Nach der Messerattacke mit drei Toten in Würzburg hat sich die Vorsitzende des Berliner SPD-Landesverbandes, Franziska Giffey, in einem Interview mit der Bild am Sonntag für eine Abschiebung von Schwerverbrechern und terroristischen Gefährdern ausgesprochen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, pflichtete Giffey im Interview mit dem Deutschlandfunk bei: "Grundsätzlich muss es Rückführungen geben, grundsätzlich auch in Länder, in denen es vielleicht manchmal schwierig erscheint."
Eine Abschiebung des Attentäters von Würzburg in sein Heimatland Somalia ziehe er allerdings nicht in Betracht, erklärte Middelberg. Der 24-Jährige stehe unter einem subsidiären Schutzstatus und die Gefährdungslage in Somalia sei hoch.
Anders beurteilte der CDU-Politiker die Lage in Afghanistan. Nach dem Abzug der Nato-Truppen in dem Land müsse die Lage genau beobachtet werden. Aber "einen generellen Abschiebestopp kann es nicht geben", sagte Middelberg.
Zudem forderte der innenpolitische CDU-Sprecher eine Grenze für die Aufnahme von Geflüchteten. Seit 2015 habe Deutschland etwa zwei Millionen Menschen aufgenommen. Das seien 40 Prozent aller EU-Flüchtlinge. "Wir stoßen an den Rand unserer Belastung und Kräfte", betonte Middelberg im Hinblick auf die psychologische Betreuung traumatisierter Geflüchteter. "Es muss Grenzen geben, sonst können wir nicht mehr integrieren."
Das Interview in voller Länge:
Barbara Schmidt-Mattern: Muss der psychisch erkrankte Attentäter von Würzburg jetzt in sein Heimatland Somalia abgeschoben werden?
Mathias Middelberg: Ja, das ist ja in dem Fall gar nicht möglich, weil der Somalier hat einen Schutzstatus, wenngleich einen subsidiären Schutzstatus, aber in diesem konkreten Fall kommt eine Rückführung gar nicht in Betracht.
"Grundsätzlich muss es Rückführungen geben"
Schmidt-Mattern: Dann ist das also reiner Wahlkampf, den Franziska Giffey da betreibt?
Middelberg: Ich hab so einen Eindruck, dass sie sich jetzt um Wählergruppen bemüht, wo sie sieht, dass die SPD vielleicht auch Zuspruch verloren hat. Ich glaube aber auch, und das würde ich auch sagen, dass das in Teilen auch eine Einsicht ist, die ich auch in Teilen für richtig halte. Wir müssen an das Thema wirklich differenziert rangehen.
Ich glaube schon, dass wir darüber sprechen müssen, dass es natürlich eine Situation ist, wenn jemand hier bei uns Straftaten begangen hat oder Gefährder ist, das heißt, von ihm gehen schwere Gefahren aus, dass wir darauf reagieren müssen, und zwar auch noch anders und qualifizierter, als wenn er einfach, in Anführungszeichen, ein "abgelehnter Asylbewerber" ist.
Grundsätzlich muss es Rückführungen geben und grundsätzlich auch in Länder, in denen es vielleicht manchmal schwierig erscheint. Das Auswärtige Amt sagt konkret im Fall Afghanistan – das hat ja auch Frau Giffey angesprochen –, dass Rückführungen möglich sind, und das muss dann zumal gelten bei Straftätern und Gefährdern.
Schmidt-Mattern: Nun stellt das Bundesamt für Migration auf seiner Internetseite klar, wer eine schwere Straftat begeht und eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, der kann nach einer rechtskräftigen Verurteilung abgeschoben werden. Heißt das also, wenn der Somalier, der jetzt in Würzburg gewalttätig geworden ist, rechtskräftig verurteilt wird, würden Sie seine Abschiebung auch befürworten nach Somalia?
Middelberg: Im Fall Somalia wäre es wahrscheinlich trotzdem schwierig, weil es immer darauf ankommt, wie konkret die Gefährdungslage im jeweiligen Herkunftsland ist. In anderen Fällen, die jetzt Frau Giffey angesprochen hat, Stichwort Afghanistan, wäre es möglich. Und das ist genau der Punkt, da sind die Bundesländer zuständig, am Ende die Abschiebung durchzuführen.
Bundesländer, in denen SPD und Grüne mitregieren haben keine Abschiebungen nach Afghanistan vorgenommen. Andere Bundesländer haben das getan, haben es aber zuletzt auch im Wesentlichen beschränkt auf Fälle, in denen es um Afghanen ging, die dann eben verurteilt waren oder von denen Gefahren ausgingen.
