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Rückführung von Sami A.
"Es zeigt auch die Qualität des Rechtsstaates"

Der mutmaßliche Ex-Leibwächter von Osama bin Laden, Sami A., muss nach seiner Abschiebung zurück nach Deutschland gebracht werden, entschied ein Gericht. UNHCR-Sprecher Chris Melzer begrüßte dieses Urteil. Jeder Asylsuchende habe ein Anrecht auf ein korrektes Verfahren.

Chris Melzer im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Das Bild zeigt ein Flugzeug am Himmel, im Vordergrund ist Stacheldraht zu sehen.
    Am Freitag wurde Sami A. von Düsseldorf in sein Heimatland Tunesien gefolgen (Symbolfoto) (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Diese Entscheidung schließe nicht aus, dass Sami A. abgeschoben werde, so Melzer. Der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks betonte, dass der UNHCR nicht per se gegen Abschiebung sei, wenn dies nach rechtsstaatlicher Prüfung erfolge.
    Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte seine Entscheidung damit begründet, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Sami A. in Tunesien gefoltert wird. Es ordnete die Rückholung an. Das nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerium will gegen den Beschluss vorgehen.
    Seehofers Masterplan
    Für den UNHCR beinhalte der Masterplan von Innenminister Horst Seehofer "viele gute Ansätze", räumte Melzer ein, vor allem bezüglich der Beschleunigung von Asylverfahren. "Was uns nicht gefällt, ist der Grundton des Masterplans." Den der Masterplan stelle nicht den Mensch in den Mittelpunkt, sondern tendiere zur Abschottung und widme sich verwaltungstechnischen Fragen.
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    Das vollständige Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Sami A., ein Mann, den die deutschen Behörden als sogenannten Gefährder eingestuft haben und der einst Leibweicher von Osama Bin Laden gewesen sein, er wurde gestern nach Tunesien abgeschoben - rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen umgehend entschieden hat -, jetzt soll er zurückgeholt werden. Zeigt das, wie hilflos die deutsche Asylpolitik ist? Chris Melzer ist der Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Deutschland. Guten Morgen, Herr Melzer!
    Chris Melzer: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Prüfung aller rechtsstaatlichen Kriterien
    Zagatta: Herr Melzer, Ihre Aufgabe, Flüchtlingshilfe, wird ja schwieriger in Zeiten, in denen sich die EU-Staaten darauf einigen, ihre Außengrenzen noch stärker abzuriegeln, in denen Italien zum Beispiel seine Häfen schließen will für Rettungsschiffe und in denen Umfragen zufolge auch in Deutschland immer mehr Menschen für eine viel, viel härtere Flüchtlingspolitik eintreten. Wenn es den deutschen Behörden da jetzt nicht einmal gelingt, einen Islamisten, einen Leibwächter von Osama Bin Laden abzuschieben, wie sehr schadet so etwas dem Verständnis noch für eine humane Flüchtlingspolitik und damit Ihrer Arbeit?
    Melzer: Ja, auf den ersten Blick ist das natürlich alles ein Fall, der nicht ganz so verständlich ist. Man möchte ja wirklich sagen, wen soll man noch abschieben, wenn nicht den. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen, es zeigt ja auch die Qualität des Rechtsstaates, dass die selbst in diesen Fällen sagt, das muss überprüft werden, ob es tatsächlich allen rechtsstaatlichen Kriterien entspricht - auf der einen Seite, ob dieser Mensch abgeschoben werden kann, soll, darf, auf der anderen Seite, ob er eben in dieses Land abgeschoben werden kann oder ob es eine Gefährdung ist. Und ich denke, beim näheren Nachdenken merkt man eben, dass das ja doch eigentlich für die Qualität des ganzen Asylsystems spricht, wenn diese Fragen gestellt und auch qualitativ beantwortet werden, was ja eben noch überhaupt nicht heißt, dass dieser Mensch nicht doch abgeschoben wird oder eben in diesem Falle nicht zurückgeholt wird. Man muss zweimal drüber nachdenken, das ist schon richtig, aber letztlich kommt es dann, glaube ich, schon auf den Gedanken, dass es für die Qualität des Asylsystems spricht.
