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Rückblick mit Musikkritiker Jens Balzer
Pop und Politik 2017

2017 war ein Jahr der politischen Erdbeben: Donald Trump wurde US-Präsident, und auch in Deutschland und Europa ist Nationalismus im Aufwind. Wie sich die politischen Umwälzungen in der Pop- und Rockmusik niedergeschlagen haben, fasst Musikkritiker Jens Balzer im Dlf zusammen.

Jens Balzer im Corsogespräch mit Sascha Ziehn |
    Kendrick Lamar beim Panorama Music Festival 2016 in New York. Der Musiker steht vor dunklem Hintergrund und macht mit einer Hand das Peace-Zeichen
    Politisch und prämiert: US-Rapper Kendrick Lamar sorgte 2017 mit dem Album "DAMN." für Aufsehen (imago stock&people/ Zumba Press)
    Sascha Ziehn: Wenn man sich die Politik des Jahres 2017 anguckt, wird einem schon ein bisschen schwindelig. Über 12 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Deutschland haben eine rechte bis rechtsradikale Partei in den Bundestag gewählt, in Österreich sind ein paar stramme Nazis in der Regierung und so gut wie jeden Tag gab und gibt es verstörende Meldungen um US-Präsident Donald Trump. Wie hat sich das in der Popmusik niedergeschlagen? Darüber wollen wir sprechen im Corso Musikmagazin, mit dem Kollegen Jens Balzer, schönen guten Tag!
    Jens Balzer: Hallo, guten Tag.
    Ziehn: Lassen Sie uns vielleicht erst einmal in die USA gucken und erst mal so als Refresh ein Jahr zurück ins Jahr 2016, eben das Jahr, in dem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Wie haben Popstars, Musiker, Künstler darauf reagiert?
    Balzer: Ja, das ist in der Tat zum Vergleich ganz interessant, denn 2016 war ein enorm politisiertes Jahr. Das ging eigentlich schon los - die Bilder haben vielleicht manche noch im Kopf - mit diesem Auftritt von Kendrick Lamar bei der Grammy-Verleihung, wo er als Mitglied einer Chain Gang auf die Bühne trat und das versammelte weiße Establishment der Musikindustrie beschimpfte, dass es ihn und seine Rasse hasst, und den ganzen Abscheu, der ihm entgegengekommen ist im Laufe seiner Karriere und Biografie, zurückgespiegelt hat. Und das ging dann weiter. Da war ja noch gar nicht abzusehen, dass Donald Trump auch nur ein ernstzunehmender Kandidat um die Präsidentschaft sein würde. Aber es gab diese "Black Lives Matter"-Bewegung und den sich wieder aufschwingenden Rassismus in den USA. Und es gab dann wirklich große Platten von Beyoncé und von ihrer Schwester, von Solange Knowles, von Run the Jewels und von A Tribe Called Quest. Also dieses ganze Jahr 2016 stand wie ein Zeichen eines großen Aufbäumens, vor allem auch der afroamerikanischen Musik, aber auch vieler weißer Popstars, gegen das, was sich im Laufe des Jahres als Menetekel drohend am Horizont abzeichnet - nämlich den wahnsinnigen Rechtsruck in der Gesellschaft.
    Keine großen politischen Statements gegen Trump
    Ziehn: Und dann, fast genau vor einem Jahr, am 20. Januar 2017 wurde Trump inauguriert. Inwiefern war Trump in diesem Jahr Thema in der US-amerikanischen Pop- und Rockmusik?
    Balzer: Interessanterweise: Er war schon Thema, also es gab natürlich viele Interviews von Künstlern und Künstlerinnen und viele Popmusiker, die sich gegen ihn positioniert haben. Aber gerade wenn wir das mit 2016 vergleichen, dann muss man sagen, es gab eigentlich keine vergleichbaren großen musikalischen Statements gegen Trump. Auch nicht von Leuten, von denen man das erwartet hätte. Kendrick Lamar hat eine sehr schöne Platte aufgenommen namens "DAMN.", die ist, glaube ich, im April erschienen. Aber das ist auch kein offensives politisches Statement, sondern eher so eine Rückbesinnung auf die eigenen kommunalen Community-Wurzeln, wo er noch mal so in sich geht und versucht, seine Leute zu sammeln. Das ist gewissermaßen eher ein Rückzug in einen Safespace der eigenen Community.