Middelberg: Lage in Afghanistan beobachten
Schmidt-Mattern: Dann bleiben wir beim Beispiel Afghanistan, denn wir haben heute schon von unserer Korrespondentin in Kabul gehört, und auch andere Berichte sind ja eindeutig, wie gefährlich die Lage in Afghanistan inzwischen wieder wird und sich entwickelt. Nach dem Abzug der NATO-Truppen sind die Taliban auf dem Vormarsch. Vor diesem Hintergrund: Müsste die Bundesregierung nicht sofort einen Abschiebestopp für Afghanistan verhängen?
Middelberg: Nein, sie muss die Lage analysieren, die Lage weiter beobachten…
Schmidt-Mattern: Die Lage ist doch klar, Herr Middelberg.
Middelberg: Nein, die Einschätzung ist ja bisher tatsächlich eine andere. Wir haben bisher durchgängig in den letzten Jahren und Monaten Einschätzungen des Auswärtigen Amtes gehabt, die grundsätzlich Rückführungen für möglich hielten. Das ist der Unterschied, auch der deutliche Unterschied etwa zu Syrien.
Jetzt kann es sein – und darauf deuten bestimmte Umstände hin –, dass die Lage sich verändern kann, aber auch vielleicht nicht in ganz Afghanistan, sondern in Teilen Afghanistans. Das gilt es jetzt zu beobachten, aber einen generellen Abschiebestopp, den kann es jetzt nicht geben.
Schmidt-Mattern: Ein Großteil der Provinzen ist von den Taliban zurückerobert. Es ist die Rede von Gewaltaktionen, die Schlangen an den Visa-Stellen und bei den Passämtern, die verlängern sich in Kabul – wir haben diese Informationen frisch heute Morgen erhalten –, und Sie sagen, man muss die Lage weiter beobachten?
Middelberg: Ja, aber Sie können ja nicht aus dem Willen von Menschen, die das Land verlassen wollen, jetzt ableiten, dass das gesamte Land, in dem 34 Millionen wohnen, und das Land, das flächenmäßig größer ist als Deutschland, da können Sie ja nicht ableiten, in dem ganzen Land ist es jetzt ein Zustand, in dem niemand mehr leben könnte. Immerhin sind seit 2015 etwa 6.000 bis 8.000 Afghanen, die zu uns gekommen sind, freiwillig wieder zurückgereist, das heißt, sie haben selber die Einschätzung gehabt, ich kann in meinem Herkunftsland leben.
"Aufnahme von Geflüchteten begrenzen"
Schmidt-Mattern: Nun berichten auch afghanische Ortskräfte, die bisher für die Bundeswehr gearbeitet haben, dass sie vor hohen bürokratischen Hürden stehen, nach Deutschland ausreisen zu können, weil sie in Afghanistan um ihr Leben fürchten müssen. Hat die Bundesregierung da gut genug vorgesorgt, um diesen Helferinnen und Helfern gerecht zu werden?
Middelberg: Ja, eindeutig, weil wir uns bereiterklärt haben, gerade diese Ortskräfte aufzunehmen. Also grundsätzlich haben diese Ortskräfte die Berechtigung, in Deutschland jetzt Zuflucht zu nehmen, und das regeln wir auch außerordentlich. Das ist, glaube ich, überhaupt nicht die Frage.
Schmidt-Mattern: Aber praktisch klappt das offenbar nicht.
Middelberg: Ich will mal ganz grundsätzlich sagen, es kann doch nicht die Lösung sein, dass wir jetzt – und das ist auch das Kernproblem bei dem Fall von Würzburg und dem Somalier. Die Forderung, es muss immer mehr psychologische Betreuung geben, es muss mehr Betreuung in der Integration geben und anderes, das ist ja richtig, damit wir solche Probleme verhindern.
Die Schwierigkeit ist doch nur, wir haben seit 2015 fast zwei Millionen Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen, wir können doch diese Zahlen nicht unermesslich steigern. Deutschland hat 40 Prozent aller Flüchtlinge aufgenommen, die in der EU angekommen sind. Wir müssen erkennen, dass wir die Aufnahme von Geflüchteten auch begrenzen müssen. Es muss gewisse Grenzen geben, weil sonst werden wir uns um die Frauen und Männer nicht mehr kümmern können, sonst können wir nicht mehr integrieren.
Schmidt-Mattern: Gut, dann kommen wir noch mal von der Aufnahme weg, Sie haben es ja schon angesprochen, und zurück zu denen, die bereits bei uns hier leben und von denen viele Psycholog*innen und Experten sagen, von diesen Menschen geht Gefahr aus, weil sie seelisch krank sind infolge der Traumata, die sie in ihren Heimatländern häufig erlitten haben. Offenbar gibt es für diese psychisch erkrankten Menschen in den Asylbewerberheimen und in den Anlaufstellen viel zu wenige Hilfsangebote. Warum ist das der Fall?
