Seit Michael Wendler aus unserem Leben verschwunden sei, habe nur die Frage gegolten: Welcher TV-Sender ohne Moral, Verstand oder Skrupel ihn wohl irgendwann als erster zurückholen werde. So kommentierte TV-Kritiker Oliver Kalkofe auf Twitter. Um dann ironisch RTL2 zu beglückwünschen.
Der Münchner Privatsender hatte zuvor eine neue Doku-Soap über den früheren Schlagerstar und seine Frau Laura Müller angekündigt. Und damit eine Welle der Empörung angesichts Wendlers Vergangenheit ausgelöst.
„Seine Positionierung durch rassistische, queerphobe und untragbare Äußerungen hat es sehr verwunderlich gemacht, dass ein Sender wie RTL2 sagt: Das ist unser Mann, mit dem machen wir eine Prime-Time-Sendung“, fasst Thomas Lückerath vom Medienfachdienst DWDL die Kritik zusammen.
In Corona-Zeit: Verschwörungsmythen statt Privatfernsehen
Wendler hatte in der Corona-Pandemie schon früh begonnen, unterschiedliche Verschwörungsmythen zu erzählen. RTL verbannte ihn deshalb aus der Jury der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“. Danach näherte sich der mittlerweile 50-Jährige anderen, überwiegend rechtsextremen Medien an. Er teilte etwa auf seinem Telegram-Kanal Inhalte der Qanon-Ideologie aus den USA, die aus Lügen über angeblich gefolterte Kinder oder Wahlbetrug besteht. Außerdem verbreitete Wendler auch Erzählungen, in denen der politische Umgang mit der Pandemie mit der Nazi-Herrschaft verglichen wurde.
Noch vor einem halben Jahr distanzierte er sich in einem Interview davon inhaltlich nicht, sondern beklagte stattdessen: „Es ist tatsächlich, ja man kann sagen, eine finanzielle Hinrichtung gewesen.“
Zunächst Karriere als Musiker und "Reality-Star"
Michael Wendler, der eigentlich Michael Norberg heißt, ist seit gut 25 Jahren als Musiker und unter Künstlernamen aktiv. Einen ersten größeren Erfolg hatte er mit dem Lied „Sie liebt den DJ“. In der Folge trat der gelernte Speditionskaufmann in verschiedenen Reality-Formaten im Fernsehen auf, wie etwa dem „Dschungel-Camp“ oder „Promi Big Brother“. Außerdem gab es bereits 2010 eine Serie über sein Privatleben namens „Der Wendler Clan“.
Nun sollte sich das also wiederholen: mit einer anderen Familie, Wendler heiratete 2020 neu. Und statt auf Sat1 sollte sein Familienleben mit Gattin Laura Müller auf RTL2 gezeigt werden.
So war es geplant – doch dann kam die Rolle rückwärts des Senders: Man habe die Vehemenz der Reaktionen wahrgenommen und nehme die Stimmen seines Publikums ernst, erklärte der Sender am Mittwochmorgen. Man bitte um Entschuldigung, „sollten wir hier Gefühle verletzt haben", heißt es weiter. Man werde das Projekt deshalb nicht weiterverfolgen.
Distanzierung von Anteilseigner RTL
Zuvor hatte bereits die RTL Group – mit 35,9 Prozent größter Anteilseigner an RTL2 angekündigt, die Wendler-Doku nicht auf seiner Plattform RTL Plus anbieten zu werden.
„Das war die erste öffentliche Abfuhr eines Gesellschafters", ordnet Thomas Lückerath diese Reaktion ein. Und Reaktionen der anderen Gesellschafter – darunter der Bauer-Verlag und das US-Unternehmen Disney – hätten noch folgen können, schätzt der DWDL-Experte. „Fraglich, inwiefern die damit einverstanden sind. Auf der anderen Seite ist man auch immer wieder erstaunt, wie stumm manche Unternehmen sind, weil sie dann doch gerne Gewinne abgreifen.“
Experte: RTL2 wollte "Talk of Town" sein
Hinter den Plänen von RTL2 würde vor allem, so schätzt Lückerath, ein umkämpfter Werbemarkt stecken. Und hier ein verzweifelter Sender: „Das ist der Versuch, 'Talk of Town' zu sein. In Gesprächen, die ich geführt habe mit – sowohl auf Sender- als auch auf Produzentenseite beteiligten Personen – kam gestern immer wieder die Begeisterung dafür durch, dass man endlich wieder 'Talk of Town' ist. Also, man wollte, man will diesen großen öffentlichen Aufschlag.“
Am Ende war die öffentliche Kritik dann aber wohl doch zu stark. Oder wie Oliver Kalkofe kommentiert: Selbst in seiner Rückgratlosigkeit habe RTL2 kein Rückgrat.