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Rovaniemi ist die Wunsch-Adresse für Kinder in der ganzen Welt

Lieber Babo Natale,

Eine Sendung von Marc-Christoph Wagner |
    ich wünsche mir eine neue Tante zu Weihnachten. Die, die ich habe, ist schrecklich. Ciao, Silvia (Italien)
    Lieber Weihnachtsmann,
    wir leben und wohnen in einem kleinen armen Dorf, und Mutter und Vater haben dieses Jahr kein Geld für Weihnachtsgeschenke. Darum wünsche ich mir, dass ich und meine Geschwister ein klitzekleines Geschenk von Dir erhielten. Nur ein ganz kleines. Gruß, Danid (Rußland)
    Lieber Weihnachtsmann,
    ich verstehe nicht, warum Du so weit im Norden wohnst. Warum nicht auf Gran Canaria, wo es wärmer ist? Das ist das erste Mal, dass ich Dir schreibe, und darum hoffe ich wirklich, dass einige meiner Wünsche erfüllt werden. 1.) Frieden auf Erden, 2.) die gleiche Menge Nahrung für alle Länder, 3.) ist es möglich, dass Du mir einen Hinweis gibst, ob Leben nur auf unserem Planeten existiert?, 4.) dass die Aids-Epidemie vernichtet wird. Was machst Du eigentlich den Rest des Jahres? Deine Helfer erledigen ja die Sache mit den Geschenken, also vielleicht schläfst Du? (...) Ich wünschte, ich könnte Dich einmal live auftreten sehen. Weißt Du eigentlich, dass viele versuchen, Dich nachzuahmen? Die stehen an der Ecke, rufen "ho-ho" und betteln um Geld. Das sind Affen, sage ich Dir. Ich hoffe, dass Du ein guter Mensch bist, der nicht nur viele Briefe von Kindern bekommt, sie liest, sich totlacht und sie dann in den Papierkorb schmeißt. Tatsächlich gibt es viele, und ich meine: VIELE, die an Dich glauben. Frohe Weihnachten, Weihnachtsmann, Du machst Deine Sache gut. Es drückt Dich, Ragnhild (Norwegen)

    Dass der Joulupukki in Rovaniemi wohnt – das ist die Erfindung eines gewissen Markus Rautio. Der populäre Rundfunksprecher verkündete in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts sein persönliches Weihnachtsmärchen: dass der Weihnachtsmann im Berg Korvatunturi wohne, hoch im Nordosten Finnlands, heute gleich hinter der russischen Grenze. In diesem Berg, der geformt ist wie ein Ohr, erzählte Markus Rautio im Radio, würde Joulupukki die Wünsche aller Kinder der Welt hören können. Und erfüllen. Und weil der Korvatunturi so weit weg war, beschloß er, ihm gleich noch einen zweiten Wohnsitz am Polarkreis einzurichten, samt einem Postamt, an das die Kinder ihre Wünsche schicken sollten.
    Heute lebt halb Rovaniemi von diesem Märchen. Der Tourismus boomt in der kleinen Stadt – Hotels mit mehr als 3000 Betten, ein großer Flughafen, Skisprungschanzen und Loipen gibt es hier mitten in der Wildnis, wo sich früher nur Holzfäller, Goldgräber und Samen mit ihren Rentieren trafen. Ein einsamer Marktflecken, der im zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde: Die deutschen Soldaten, die der Roten Armee nichts Brauchbares hinterlassen wollten, brannten vor ihrem Rückzug 1944 alle Häuser in Rovaniemi nieder, alle, bis auf acht.
    Die Wiedergeburt Rovaniemis begann in den 50er Jahren, während der langen Winter am Polarkreis, als einige Holzfäller aus Langeweile begannen, die Briefe der Kinder zu beantworten. Aus Spaß. Das finnische Fremdenverkehrsamt erkannte viele Jahre später den werbewirksamen Nutzen dieses Brauches und richtete einen organisierten Wunschbrief-Service ein, nach dem Vorbild des österreichischen Bergdorfes Christkindl oder des deutschen Himmelspforten. Fast vier Millionen Briefe aus 150 Ländern sind in Rovaniemi angekommen seit der Eröffnung des Weihnachtsmann-Postamts.