Middelberg: Ob es da zu wenig Hilfsangebote gibt, das müssen wir jetzt klären. Wir müssen auch den Fall des Somaliers genau untersuchen und wirklich auch prüfen, was sind die Gründe seiner Tat gewesen, hat es da vielleicht auch an psychologischer Betreuung gemangelt. Wenn das der Fall ist, muss man darauf reagieren.
"Aufnahme von Flüchtlingen ist eine gewaltige Aufgabe"
Schmidt-Mattern: Was heißt das konkret?
Middelberg: Indem man beispielsweise mehr Kräfte einsetzt oder diese Kräfte vielleicht zielgerichteter einsetzt oder überlegt, inwiefern man auch anders reagieren kann. Sie können ja auch niemanden in eine psychologische Betreuung zwingen, das ist ja das Problem. Das können Sie nur dann machen, wenn Sie feststellen, er ist krank oder von ihm gehen Gefahren aus. Ich kann nicht jemanden einfach, ich sag mal, zur Integrationsleistung zwingen, das ist eben auch ein Problem. Wir stellen ja fest, dass wir auch sonst Integrationskurse oder andere Angebote machen, die aber nicht von allen angenommen werden.
Also wir müssen schon, ich sag mal, schlichtweg auch das Thema besprechen, wie viel wir leisten können. Wir können nicht bei jeder Gelegenheit sagen, jetzt noch mehr Psychologen, noch mehr Integrationsangebote, noch mehr dies und noch mehr das. Ich glaube, wir stoßen an das, ich sag mal, an den Rand unserer Belastungen, an den Rand unserer Kräfte.
Noch mal: Wir haben fast zwei Millionen aufgenommen seit 2015, das ist eine gewaltige Größenordnung. Dazu kommen noch drei Millionen sonstige Zuwanderer, die in dieser Zeit nach Deutschland gekommen sind, die in Arbeit gekommen sind innerhalb der EU, aber das ist schon eine erhebliche Veränderung für dieses Land. Und die Aufnahme von Flüchtlingen ist am Ende auch eine gewaltige Aufgabe.
Schmidt-Mattern: Möglicherweise geht es ja nicht darum, dass mehr Menschen eingestellt werden, um diese Menschen zu versorgen, sondern einfach die richtigen Leute, sprich Expert*innen die richtigen Entscheidungen treffen. Warum entscheiden bisher Ausländerbehörden über Therapien gegen Depressionen und nicht Ärzte?
Middelberg: Das kann ich Ihnen im Einzelnen jetzt nicht sagen, wer für diese Entscheidung verantwortlich ist, aber es ist eben auch so, dass niemand sich gewissermaßen zwangsweise einer solchen Betreuung stellen muss, da müssen auch bestimmte Hürden erreicht sein. Wenn nicht festgestellt wird, dass da konkrete Gefahren sind – das ist zum Beispiel im Fall des Somaliers die Frage –, muss er sich auch nicht irgendeiner Betreuung stellen, sondern kann auch sagen, das mach ich gar nicht.
Also mein Punkt ist, wir werden nicht mehr unendlich alle beobachten können, nicht mehr alle psychisch betreuen, sondern wir müssen sehen, es kommen weiter jetzt wieder jeden Monat 10.000 neue Asylbewerber. Mit Familiennachzug und allem werden es in diesem Jahr wahrscheinlich wieder 140.000, 150.000 Menschen sein, die neu kommen nur über das Thema Asyl, und ich glaube, dass das einfach schwierig wird und wir da an Grenzen kommen. Wir können nicht unendlich weiter Menschen aufnehmen, weil wir die dann nicht mehr alle integrieren und betreuen können.
"Ich teile die Einschätzungen von Herrn Maaßen nicht"
Schmidt-Mattern: Eine klare Ansage von Ihnen, Herr Middelberg. Ich möchte gerne thematisch noch einen scharfen Schnitt machen und Sie kurz fragen nach der Personalie Hans-Georg Maaßen. Ihr Parteifreund hat für erneute Diskussionen gesorgt am Wochenende, unter anderem mit seiner Kritik an der "Tagesschau"-Redaktion, der er einen Linksdrall vorwirft. Muss Hans-Georg Maaßen jetzt aus der CDU austreten?
Middelberg: Also ich teile die Einschätzungen von Herrn Maaßen nicht, dass es irgendwelche Untersuchungen oder Überprüfungen charakterlicher Art für Redakteur*innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muss, die Einschätzung teile ich ausdrücklich nicht.
Schmidt-Mattern: Muss Hans-Georg Maaßen aus der CDU austreten?
Middelberg: Das muss er selber entscheiden, ob er austreten muss. Wir können das im Zweifel nur zwangsweise regeln, und die Lösung steht nicht an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.