    Rückhalt für Flüchtlinge in der Bevölkerung
    Zagatta: Der Rechtsstaat ist das eine, aber glauben Sie denn, dass das nicht in dieser politischen Diskussion, wo in vielen Ländern der EU darauf gesetzt wird, sich abzuschotten, eine härtere Flüchtlingspolitik zu vertreten, dass so etwas dann auch eine ganz verheerende Wirkung hat?
    Melzer: Na ja, es hilft nicht gerade, aber was soll man denn machen? Wir können ja nicht gerichtliche Entscheidungen - also mit wir meine ich nicht den UNHCR, es ist nicht unsere Entscheidung -, das müssen die Verwaltungsgerichte entscheiden, und die können ja ihren Richterspruch nicht davon abhängig machen, wie gerade die politische oder die öffentliche Meinung ist. Und in einem Punkt muss ich Ihnen ein bisschen widersprechen: Wenn Sie sich die Äußerung der Politiker anschauen, dann sieht es tatsächlich so aus, als ob der Wind den Helfern der Flüchtlinge immer rauer ins Gesicht weht. Wenn wir uns allerdings die Umfragen anschauen in der Bevölkerung und ja letztlich die Wahlumfragen der letzten Tage, dann merken wir schon, dass es immer noch eine große Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die durchaus unterscheidet zwischen Migranten und Flüchtlingen und dann auch auf jeden Fall sagt, Flüchtlingen muss geholfen werden. Wenn es da also diese Umfragen gibt, sollte man mehr, deutlich mehr helfen oder weniger, deutlich weniger, die Mehr-Fraktion oder zumindest so wie bisher hat immer eine deutliche Mehrheit, die irgendwo in den 70er-Prozenten liegt.
    "Der Masterplan hat viele gute Ansätze"
    Zagatta: Es gibt aber auch Umfragen, die besagen, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland beispielsweise findet, die Asylpolitik, also nicht, wie er es umsetzt, aber die Asylpolitik von Horst Seehofer geht eigentlich in die richtige Richtung. Man wünscht sich demnach eine, was das auch immer heißt, härtere Flüchtlingspolitik. Die EU will jetzt, so hat sie das beim letzten Gipfel verkündet, sich mehr abschotten, die Außengrenzen noch mehr sichern - was sagen Sie denn dann in diesem Zusammenhang zu dem sogenannten Masterplan von Horst Seehofer?
    Melzer: Der Masterplan hat viele gute Ansätze, die wir durchaus begrüßen. Wenn es dem Masterplan darum geht, die Asylverfahren zu beschleunigen, sie effizienter zu machen, dann ist das etwas, wo UNHCR auch durchaus dafür ist. Und ich denke, auch die Flüchtlinge wollen früher Bescheid wissen, niemand sitzt gern monatelang oder jahrelang in einer Unterkunft im Ungewissen mit der Frage, ob er denn tatsächlich in diesem Land bleiben darf oder nicht. Deshalb sehen wir da zum Beispiel auch in diesen Ankerzentren einige gute Ansätze. Was uns nicht gefällt, ist der Grundton dieses Masterplans, der mehr so in die Richtung geht, wirklich Abschottung und eigentlich mehr nur verwaltungstechnische Fragen stellt. Manchmal hat man den Eindruck, dass mehr die Frage gestellt wird, wie können wir uns dieses Problems am besten entledigen, wo können wir es am besten hin abschieben, und dass nicht der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir haben es aber tatsächlich eben sehr oft mit Menschen zu tun, die unter Lebensgefahr aus ihren Ländern geflohen sind, und deren Schicksal sollte erst mal im Mittelpunkt stehen und dann eben eine rechtsstaatliche Prüfung dessen. Wenn man am Ende dieser rechtsstaatlichen Prüfung zu dem Ergebnis kommt, es handelt sich nicht um einen Flüchtling, es ist nicht lebensbedrohlich, ihn in sein Land zurückzuschicken, dann hat der UNHCR auch überhaupt nichts gegen Abschiebung, aber erst mal muss das Schicksal des Menschen im Mittelpunkt stehen.