    Auf den ersten Blick ist der Raum von einer gewöhnlichen Post in der Adventszeit kaum zu unterscheiden. Menschen drängeln sich um den runden Schalter. Die Angestellten verkaufen Weihnachtskarten, wiegen Briefe und Pakete und kassieren. Dass sie rote Wichtelmützen tragen und leise Weihnachtsmusik erklingt – nun auch das hat man andernorts schon gesehen.

    Und dennoch: geöffnet an 365 Tagen im Jahr, ein lodernder Kamin in der Ecke, jeder Brief von Hand gestempelt, ein Sprachendurcheinander wie in Babylon – ein bißchen ungewöhnlich ist dieses Postamt schon. Nicht zuletzt wegen der vielen gelben Kisten, aus denen Briefe quellen wie ein zu lange gegangener Teig.
    Es gibt keinen Tag, an dem der Weihnachtsmann keinen Brief erhält. Aber die meisten kommen natürlich in der Adventszeit, und weil nicht alle Postmänner dieser Welt so schnell sind wie wir, kommen einige nach Weihnachten. In den vergangenen Jahren waren es jeweils über eine halbe Million. Bei sieben bis neun Prozent können wir den Absender entziffern, und diese Briefe werden alle beantwortet – das sind zwischen 40.000 und 45.000 im Jahr.

    Taina Ollila ist, sollte man meinen, eine wichtige Frau – als Leiterin des Hauptpostamtes des Weihnachtsmannes ist sie seine oberste Gehilfin, zumindest in postalischen Dingen. Zusammen mit vier anderen Rotmützen weiblichen Geschlechts sitzt sie an einem Tisch in der Ecke des Raumes und öffnet Brief um Brief – derzeit sind es an manchen Tagen 30.000. Die Absender kommen aus aller Welt.

    Der Weihnachtsmann ist ja eine ganz besondere Person, der man seine tiefsten Geheimnisse anvertrauen kann. Viele berichten von ihren Hobbys, ihren Familien – und natürlich sind da die Geschenke, die sie sich zu Weihnachten wünschen. Aber Briefe nur mit Wünschen hat der Weihnachtsmann nicht so gerne, denn seine Helfer, die Wichtelmännchen, wissen natürlich längst, was die Kinder sich wünschen.

    Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir ein schönes Computerspiel und eine Barbiepuppe. Das war alles, tschüß bis zu Weihnachten, Deine Jasmin. Der hier kommt von, Moment mal, aus Deutschland, aber ich weiß nicht wo, ach hier, Zella-Mehlis. Und dann haben wir einen anderen, da heißt es: So, jetzt, wenn die Mädchen hier alle Briefe gelesen und nach Ländern sortiert haben, dann gehen sie zu einem Computer und schreiben die Adresse von Jasmin und allen anderen ein, und dann schicken wir den Brief, wenn all dies gemacht ist.

    Reich oder nicht – jedenfalls hat der joulupukki gute Verbindungen zur finnischen Post. Denn die bezahlt das Porto seiner Briefe, immerhin mehrere zehntausend Euro im Jahr. Doch nicht jeder, der ein Schreiben vom Weihnachtsmann erhält, bekommt auch einen individuellen Gruß.

    Aus allen Sendungen suchen wir die am häufigsten gestellten Fragen heraus – und die beantworten wir dann in einem in unterschiedlichen Sprachen verfassten Brief. Diesen aber schreiben wir nicht mit der Hand. Das schaffen selbst die vielen, fleißigen Wichtelmänner nicht.

    Doch keine Regel ohne Ausnahmen. Die Welt ist klein, sagt Taina Ollila, selbst hier am Polarkreis sind deren Krisen und Probleme oft ganz nah. Ist ein Kind krank oder hat eine Familie ein schweres Schicksal zu ertragen, schreiben die Wichtelmänner manches Mal sofort und schicken handgeschriebene Grüße vom joulupukki – in der Hoffnung, diese mögen manche Schmerzen lindern.