Asylpolitik
Kann das Ruanda-Modell Vorbild für Deutschland sein?

Ruanda hat sich dazu bereit erklärt, Geflüchtete aus Großbritannien aufzunehmen und deren Asylverfahren abzuwickeln. Dieser Ansatz findet auch hierzulande Anklang. Die Ampelregierung will Drittstaaten-Lösungen prüfen.

21.06.2024
    Die Hand eines Flüchtlings ist an einem Zaun der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg zu sehen.
    Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt: Immer wieder wird in Deutschland über das Asylrecht und Geflüchtete diskutiert. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Seit Ruanda sich bereit erklärt hat, Flüchtlinge aus Großbritannien aufzunehmen, wird darüber spekuliert, ob ein ähnliches Modell auch für Deutschland geeignet wäre. Auf Druck der Innenminister hat die Bundesregierung inzwischen zugesagt, die Möglichkeit einer Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten oder Transitländern weiter zu prüfen und bis Dezember Ergebnisse vorzulegen.
    Zugleich dämpfte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) allerdings die Erwartungen und erklärte, dass Modelle wie das italienische oder das britische für Deutschland wegen seiner anderen geografischen Lage und der viel größeren Zahl an Asylsuchenden nicht infrage kämen.

    Inhalt

    Was ist das britische Ruanda-Modell?

    Das britische Parlament hat ein Gesetz zur Abschiebung von Migranten nach Ruanda verabschiedet. Es ermächtigt dazu, Asylsuchende künftig ohne Prüfung und ungeachtet ihrer Herkunft in das zentralafrikanische Land auszufliegen. Ihre Asylanträge werden dann von den ruandischen Behörden geprüft. Bei Zustimmung erhalten die Betroffenen dort ein Aufenthaltsrecht - also nicht in Großbritannien. Bis zum Jahresende sollen 5.700 Menschen nach Ruanda abgeschoben werden.

    Kommt das Ruanda-Modell rechtlich für Deutschland infrage?

    Grundsätzlich können Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden. Doch müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Diese Bedingungen beinhalten die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Menschenrechtskonvention durch den Drittstaat. Insbesondere darf der Drittstaat Flüchtlinge nicht in Länder zurückschicken, in denen ihnen Verfolgung oder ernsthafte Gefahr droht. Diese Regeln gelten auch für das Nicht-EU-Land Großbritannien.
    Für Deutschland ist die Situation komplizierter, da es Mitglied der EU ist. Das EU-Recht macht es praktisch unmöglich, Asylverfahren in großem Umfang ins Ausland zu verlagern. Ein Hindernis ist dabei auch das sogenannte Verbindungskriterium, das in der EU gilt. Das besagt, dass Migranten nur in Drittstaaten zurückgeschickt werden können, zu denen sie einen Bezug haben.
    Grafik, die die Fluchtrouten über das Mittelmeer zeigt
    Es gibt viele Fluchtrouten in die EU, die meisten führen über das Mittelmeer. (dpa / dpa-infografik GmbH)
    Man kann jemanden also nicht in ein sicheres Drittland schicken, in dem er sich zuvor nicht länger aufgehalten hat. Umstritten ist, ob eine Durchreise von einigen Tagen bereits als längerer Aufenthalt gilt.
    "Jemand, der über Libyen nach Tunesien einreist, den darf man nicht nach Ruanda schicken", erklärt der Rechtswissenschaftler Daniel Thym. "Jemand, der über Serbien und Ungarn in die Europäische Union einreist - was viele machen, die nach Deutschland kommen - dürfte man nicht nach Marokko schicken, weil die Person sich davor nicht in Marokko aufgehalten hat."
    Dies bedeutet, dass Deutschland das Modell Ruanda, bei dem Menschen einfach irgendwohin abgeschoben werden, nicht anwenden kann. Hier bräuchte es also zunächst eine Änderung im EU-Recht.
    Die deutsche Ampelregierung hat sich klar für das Verbindungskriterium ausgesprochen, die Unionsparteien sprechen sich hingegen dafür aus, es abzuschaffen. Damit sei die CDU auf Linie mit der Mehrheit der EU-Staaten, sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus. Auch das UNHCR habe bestätigt, dass das Verbindungskriterium nicht notwendig sei, um die Genfer Flüchtlingskonvention zu erfüllen.

    Welche ähnlichen Modelle gibt es bereits in der Migrationspolitik?