    Ganz ähnlich bei Jay-Z, der auch ein Albumaufgenommen hat, das sich erst mal nicht mit Politik beschäftigte, sondern eher mit den Angriffen seiner Frau im Jahr davor.
    Ziehn: Die Seitensprung-Geschichte.
    Balzer: Die Seitensprung-Geschichte. Also es steht im Zeichen von Sühne und Buße und er will wieder ein guter Mensch sein, entschuldigt sich bei allen. Es gibt dann ein Stück, "The Story of O.J.", wo er sich dann im weitesten Sinne damit beschäftigt, dass der Rassismus in den USA eine endlose Geschichte ist und alle emanzipatorischen Errungenschaften, derer man glaubte, sich sicher sein zu können, unter Trump wieder in Frage gestellt wurden. Dazu gab es ein sehr schönes Video, wo diese rassistischen Zuschreibungen, aus denen man auch gerade als Afroamerikaner nicht entkommen kann, im Stil alter Zeichentrick-Filme aus den 30er-Jahren visualisiert wurden. Aber auch da ist die politische Perspektive, wenn es überhaupt eine gab, eher resignativ. Also Jay-Z sagte: Wir haben es jetzt so lange versucht, mit den Weißen zusammen zu leben, eine gemeinsame Gesellschaft zu gründen - wir sehen an Trump, es geht einfach nicht. Wir müssen uns zurückziehen. Warum machen wir keine schwarzen Grammys? Warum machen wir keine schwarzen Oscars? Wir brauchen einfach eine Parallelgesellschaft, wenn es in der multikulturellen Gesellschaft nicht funktioniert. Das ist natürlich keine … Wenn es überhaupt eine Perspektive ist, erst mal keine sehr produktive Perspektive.
    "Man sah, wie sehr sich die Stimmung binnen weniger Wochen verändert hatte"
    Ziehn: Immer unfassbar wichtig ist dieser Super-Bowl-Auftritt. Es gab im Jahr 2016 den von Beyoncé - sehr politisch. 2017 hat Lady Gaga diese Halbzeit-Show gemacht - Unterstützerin von Hillary Clinton. Welche Rolle hat Politik in diesem Auftritt von Lady Gaga gespielt?
    Balzer: Da hat man natürlich eine Menge erwartet, weil Beyoncé die Latte so hoch gelegt hatte mit diesem Black-Panther-Ballett im Jahr davor und Lady Gaga sich - haben Sie schon gesagt - immer deutlich positioniert hat. Und dann gab es so einen ganz komischen, also nicht uninteressanten Auftritt - aber einen, wo sie doch eher ein Greatest-Hits-Medley aus ihrem eigenen Werk gespielt hat, mit so ein paar Anspielungen, die man Trump-kritisch verstehen konnte, aber nicht musste. Also zum Beispiel wurde von ihr "God Bless America" angespielt von Irving Berlin - Irving Berlin, einem jüdischen Immigranten. Damit wurde die Migrationsgeschichte in den USA zitiert oder assoziiert. Und dann gab es ein Zitat aus "This Land is Your Land" von Woody Guthrie - also auch jemandem, der am Beginn der politischen Folk-Musik-Tradition die USA als Land der Freiheit, Gleichheit und als Land der Migranten gefeiert hat.
