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Rückfall in die Bananen-Republik?

Lateinamerika erlebt erst seit Ende der 80er-Jahre eine Zeit fast ungebrochener demokratischer Entwicklung. An die Stelle militärischer Intervention ist oftmals der Wahlbetrug durch regierende Parteien getreten. Aber das demokratische Bewusstsein ist insgesamt gewachsen. Ist der Militärputsch in Honduras da eine Ausnahme, oder zeichnet sich in einem der ärmsten Länder Lateinamerikas ein Trendwende ab?

Von Peter B. Schumann | 04.07.2009
    Gewalt in den Straßen von Tegucigalpa. Uniformierte dreschen mit Schlagstöcken auf die Menschen ein, auch auf Kameraleute und Reporter. Die honduranischen TV-Sender mussten ihr Programm einstellen, auch Handys funktionieren nicht mehr. An diesem Morgen ist sogar die Stromversorgung abgeschaltet worden. Antiterroreinheiten mit Panzerwagen und schweren Waffen fahren gegen Demonstranten auf.

    Tagelang war Kriegszustand in der Hauptstadt von Honduras. Dieses kleine Land in Mittelamerika wird seit Jahrzehnten von Militärs beherrscht. Sie waren Handlanger US-amerikanischer Bananenkonzerne, daher der Ausdruck "Bananen-Republik". Aber sie haben sich auch stets als willfährige Erfüllungsgehilfen der Regierungen in Washington erwiesen. Sergio Ramírez, Vizepräsident der ersten sandinistischen Regierung im Nachbarland Nicaragua:

    "In Honduras haben die Streitkräfte stets eine entscheidende Rolle gespielt, gerade in den 80er-Jahren. Damals halfen sie die Politik Reagans durchzusetzen, der mit Hilfe der paramilitärischen Contras die linke Regierung Nicaraguas zu stürzen versuchte. Honduras diente als Operationsbasis und Rückzugsgebiet. Als später im Land endlich Zivilregierungen herrschen konnten, verloren die Militärs keineswegs an Einfluss. Das blieb so bis zu diesem Militärputsch."
    Er wirkt wie ein trauriger Rückfall in die Zeit der "Bananen-Republik". Aber diesmal fehlt ein wichtiger Akteur, der Drahtzieher fast aller Staatsstreiche in Lateinamerika: die USA. 1954 putschten mit ihrer Hilfe Militärs in Guatemala, 1964 in Brasilien, 1973 in Chile, 1976 in Argentinien, 1983 in Grenada - um nur die wichtigsten zu erwähnen. Präsident Obama erklärte nun eindeutig:

    "Es wäre ein schrecklicher Präsident, wenn er in die Ära zurückkehrte, in der Militärcoups als Mittel zur Durchsetzung politischer Veränderungen wichtiger waren als demokratische Wahlen. Die Region hat in den letzten 20 Jahren ungeheuere Fortschritte gemacht und demokratische Traditionen in Mittelamerika und Lateinamerika herausgebildet."

    Viele Vorgänger Obamas hatten die Region südlich des Rio Bravo jahrzehntelang als den Hinterhof der Vereinigten Staaten betrachtet. Barak Obama bekannte dagegen:

    "Die USA standen nicht immer dort, wo sie hätten stehen sollen, um die Demokratie zu stützen. Aber in den letzten Jahren haben sowohl Republikaner wie Demokraten der Vereinigten Staaten bewiesen, dass sie an der Seite der Demokratie stehen, selbst wenn sich deren Führer gegenüber den USA nicht immer wohl gesonnen verhalten. Diese Tradition werden wir fortsetzen. Deshalb ist es völlig klar, dass Präsident Zelaya der demokratisch gewählte Präsident ist. Wir werden alles tun, um zusammen mit der Organisation Amerikanischer Staaten und anderen internationalen Institutionen eine friedliche Lösung zu finden."
    Die Reaktion auf den Staatsstreich war in Lateinamerika einhellig. Der mexikanische Präsident Calderón erklärte für die Rio-Gruppe, in der einige der wichtigsten Länder zusammengeschlossen sind und die gerade in Managua tagte:

    "Für uns alle ist die Anwendung von Gewalt zur Beseitigung einer demokratisch gewählten Regierung völlig inakzeptabel, genauso wie die Form, in der Präsident Zelaya verhaftet und gezwungen wurde, sein Land zu verlassen. Die in der Gruppe von Rio zusammengeschlossenen Länder verlangen Achtung vor der Verfassung in Honduras sowie die körperliche Unversehrtheit der Regierungsmitglieder von Präsident Zelaya und seiner Familie."