    Zum Beispiel den Italien-Albanien-Deal. Dieser sieht vor, dass Italien bis zu 3.000 Flüchtlinge und Migranten mit schlechter Bleibeperspektive in Albanien unterbringt. Bei positivem Asylbescheid erfolgt die Überführung nach Italien, sonst die Abschiebung.
    Italien entsendet aber nur diejenigen nach Albanien, die auf dem Mittelmeer gerettet wurden und noch gar nicht in Italien angekommen sind. So greift das Verbindungskriterium für Italien nicht. Albanien erhofft sich im Gegenzug Unterstützung für seinen EU-Beitritt.
    Bereits 2016 kam es zum EU-Türkei-Abkommen. Die EU sicherte Milliardenhilfen zu, während die Türkei sich verpflichtete, Fluchtrouten zu schließen und zurückgeschickte Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen.

    Welche Argumente sprechen für eine ähnliche Lösung wie das Ruanda-Modell?

    Die Union argumentiert, dass sie mit dem System der sicheren Drittstaaten die Kontrolle über die Migration nach Europa und Deutschland zurückgewinnen will. Sie betont, dass es kein Recht gibt, das Zielland für Schutzmaßnahmen frei zu wählen, insbesondere wenn bereits sichere Länder durchquert wurden.
    Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Union im Bundestag, fordert einen Paradigmenwechsel, um falsche Anreize zur Migration nach Europa zu reduzieren. Er kritisiert das aktuelle System als inhuman, da es die Starken, Fitten und Jungen bevorzuge und Tausende im Mittelmeer sterben lasse.
    Ähnlich steht es auch im Positionspapier der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Parteienbündnisses von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Wer in der EU Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überstellt werden und sich dort einem Asylverfahren unterziehen. Bei positivem Ausgang soll der sichere Drittstaat dem Antragsteller dann Schutz gewähren.
    Die Idee sicherer Drittstaaten ist nicht neu und bereits seit Langem im internationalen Recht sowie im EU-Recht verankert, sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus. "Wichtig dabei ist, dass sichere Drittstaaten sicher sein müssen. Man kann niemanden in irgendeine Diktatur in Afrika schicken. Aber die irreguläre Migration, die so vielen Menschen Angst macht, die im letzten Jahr zu über 3.100 Toten geführt hat - sie zu reduzieren durch solche Modelle, das ist richtig, das ist sinnvoll. Ich würde sogar sagen, das ist moralisch."

    Welche Argumente sprechen gegen eine ähnliche Lösung wie das Ruanda-Modell?

    Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl prangern seit Jahren die Zustände im Mittelmeer und auf anderen Fluchtrouten an. Sie argumentieren, dass das sogenannte Ruanda-Modell und ähnliche Ansätze dazu führen, dass Menschen noch gefährlichere Wege wählen, um Europa zu erreichen. Statt zu mehr Schutz führe diese Politik empirisch gesehen oft zu mehr Todesfällen und erheblichen Menschenrechtsverletzungen während der Flucht. In einer Stellungnahme von Pro Asyl heißt es, der UK-Ruanda-Deal sei rechtswidrig, menschenverachtend und dysfunktional.
    Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, sieht durch solche Modelle die Gefahr, dass sich Europa aus dem Flüchtlingsschutz zurückzieht. "Besonders schlimm finde ich es, wenn sich deutsche Politiker ausgerechnet UK als Vorbild nehmen. Das ist letztlich der Einstieg in den Rückzug aus dem europäischen Menschenrechtssystem."
    NGOs in England weisen darauf hin, dass sich seit Beginn der Ruanda-Politik die Zahl der anhängigen Asylverfahren mehr als verdoppelt hat. Zudem könne Ruanda aktuell wahrscheinlich nur 200 bis 300 Personen im Jahr aufnehmen, betont Pro Asyl-Sprecherin Judith: "Das ist weniger als ein Prozent der Asylsuchenden, die im letzten Jahr in England angekommen sind." Zugleich beliefen sich die Kosten auf eine halbe Milliarde Pfund.
    Das Bundesinnenministerium hat nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" 28 Expertinnen und Experten zu dem Auslagerungsmodell befragt. Ein Großteil der Fachleute war sich demnach einig, dass Asylzentren im Ausland teuer und ineffizient sind.
    Rechtswissenschaftler Daniel Thym erklärt, dass sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch das UNHCR sichere Drittstaat-Modelle anerkennen. Allerdings müssten bestimmte Bedingungen und Details erfüllt werden. Im Fall des britischen Ruanda-Plans könnte man durchaus die Meinung vertreten, dass dieser rechtswidrig sei. So habe der oberste britische Gerichtshof im November 2023 schließlich auch zunächst geurteilt. Die britische Regierung habe daraufhin versucht, das Gesetz rechtskonform umzugestalten.

    og, pto