Brigitte Bielig ist leitende Ruder-Bundestrainerin. Sie hatte nach den Olympischen Spielen von Tokio und vor der Saison 2022 ein schwieriges Jahres erwartet, was sich mit nur einer Medaille bei der WM nun bestätigte: „Die Enttäuschung sitzt sicherlich tief. Aber ich sage auch: wir sind einfach in einer Umbruchsphase, habe ich immer wieder betont. (…) Viele erfolgreiche, erfahrene Sportler haben aufgehört, haben ihre leistungssportliche Karriere beendet beziehungsweise haben einen Pausenjahr genommen. Leider Gottes kommen die auch nicht wieder zurück. Wir haben da Löcher in unserer Struktur gehabt, was die Kader-Anzahl betraf.“ Die Umstrukturierung des Verbandes ist für Bielig ein weiterer Faktor, der Probleme bereitet. Negative psychische Folgen bei jungen Athlet:innen durch das schwache Abschneiden bei der WM befürchtet Bielig allerdings nicht. Es habe auch positive Entwicklungen gegeben.
Auch in Tokio lief es mit zwei Silbermedaillen bei den Sommerspielen für deutsche Verhältnisse schon nicht gut. Nun wurde es bei der WM mit nur einer Medaille durch den Einer-Sieg von Oliver Zeidler mannschaftlich noch schwächer. Das lässt nichts Gutes erwarten, zeigt auch die Einschätzung von Mario Woldt, Sportdirektor des Verbandes:
„In diesem jetzt verkürzten Olympiazyklus haben wir nicht die Zeit, beziehungsweise ist dann auch der Druck noch mal auf alle deutlich höher.“ Woldt sieht dennoch Chancen für 2023 und vor allem für die Olympischen Spiele in Paris 2024, aus dem Tief herauszukommen.
Zu viel Bürokratie, zu viel Politik
Der Schlüssel zurück zum Erfolg ist für Woldt die in Deutschland sehr umstrittene Zentralisierung, wie sie international durchaus üblich ist: „Wir stellen auch erstmal fest: die Nationen, die vorne fahren, haben schon ein hohes Maß an gemeinsamem Training, dass sie ihre Kräfte an einzelnen Standorten bündeln und dort das Training gemeinsam von A bis Z dann gestalten.“ Beispiele seien Irland, die Niederlande, aber auch die gewohnten Hauptkonkurrenten aus Australien, Neuseeland und Großbritannien.
Kritik an den Strukturen gab es besonders vom aktuell erfolgreichsten Ruderer Oliver Zeidler, der autark in München mit seinem Vater als Trainer auf einer schnell erreichbaren Trainingsstrecke arbeitet. Das Umfeld passe für ihn als Einer hervorragend, sagt Woldt. Für ein Mannschaftsboot sehe das aber anders aus.
Für Brigitte Bielig wird im Rudern zu viel an Politik und Bürokratie gearbeitet. Dennoch zeigt sie sich begeistert von ihrem Job. Nach Paris werde aber sicher das Ende ihrer Zeit kommen – dann sei sie weit über das eigentliche Rentenalter hinaus.
Mario Woldt will sich bemühen, in einen Dialog mit Athletinnen und Athleten zu kommen. Die geballte Kritik zur EM habe ihn aber überrascht, weil er vorher nicht kontaktiert worden sei: "In der Massivität, wie es dann aufkam, in München zur Europameisterschaft. Dort fehlte bislang das Feedback."
"Wollen stärker zuhören"
Woldt sucht nun nach Möglichkeiten für Kompromisse: "Wir wollen auch stärker zuhören, was dort die Bedürfnisse sind, und müssen immer dann wieder einordnen: was können wir wirklich? Was können wir ändern? Was können wir wann ändern?" Es sei eben nicht alles kurzfristig machbar. Er glaube aber weiter an die Rückkehr zum Erfolg und ein Zusammenfinden.
Langfristig möchte Bielig, dass in der Jugend mehr an den Grundlagen gearbeitet wird und fordert höhere Trainingspensen. Kurzfristig sieht sie aber eine weniger erfolgreiche Zeit auf den Verband zukommen. Bei den Olympischen Spielen 2024 wieder zwei Medaillen zu holen werde wahnsinnig schwer: „Unsere Strategie ist auf 2028 ausgerichtet. Und da müssen wir jetzt aber auch an die zweite Reihe schon ran. Dass da uns nicht wieder das Gleiche passiert wie nach 2021, dass uns da viele Leute einfach wegbrechen oder nicht mehr da sind.“