    Lady Gaga mit ihren Tänzern: Andeutungsweise politisch
    Lady Gaga war beim Super Bowl nur in Andeutungen politisch (picture alliance / dpa / Patrick Semansky)
    Das waren alles Zitate, die man als kleine Spitzen gegen Trump lesen konnte, die man aber auch leicht übersehen konnte. Und ich hatte eher das Gefühl, das war eher, als ob jemand einen Kassiber in so eine Massenveranstaltung schmuggelt, als ob man sich selbst schon in so einer DDR-haften Zensurgesellschaft befände - also in einer Diktatur, wo man alle politischen Anspielungen reinschmuggeln muss. Von daher war das interessant, aber auch ein gespenstischer Auftritt, weil man schon sah, wie sehr sich die Stimmung im Land binnen weniger Wochen, in 3 Monaten seit der Wahl, glaube ich, verändert hatte.
    "Auf der Seite der Rechten herrscht irgendwie musikalisches Schweigen"
    Ziehn: Wie sieht es eigentlich auf der politisch anderen Seite aus?
    Balzer: Ja, interessant.
    Ziehn: Gibt es Musiker in Trumps isolationistischer Politik und diese Alt-Right-Bewegung, aus der sein Ex-Berater Stephen Bannon kommt, ganz offen feiern? Irgendwelche erzkonservativen, patriotischen Countrysänger zum Beispiel?
    Balzer: Nein, komischerweise nicht. Oder was hießt komischerweise … Es gibt da schon Leute wie Kid Rock. Im November kam, glaube ich, das Album heraus, der dann als Sachwalter des White Trash oder auch des ehrlichen, arbeitenden weißen Mannes aus dem Rust Belt, sich auf der Seite der Trump-Wähler befindet. Aber es gab keine große Positionierung. Das sah man ja auch schon an den Schwierigkeiten, die Trump hatte, zu seiner Inaugurationsfeier überhaupt ein halbwegs brauchbares Line-up an Musikern hinzukriegen. Hat er dann auch nicht geschafft, gerade im Vergleich zu dem, wer bei den Obamas beim Mal davor aufgespielt hatte, war das mehr als kläglich. Also es gab so ein Phänomen, das nannte sich "Trumpwave", oder auch "Fashwave". Das ist instrumentale elektronische Musik, die man, wenn man keine weiteren Ikonografien dazu hat, auch in jeder Gothic-Disco hier in Deutschland spielen könnte, ohne dass es jemandem auffallen würde, die dann nur mit völkischen, nationalsozialistischen oder Trump feiernden Ikonografien, visuellem Material angereichert war bei den YouTube-Auftritten. Das war das politisch Deutlichste. Aber auch das sind dann Underground-Phänomene von Produzenten, die anonym auftreten - also im Grunde wie diese 4chan-Blogger und Trolle, die in diesen obskuren Internetbereichen, wo man sein wahres Gesicht nicht zeigt, für Trump Stimmung gemacht haben. Aber niemand, der auf einer Bühne stehen würde oder auch nur ein DJ, der große Erfolge bei einem Massenpublikum hat, - da gab es sonderbarerweise nichts. Auf der Seite der Rechten herrscht irgendwie musikalisches Schweigen.
    Pharrell Williams' "1000": "Das ist schon ein erstaunliches Ding"
    Ziehn: Jetzt ist doch noch, kurz vor Jahresende, ein sehr eindeutiges Statement erschienen: die Single "1000" von Pharrell Williams und Future. Was sind da die Inhalte und Hintergründe?