    Arrest nach Asylbegehren "kann nicht sein"
    Zagatta: Kommen diese Menschen, wenn die EU ihre Pläne umsetzt, überhaupt noch nach Deutschland? Da setzt man ja auf, wie immer man das nennen will, Auffanglager oder Ähnliches schon in Nordafrika. Es wird ja auch schon so praktiziert, mithilfe der EU bringt die libysche Küstenwache Bootsflüchtlinge nach Libyen zurück in Lager, in denen Menschen unter schlimmsten Bedingungen gefangen gehalten werden. Kann das funktionieren, hat sich da schon irgendetwas zum Besseren verändert?
    Melzer: Es hat sich zum Besseren verändert, aber die Lage ist immer noch absolut unbefriedigend, gerade in Libyen. Wir haben Zugang in Libyen zu sehr vielen dieser Camps, wir sind dort fast täglich, wir versuchen auch, besonders verletzliche Menschen unter den Insassen dort oder den Flüchtlingen zu identifizieren, um ihnen dann zu helfen. Das ist uns im letzten Jahr auch gelungen, etwa tausend Menschen aus diesen Camps herauszuholen. Tatsächlich ist das aber nach wie vor ein Problem. Und so sehr wir die Bemühungen der Libyer, die Lage zu verbessern, würdigen, so sehr sagen wir auch, es kann nicht sein, dass jemand, einfach weil er um Asyl bittet, weil er um Hilfe bittet, irgendwie in Arrest genommen wird, aus welchen Gründen auch immer. Das kann einfach nicht die Zukunft des Asylsystems sein.
    "Gewisse Skepsis" bei Asylzentren in Nordafrika
    Zagatta: Da hab ich gelesen, dass die UNHCR sich ja seit einem Jahr, glaube ich, oder mindestens seit einem Jahr schon darum bemüht hat, solche Lager, wenn es sie schon geben sollte, zumindest einzurichten oder zu kontrollieren oder Zugang zu haben als offene Lager, wo dann möglicherweise dort, so wie sich die EU das vorstellt, schon über Asyl in Europa entschieden wird. Können Sie das leisten, können Sie sich das überhaupt vorstellen im nordafrikanischen Raum? Da kommen doch von vielen Ländern Absagen, dass man das überhaupt nicht will.
    Melzer: Ja, also das ist zum einen, muss man sagen, der Ball liegt dort im Feld der Europäischen Union. Wir als UNHCR sind gern bereit, da zu helfen. Wir sind in 130 Ländern dieser Erde aktiv und haben in 70 Jahren, verzeihen Sie, wenn ich das so sage, aber ich denke, ich kann sagen, dass wir eine gewisse Erfahrung angesammelt haben. Wir sind gern bereit, da zu helfen, aber letztlich kann die EU natürlich sagen, das ist ab jetzt euer Problem. Das ist es nicht. Es muss die EU machen. Wenn es um solche Asylzentren, wie immer Sie sie nennen mögen, in nordafrikanischen Ländern geht, dann haben wir eine gewisse Skepsis. Wie Sie hören, wir sind nicht grundsätzlich dagegen. Momentan muss man allerdings sagen, in Libyen, glaube ich, ist die Sicherheitslage so, dass das einfach völlig illusorisch ist. Wenn man es in anderen Ländern macht, dann mag es im Ansatz gelingen. Wichtig ist uns aber, dass das erstens natürlich unter rechtsstaatlichen und menschenwürdigen Bedingungen abläuft - ich denke, darüber müssen wir nicht reden -, zweitens aber auch, dass wenn jemand doch noch nach Europa kommt und dort Asyl beantragt, dass sein Antrag dann auch geprüft wird, unvoreingenommen. Dass man also das Asylrecht quasi outsourct nach Nordafrika, dass man diese Verantwortung abschiebt und dann sagt, also bitte nicht hier, bitte wenden Sie sich an unser Camp irgendwo in Nordafrika, das darf nicht sein. Der individuelle Asylzugang und die individuelle Prüfung, die müssen nach wie vor gewahrt sein.
