Sie hat keine Lust mehr. Auf Doppelvierer. Nicht, dass Annekatrin Thiele in diesem Boot keinen Erfolg gehabt hätte. Ganz im Gegenteil. Im vergangenen Sommer noch feierte die mehrfache Welt- und Europameisterin in genau diesem Doppelvierer ihren bislang größten Erfolg: Gold bei den Olympischen Spielen in Rio.
Inzwischen ist die Grand-Dame des deutschen Ruder-Rennsports umgestiegen. Der Vierer ist nicht mehr ihr Ding. Die 32-Jährige sitzt jetzt lieber alleine im Boot. Fährt Einer: "Ich bin halt jemand, der immer viel trainieren musste", erklärt Thiele, "weil ich halt nicht mit Größe und dem nötigen Talent gesegnet war. Ich hab viel über Ehrgeiz und Kampf gemacht und musste mir meine Position schwer erarbeiten. Bei manchen wirkt es halt so, als ob sie denken: Ich bin ja jetzt drinnen - und wenn man dann kämpfen muss, wundern sie sich. Und in dieser Mentalität kann ich mich nicht wiederfinden."
Thiele vermisst Kämpfermentalität
Annekatrin Thiele vermisst beim Nachwuchs die Kämpfermentalität. Und das spricht sie auch offen an. So wie nach dem Weltcup-Finale Anfang Juli auf dem Rotsee bei Luzern. Dort konnte nur der Deutschland-Achter glänzen. Ansonsten: Flaute bei der deutschen Ruderflotte in den olympischen Bootsklassen. Keine weiteren Medaillen, nur drei Endlaufteilnahmen insgesamt. Das lag erstens an einer Hand voll Krankmeldungen, zweitens - und das ist der Hauptgrund: viele Topathleten haben aufgehört oder pausieren in der nacholympischen Saison. Deshalb soll die nächste Generation an die Weltspitze herangeführt werden. Und genau hier hakt es für Annekatrin Thiele:
"Ich mach mir schon ein bisschen Sorgen, vor allem was unseren Bereich angeht - im Frauen-Skull-Bereich. Wir sind immer vorne mit dabei gewesen und jetzt hoffe ich, dass die Bundestrainer die nötigen Schlüsse ziehen. Man muss halt auch dafür einiges investieren. Da gehört einfach mehr dazu, als sich reinsetzen und vorne wegzufahren."
Nicht alle teilen die Kritik
Diese kritischen Worte der Olympia-Siegerin will der Nachwuchs so nicht auf sich sitzen lassen. Christopher Reinhardt zum Beispiel. Er fährt seine erste Saison im Männer-Doppel-Vierer, und kennt sich auch gut aus mit dem stark verjüngten und neuformierten Frauen-Doppelvierer, der im Mai überraschend den EM-Titel holte:
"Meine Schwester sitzt ja im Doppelvierer. Die sind ja ne relativ junge Truppe, haben sich da jetzt so nach und nach rein gearbeitet und natürlich ist das am Anfang schwierig. Dass sie so schnell Erfolg hatten, damit hat auch keiner gerechnet. Also da mal eben Europameister zu werden, das muss man auch erst mal machen. Also irgendwas können sie ja schon", meint Reinhardt. "Danach war es ein bisschen schwierig, weil sie noch mal umbesetzt hatten und dann war meine Schwester verletzt - also es ist in bisschen schwierig gerade, aber es wird bestimmt auch wieder kommen."
Und auch Siegfried Kaidel, der Präsident des Deutschen Ruderverbandes, ist nicht ganz so streng mit den jungen Athleten: "Sie sind sicherlich alle bemüht und wenn man den Schritt von der U23 in den A-Bereich macht, da muss halt mehr Konstanz rein und das ist eben einfach Grund, Erfahrung zu sammeln und über einen gewissen Zeitpunkt ran zu kommen und stabil zu bleiben."