    Balzer: Das ist interessanterweise das deutlichste politische Statement, das wir in diesem Jahr gegen Trump gesehen haben. Das kommt nun ausgerechnet von Pharrell Williams, also dem "Happy"-Sänger, dem Erfinder des noch immer erfolgreichsten Weihnachtsfeier- und Betriebsfeier-Hits der letzten Jahre. Und der hat mit seinem Band-Projekt N.E.R.D. nach Jahren mal wieder eine sehr schöne Platte herausgebracht: "No One Ever Really Dies" heißt die. Und da gibt es eine Single, "1000" heißt die, mit einem gerade sehr angesagten jungen Trap-Rapper namens Future, wo es einerseits darum geht, dass Pharrell Williams jetzt eindlich mal wieder einen Riot sehen will und dem Trail of Tears nicht mehr folgen will, dem die Afroamerikaner zu lange gefolgt seinen - also alles hinnehmen und alles erdulden -, sondern es ist jetzt wieder Zeit aufzustehen. Während Future dann ganz klassisch davon rappt, dass er die tollsten großen Autos hat und die teuersten Juwelen und die schönsten Frauen. Da gibt es so ein Oldschool-Politisierungs-Mash-up gewissermaßen. Interessant ist das Video, das in den USA auch wirklich breit geteilt wurde, in allen sozialen Netzwerken, auf allen Kanälen, die man sich vorstellen kann. Da sieht man nämlich vor allem, wie aufrechte linke Demonstranten Nazis verprügeln, Südstaaten-Flaggen abreißen und verbrennen. Man sieht den amtierenden Präsidenten mit Hakenkreuz-Armen. Und es gibt - das hat mich als alten Mann und Punkrock-Sozialisierten sehr gefreut - einen Sample von den großen, alten Punkrock-Helden Dead Kennedys, "Nazi Redneck Assholes Fuck Off!". So was gab es früher nur im Underground-Radio und Pharrell Williams hat das wirklich noch einmal in den Mainstream gespült. Das ist schon ein erstaunliches Ding.
    Ziehn: Und dieses erstaunliche Dinge wollen wir natürlich auch hören - Jens Balzer, wir sprechen gleich über die Politik in der deutschen Musik - das sind N.E.R.D.: "1000" im Corso-Musikmagazin.
    (Musik)
    Ziehn: N.E.R.D. mit "1000" - eines der wenigen expliziten politischen Statements, das das Jahr 2017 in der US-amerikanischen Musik hervorgebracht hat. Wie sieht das in Deutschland eigentlich aus? Ist die Musik politischer geworden, mit Pegida-Aufmärschen und dem Einzug der AfD in den Bundestag? Jens Balzer, irgendwas gefunden, was sich damit auseinandersetzt?
    Unterbewertet: Joy Denalanes und Caspers neue Alben
    Balzer: Es gibt auch hier nicht wirklich eine große, überragende deutliche politische Platte in diesem Jahr. Ich weiß auch gar nicht, vom wem die hätte kommen können. Mich hat sehr angerührt: Anfang des Jahres gab es eine neue Platte von Joy Denalane, afrodeutsche Soulsängerin aus Berlin, vielleicht den älteren Hörerinnen und Hörern noch aus dem Umfeld der Band Freundeskreis bekannt. Und die hat ein neues Album aufgenommen, "Gleisdreieck", auf dem sie sich unter anderem damit beschäftigt, wie sich ihr Leben als Afrodeutsche, als dunkehäutige Deutsche, verändert hat in den letzten Jahren und wie dieser Rechtsruck, den wir miterlebt haben, in die Kapillaren des Alltagslebens eingedrungen ist - also wie die Blicke auf sie immer fremder geworden sind in den letzten Jahren und wie sie an Orten, an denen sie aufgewachsen ist und an denen sie ganz selbstverständlich zu Hause ist und sich zu Hause fühlt, plötzlich sich entfremdet vorkommt, weil die Blicke weißer Menschen auf farbige Haut anders geworden sind. Eine Platte, die, finde ich, ein bisschen untergegangen ist, leider, und mir auch ein bisschen unterbewertet schien im Feuilleton. Ähnlich wie Solange Knowles im vorherigen Jahr mit "A Seat at a Table", eine der Platten, die die politische Stimmung aufgreifen, ohne das dann gleich in aktivistische Parolen zu überführen. Manchmal ist es ja auch erst einmal wichtig, sich darüber klar zu werden, wie sich die Dinge wirklich verändern und wie sich das auf unseren Alltag im Kleinen auswirkt.
    Ziehn: Das klingt auch mehr wie eine Art Beobachtung, Observation. Gibt es da auch kämpferische Ansätze im Geiste von "Schrei nach Liebe" von den Ärzten oder Ton Steine Scherben gegen diesen Rechtsruck?