    Zu den angeblichen "Delikten" von Manuel Zelaya gehört die beabsichtigte Reform der Verfassung. Andere linke Präsidenten wie Chávez, Correa und Morales haben sie längst durchgeführt. Zelaya geht es dabei nicht nur um eine Verlängerung seines Mandats. Fast überall auf dem Kontinent wird seit langem die einmalige Wahlperiode in Frage gestellt. Er strebt darüber hinaus eine partizipative Demokratie nach dem Vorbild seiner linken Kollegen an. Bei seiner letzten öffentlichen Rede wenige Tage vor dem Putsch erklärte er seinen Anhängern:

    "Dieses zweite Gesetz erscheint uns wichtig, damit das einfache Volk endlich seine Souveränitätsrechte ausüben kann: Das Recht, seine Meinung zu äußern, teilzuhaben und konsultiert zu werden und zwar nicht durch verlogene Maßnahmen, wie sie der Kongress beabsichtigte, um die Rechte des Volks weiter einzuschränken. Wir wollen das Volk als Souverän dieser Demokratie haben, nicht die Eliten, die glauben, über unser Leben entscheiden zu können."
    Präsident Zelaya wollte tatsächlich die alten Eliten entmachten, die die politischen Institutionen dominieren. Das Parlament sollte beispielsweise die Verfügung über den Staatshaushalt verlieren, dessen Aufstellung in traditionsreicheren Demokratien Sache der Regierung ist. Das verstanden die beiden herrschenden Parteien, auch die des Präsidenten, als einen Anschlag auf ihre Pfründe, auf das Parlament als Selbstbedienungsladen der reichen Oberschicht. Deshalb kam es zu diesem seltsamen Interessenverband der Putschisten aus Parlament, Oberstem Gerichtshof, Wahlbehörde, Kirche und Armee. Sie alle fürchteten um ihren Einfluss. Aber Präsident Zelaya verkannte auch völlig seine politischen Möglichkeiten. Sergio Ramírez:

    "Er glaubte, dass er sein Projekt kraft seines eigenen Willens durchsetzen könne, und wollte nicht wahrhaben, dass die politischen Kräfte in Honduras sehr konservativ sind, auch die Mittelschicht. So entstanden viele Gerüchte über die 'Cubanisierung' des Landes. Um ein Vorhaben dieser Dimension durchzusetzen, hätte er zumindest eine enorme Unterstützung der Bevölkerung gebraucht, aber die ist auch jetzt bei den Demonstrationen in den Straßen nicht in Sicht."

    Die Putschisten haben durch ihren Gewaltakt das arme Land international völlig isoliert. Die Gemeinschaft der Demokraten in den beiden Amerikas und in Europa hat sich hinter den gewählten Präsidenten gestellt. Sie verfügt über die nötigen Druckmittel, um die demokratischen Verhältnisse in Honduras durch Verhandlungen wieder herzustellen. Trotzdem ist der Putsch ein Rückschlag für die noch junge Tradition der Demokratie in Lateinamerika. Sergio Ramírez, der ehemalige Vizepräsident Nicaraguas, sieht aber die bisherigen Fortschritte nicht in Gefahr:

    "Die Intervention der Militärs dreht die Uhr nicht zurück zu den Zeiten, die wir überwunden haben. Militärputsche spielten gerade in Mittelamerika eine besonders üble Rolle. Freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Achtung vor den demokratischen Institutionen - das alles hat sich auf unserem Kontinent längst verfestigt und ist Teil unserer Geschichte geworden."