Andere Nationen haben andere Strategien
Dass andere Nationen wie zum Beispiel Neuseeland trotz ähnlich viel Neuanfang erfolgreicher sind als Deutschlands Ruderer, wundert Christopher Reinhardt nicht: "Das ist halt eine sehr ruderbegeisterte Nation. Rudern ist bei uns ja eine sehr krasse Randsportart. Das machen sehr wenige. Wir haben zum Teil große Probleme im Frauenbereich unsere Boote zu besetzen, weil wir einfach zu wenig Leute haben - obwohl wir zehn Mal so viele Einwohner haben wie Neuseeland oder noch mehr. Das kommt daher, dass Rudern bei uns nicht so wahrgenommen wird."
Und dann ist da noch die etwas andere Philosophie: Neuseeland setzt erstens auf bestimmte Bootsklassen, die dann gezielt gefördert werden. Der deutsche Ruderverband dagegen setzt auf den Achter und ansonsten auf eine Strategie der breiten Förderung. Sprich: Alle Boote werden so besetzt, dass sie es potenziell zu den Olympischen Spielen schaffen könnten. Zweitens: Neuseelands Ruderer trainieren in einem einzigen großen Ruderzentrum. Sie kennen es nicht anders. Der deutsche Bundestrainer Marcus Schwarzrock hat seine Athleten nicht so oft zusammen:
"Im nacholympischen Jahr machen wir es immer so, dass wir sagen, okay - wir betreiben ein bisschen weniger Aufwand, auch was zentrale Maßnahmen angeht, weil wir auch einfach die finanziellen Mittel und Ressourcen nicht haben, um das alle vier Jahre so zu gestalten. Und Richtung Olympia finden dann mehr zentrale Maßnahmen statt, da können wir die Mannschaften zusammen holen und auch mehr miteinander trainieren lassen. Aber wenn das eben nicht der Fall ist, dann ist das schon sehr schwierig."
Stützpunktpflicht - ja oder nein?
Ab Oktober 2018 - so der Deutsche Ruderverband - soll es auch für Deutschlands Spitzenruderer eine Stützpunktpflicht geben. Bislang gibt es die nur für den Deutschland-Achter. Wer in Deutschlands Vorzeigeboot will, muss in Dortmund trainieren. Dieses Prinzip soll dann für alle Bootsklassen gelten. Die Athleten sollen ihren Lebensmittelpunkt in die Nähe der Stützpunkte verlegen, sonst werden sie nicht mehr gefördert.
Diese Reform stößt bei vielen Vereinen und Landesverbänden auf Kritik. Und hat auch schon eine prominente Athletin bewogen, ihre Karriere zu beenden: Carina Bär, Olympiasiegerin im Doppelvierer. Sie hat sich gegen den Leistungssport und für ihre berufliche Karriere entschieden - mit 26: Die Medizinstudentin aus Heilbronn hätte für das Training nach Berlin umziehen müssen, wo es keine Kooperation zwischen Uni und Spitzensport gibt.
Und trotzdem - Christopher Reinhardt findet genau diese Strategie richtig: "Rudern ist halt ne Teamsportart. Und da macht es schon Sinn, dass man alle Ruderer an einem Ort hat. Ich denke, gerade davon lebt auch der Achter, dass er immer eine extrem starke Form hat. Weil es seit 2008 heißt - wenn ihr in den Achter oder den Vierer wollt, müsst ihr in Dortmund sein!"
Vor den Weltmeisterschaften im Oktober in den USA hat Bundestrainer Marcus Schwarzrock seine Athleten demnächst wieder häufiger zusammen. In diversen Trainingslagern. Davon verspricht er sich einiges. Und ein bisschen Rumgepolter von Olympiasiegerin Annekatrin Thiele kann seiner Meinung auch nicht schaden. "Solche Reibung erzeugt ja auch immer Wärme und damit dann auch Erfolg. Und von daher ist so ein kleiner Zickenkrieg ab und zu gar nicht schlimm."