    Die Musiker Casper - bürgerlich Benjamin Griffey - steht am 10. November 2017 im Rahmen seiner - "Lang lebe der Tod"-Tour - in den Westfalenhallen in Dortmund auf der Bühne
    Tanzen gegen die Apokalypse: Caspers neues Album "Lang lebe der Tod" ist auch ein Statement gegen den Rechtsruck in Deutschland (imago stock&people/Manngold)
    Balzer: Es gab eine auch im Feuilleton unterbewertete Platte von Casper, dem deutschen Rapper - er hat als Rapper angefangen, sich dann zwischendurch fast Bruce-Springsteen-artigem Rock zugewandt und hat jetzt so eine Gothic-EBM-Hip-Hop-Platte aufgenommen, "Lang lebe der Tod". Und da geht es tatsächlich auch um die Art und Weise, wie seine eigene Depression sich mit der Depression des Landes verbindet. Und es geht ganz konkret um die Denkblasen der AfD-Wähler und Wutbürger, um diese elende Abkapslung von der Realität. Es geht um die Ängste der Menschen, die aus irgendwelchen Gründen immer vor den falschen Sachen Angst haben, die sich vor ein paar Flüchtlingen mehr fürchten als vor dem drohenden Klima-Kollaps, der uns wirklich alle angeht. Aber das wird alles so verdrängt. Es geht um den Wunsch, vor all diesen "scheiß Nazis", Zitat, aus der Welt zu fliehen. Aber dann wird doch wieder zum Rave gegen die Apokalypse gerufen, in diesem Stück, das "Keine Angst" heißt. Und dazu gibt es ein Video, wo junge Leute noch einmal so ganz exzessiv zu dieser Art von Gothic-Rock-Disco-Emo-Core tanzen und drum herum hört man schon Luftsirenen und die Wände wackeln und der Kronleuchter über der Tanzfläche fällt dann irgendwann herunter, wegen eines Fliegeragriffs offensichtlich.
    (Musik)
    Ziehn: Casper und Drangsal: "Keine Angst", aus dem Album "Es lebe der Tod" - auch so ein Statement gegen diesen Rechtsruck, den es gibt in Deutschland. Wir haben jetzt vor allem über Künstler geredet, die eher aus der linken Szene kommen. Wie sieht es da auch wieder auf der Gegenseite aus - Bands, die mit rechter Symbolik zumindest mal spielen oder auch offen verwenden? Freiwild zum Beispiel, werden die jetzt die Poster-Boys der Neuen Rechten und äußern sich auch entsprechend?
    "Bei den angeblichen neuen 68ern der deutschen Rechten, da gibt es gar nichts"
    Balzer: Auch nicht. Wir haben vorhin schon gesprochen über die sonderbare Stille auf Seite der Neuen Rechten in den USA. Es gibt keinen Soundtrack für die Alt Right in den USA und es gibt auch nicht wirklich einen Soundtrack für die Neuen Rechten in Deutschland. Sie haben es schon erwähnt: Bei einer Band wie Freiwild, an deren Karriere konnte man in den letzten Jahren genau verfolgen, wie sich diese Leute, die sich als Abgehängte vorkommen und dann einerseits enorm aggressiv, maskulin-aggressiv, auftreten, aber sich dann auch immer als Opfer fühlen … Also lange bevor es Pegida gab, konnte man sich die psychopathologische Disposition von Pegida auf Freiwild-Konzerten schon ansehen. Aber in dem Moment, wo das jetzt politisch konkret wird, ziehen die sich zurück und haben sich ja auch nie an die Spitze der Bewegung gestellt. Das gilt sowohl für Freiwild als auch für die Bösen Onkelz, die man sich ja als AfD- oder Pegida-Band vorstellen könnte. Die haben sich da alle zurückgehalten und aus dieser Neuen Rechten heraus ist eigentlich auch nichts entstanden.
