Nur knapp 50 Zentimeter hoch ist er, aber eines der Topstücke aus dem Völkerkundemuseum im holländischen Leiden: der Bronzekopf eines so genannten Obas, eines Benin-Königs, mit reichverzierter Kopfbedeckung und hohem Halskragen aus Perlen.
Die kleine Bronzeskulptur ist eines von 139 Objekten aus der Beninkollektion, die sich heute im Leidener Völkerkundemuseum befinden. Seit Jahren schon fordert Nigeria auch diese 139 Skulpturen zurück – bisher vergeblich. Doch nun haben die Niederlande als erstes Land der Welt den Weg für ihre Restitution geebnet. Oder, wie es eine niederländische Tageszeitung auf den Punkt brachte: "Der Schalter für die Rückgabe kolonialer Raubkunst ist geöffnet."
Denn die drei wichtigsten ethnologischen Museen des Landes haben dafür Richtlinien und Rahmenbedingungen aufgestellt: das Amsterdamer Tropenmuseum, das Afrikamuseum bei Nimwegen und das Leidener Völkerkundemuseum. 2014 hatten sich die drei zum "Nationalen Weltkulturenmuseum" zusammengeschlossen. Die neuaufgestellten Richtlinien sollen für Transparenz sorgen. Damit alle, die Ansprüche erheben wollen, wissen, woran sie sind und was sie alles zu beachten haben, so der Direktor des Weltkulturenmuseums Stijn Schoonderwoerd:
"Wir haben das Visier geöffnet. Wir betrachten die Rückgabe von kolonialer Raubkunst mit anderen Augen. Und dieser neue Blick passt auch zur neuen Art des Denkens über diese Problematik."
Kulturminister hat das letzte Wort
Großzügigkeit soll dabei den Ausschlag geben: Zurückgeben will das Weltkulturenmuseum auch Werke, die nach heutigem Empfinden unrechtmäßig erworben wurden, auch wenn der Erwerb damals nicht gegen die geltenden Rechtsvorstellungen verstoßen hat. Selbst in Zweifelsfällen wollen die Niederländer Ansprüche anerkennen. Auch knüpfen sie die Rückgabe an keinerlei Bedingungen, wie etwa ein geeignetes Museum, damit die Objekte auch im Ursprungsland angemessen aufbewahrt werden können.
Trennen wollen sich die drei niederländischen Völkerkundemuseen auch von Objekten, die für die Herkunftsgesellschaften von großer spiritueller oder kultureller Bedeutung sind. So wie da Vincis "Mona Lisa" für die Italiener oder Rembrandts "Nachtwache" für die Niederländer, betont Direktor Schoonderwoerd:
"Dat is onze Nachtwacht! Dat is onze Mona Lisa!"
Und damit nicht genug: Die Niederländer wollen es nicht dabei belassen, passiv auf die Forderungen anderer zu warten, sondern selbst aktiv auf die Suche gehen nach Raubkunst in ihren Kollektionen. Das letzte Wort allerdings hat der niederländische Kultusminister: Er muss in jedem einzelnen Fall überzeugt werden, dass eine Rückgabe angebracht ist. Anders als in Frankreich kommt die Aufforderung zur Restitution also nicht von ganz oben, nämlich vom Präsidenten, sondern von unten: Die betroffenen Museen selbst wollen die Regierung unter Druck setzen.
Keine Angst vor leeren Museen
Sie hoffen, dass ihr Beispiel Schule macht und ihre Richtlinien bald nationale Gültigkeit bekommen. Das Rijksmuseum in Amsterdam jedenfalls hat die neue Vorgehensweise bereits begrüßt. Dort hat man vor zwei Jahren angefangen, die eigene Kollektion auf Raubkunst hin zu untersuchen. Dafür arbeite das Museum eng mit Experten aus den Herkunftsländern zusammen, erklärt die Expertin für Kolonialgeschichte, Martine Gosselink, vom Rijksmuseum. Und man suche den Austausch mit den niederländischen Kollegen:
"Wir haben auch mit dem Weltkulturenmuseum Kontakt aufgenommen, um zusammenzuarbeiten. Oftmals geht es nämlich um Objekte, die einst zu ein- und derselben Kollektion gehörten und dann verteilt wurden. Da ist es viel effizienter, gemeinsam zu versuchen, die Herkunft zu klären."
Angst, dass ihr Vorpreschen zu einer Lawine von Rückgabe-Forderungen führen könnte und zu leeren Museumssälen, haben die Niederländer nicht: Das Weltkulturenmuseum rechnet damit, dass viele Objekte nach der Klärung der Eigentumsfrage als Leihgaben in den Niederlanden bleiben. Nicht zuletzt deshalb, weil sie von hochentwickelten außereuropäischen Kulturen zeugen und damit eine wichtige Botschafterfunktion erfüllen.