdem war er ja sowieso Filmkomponist. Er selbst schätzte Strawinsky sehr und wohl auch den Kollegen Mario Castelnuovo-Tedesco, aber der war ja auch so ein hoffnungsloser Fall von Melodienseligkeit. Rota war sich seiner umstrittenen Position sehr wohl bewusst. Aber er hielt an der Überzeugung fest, dass die ihm adäquate Musik von viel Humor und Optimismus und ein wenig Nostalgie sein müsse. Dass der Satz blitzgescheit ist, der Kontrapunkt ausgesprochen sophisticated - das entdeckt man jetzt allmählich. Eines der Vorbilder Rotas war Debussy. Doch ähnelt sein Stil eher dem des Group de Six, ist freilich weniger herb und schneidend und enthält sich der verstörenden Ironie, die immer wieder bei den Franzosen durchbricht. Manchmal, in den polyphonen Passagen, klingt Max Reger an. Doch Rota störte sich nicht im geringsten an Anklängen; er war überzeugt, dass es unter guten Musikern keine Plagiate gebe, weil das musikalische Material gemeinsamer Besitz sei - eine geradezu schon sozialistische Kunstauffassung und, aus heutiger Perspektive, so etwas wie eine Vorahnung der weltumspannenden Sampling-Kolchose. Trotz alledem tritt in allen vier Kompositionen, die auf dieser CD versammelt sind, ein klarer Personalstil zutage. Hat man sich erst einmal damit abgefunden, dass dieser italienische Großmeister die Dinge nicht verbissen sieht, sondern heiter-gelassen, dann entdeckt man den Charme und die Schönheiten dieser Werke. Das Ensemble Nino Rota spielt sie freilich mit aller Klarheit und Noblesse und enthält sich jeder Sentimentalität. Keine Musik, um den Kopf in den Händen zu vergraben; vielmehr eine, für die man seinen Kopf sehr frei haben sollte. Ein Ausschnitt aus dem Finale der Violinsonate von 1937. * Musikbeispiel: Nino Rota - 3. Satz aus: Sonate für Violine und Klavier Soweit die CD mit Kammermusik von Nino Rota, für Chandos eingespielt vom Mailänder Ensemble Nino Rota.

Norbert Ely | 30.07.2000