    Es gibt einen Rapper aus Halle an der Saale, der heißt Komplott und macht Identitären-Rap, wird auch immer auf den Demonstrationen von diesen Identitären gespielt. Der rappt dann über diese schlimmen No-go-Areas für Deutsche, die es überall gibt, und für mehr Denkmalschutz, weil unsere ganzen alten Monumente verfallen und der europäische Kulturkreis geht den Bach herunter. Das wirkt dann alles unfreiwillig komisch, wenn es nicht so ernst wäre in diesen Zusammenhängen. Aber das ist der Bekannteste aus der Neuen Rechten. Und außerhalb der Szene kennt den niemand. Also auch da gibt es so ein komisches Vakuum, was ich interessant finde, weil ja gerade in den Feuilletons in den letzten Monaten immer versucht wurde, die Neuen Rechten zu den neuen 68ern hochzuschreiben. Also der coole politische Zeitgeist ist eben nicht mehr auf der Seite der Linken, sondern auf der Seite der Rechten. Aber wenn es tatsächlich die neuen 68er sind, dann sind es die neuen 68er ohne Musik. Also die alten hatten immerhin Joan Baez und Neil Young und Grateful Dead und in Deutschland, haben Sie schon erwähnt, Ton Steine Scherben oder die Ärzte. Aber die angeblichen neuen 68er der deutschen Rechten, da gibt es gar nichts.
    "Man war verunsichert. Die gesamte Szene hat gegen Trump gekämpft und er hat trotzdem gewonnen"
    Ziehn: Klingt für mich alles so, als sei das ein ganz großes Durcheinander gerade.
    Balzer: Ja.
    Ziehn: Keiner weiß in der Popmusik so ganz genau, wo es inhaltlich eigentlich lang gehen könnte.
    Balzer: Ja, wie in der ganzen Welt.
    Ziehn: Es gibt diese Grabenkämpfe, Nebenschauplätze. Ist die Musikwelt vielleicht gerade genauso überfordert wie die politische und soziale Welt?
    Balzer: Ja, die Musikwelt ist überfordert - interessanterweise war es ja auch so: Da, wo die stärksten politischen Statements zustande kamen, ging es immer darum, dass jemand boykottiert werden soll. Also man soll nicht mehr in Israel spielen, man boykottiert Leute, die dazu aufrufen, nicht mehr in Israel zu spielen - ein endloses Hin und Her in diesem Jahr, auch ein eine enorme Polarisierung. Und man sieht daran, genau, wie unübersichtlich die politische Lage geworden ist, aber ach wie unübersichtlich das Verhältnis der Musiker zu ihrem Publikum geworden ist.
    Ich habe das Gefühl, in den USA herrscht nicht zuletzt deswegen auch so ein gewissens Schweigen, weil man nach diesem Jahr 2016, nach diesem politischen Emanzipations-Aufbäumen so verunsichert war. Das hat ja auch alles nichts geholfen. Die gesamte Szene hat gegen Trump gekämpft und er hat trotzdem gewonnen. Und man fühlte sich, glaube ich, jetzt selber auf so eine komische Weise marginalisiert, dass man erst mal darüber nachdenken muss. Darum ja auch dieses nachdenkliche Album von Kendrick Lamar - wie verhalten wir und eigentlich politisch und wie erreichen wir überhaupt Leute, die nicht ohnehin schon unserer Meinung sind? Also: Wie kommen wir - darüber haben sich auch viel Intellektuelle außerhalb der Musikszene Gedanken gemacht - wie kommen wir aus unserer Blase heraus? Und ich glaube, in dem Zustand befinden wir uns gerade. Und auch in Deutschland befinden wir uns in dem Zustand, dass viele, sagen wir mal, linke Musiker erst mal darüber nachdenken, wie man sich dieser allgemein ausgebreiteten Biedermeier-Stimmung in den Hitparaden überhaupt widersetzt, ohne auch wieder nur auf der Seite von uncoolen, linken alten Gutmenschen zu sein. Das ist ein schwieriger Spagat.
    Ziehn: Jens Balzer - ganz herzlichen Dank.
    Balzer: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.