    Menschenwürde "in Europa garantiert, in Nordafrika nicht"
    Zagatta: Herr Melzer, jetzt sollen alleine im vergangenen Monat, im Juni, 629 Menschen mindestens im Mittelmeer bei der versuchten Überfahrt gestorben sein, darunter auch viele Kinder. Da wird jetzt selbst auch in Deutschland diskutiert. Wenn die Bootsflüchtlinge wissen, dass sie, wenn man sie da rettet, dass sie nicht nach Italien oder Malta gebracht werden, sondern zurück nach Libyen, dann würden die ihr Leben doch erst gar nicht riskieren, dann würde es nicht so viele Tote im Mittelmeer geben. So argumentiert ja mittlerweile auch die deutsche Regierung. Können Sie dem widersprechen?
    Melzer: Wir sprechen natürlich auch mit diesen Menschen, die dort angelandet werden, und wir merken zwei Dinge: Das eine ist, dass es gerade die Schleuser sind, die unglaubliche Versprechungen machen, sowohl von dem, wie golden das Leben in Europa für diese Menschen sein wird, als auch, wie simpel es im Grunde ist, nach Europa zu gelangen mit diesen Booten. Viele haben ja überhaupt keine Vorstellung, wie weit die Entfernung ist und was überhaupt ein Meer ist. Das heißt, wie also der Hintergedanke ist von dem, was Sie gesagt haben, dass sich das rumspricht, wie gefährlich das ist - und es ist in der Tat gefährlich, Sie nannten die Zahlen gerade -, da haben wir ein bisschen unsere Zweifel. Der zweite Punkt ist das internationale Seerecht, das ja erst einmal sagt, Menschen in Not müssen gerettet werden, und ich bin selbst Norddeutscher, ich bin auch im Grunde aufgewachsen: Wenn so was passiert, nicht schnacken, helfen! Der zweite Punkt ist dann, dass diese Menschen in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden. Und wir müssen einfach sagen, die Häfen in Nordafrika und insbesondere in Libyen, die fallen nicht alle in diese Kategorie "sicherer Hafen". Der Punkt Menschenwürde, an den wir da wieder kommen, und auch Würde, der ist in Europa garantiert, in Nordafrika nicht.
    "Die Frage ist ja, wie stark ist dieser Missbrauch"
    Zagatta: Wenn wir noch kurz vielleicht zum Ausgang unseres Gespräches zurückkommen: Die UNHCR lebt ja nicht nur von öffentlichen, staatlichen Geldern, sondern Sie sind auch auf Spenden angewiesen. Besteht da jetzt nicht die große Gefahr, oder bekommen Sie das zu spüren, dass die Spendenbereitschaft nachlässt, wenn wir eine Diskussion führen, wie sie im Moment über die Flüchtlingspolitik geführt wird, und wenn in der Öffentlichkeit jetzt noch der Eindruck entsteht, dass das Asylrecht missbraucht wird, also wie jetzt beispielsweise in diesem jüngsten Fall, im Fall dieses Leibwächters von Osama Bin Laden?
    Melzer: Ja, natürlich gibt es Fälle, die man völlig zu Recht infrage stellen kann und wo man von einem Missbrauch dieses Asylrechts sprechen kann, aber mein Gott, bei im Grunde jeder staatlichen Maßnahme gibt es auch einen Missbrauch. Die Frage ist ja, wie stark ist dieser Missbrauch, reden wir wirklich von einem Massenphänomen.
    "Ganz viele Menschen, die regelmäßig spenden"
    Zagatta: Nein, ich wollte jetzt noch fragen, wirkt sich das aus auf die Spendenbereitschaft, zeichnet sich da was ab, erhalten Sie weniger Gelder, geht es genauso weiter?
    Melzer: Momentan nicht. Wir haben unseren nationalen Partner, die UNO-Flüchtlingshilfe in Bonn, und die verzeichnet seit Jahren stark steigende Einnahmen tatsächlich. Es sind also ganz viele Menschen, die regelmäßig spenden, ganz viele Menschen, die was in die Sammelboxen stecken, und da geht es in den letzten Jahren doch nach oben.
    Zagatta: Eine gute Nachricht zum Schluss. Danke schön, Chris Melzer, Sprecher des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Deutschland. Herr Melzer, danke fürs Gespräch!
    Melzer: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.