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Rückgang der Handschrift
"Eine Spezialform der Feinmotorik"

Ab 2016 müssen finnische Schüler keine Schreibschrift mehr lernen, in den USA ist es bereits weitgehend jetzt so. Mit dem Rückgang der Handschrift schwinde auch die Feinmotorik junger Schüler, sagte die Medienpädagogin Stephanie Müller im Deutschlandfunk. Zudem gab die Bildungsforscherin zu bedenken, dass sich Menschen handschriftlich Festgehaltenes besser einprägten, als wenn es per Computer getippt wird.

Stephanie Müller im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Benedikt Schulz: Heute ist Tag der Handschrift oder National Handwriting Day – denn begründet wurde dieser, na ja, Feiertag in den USA. Einen Tag der Handschrift auszurufen, das klingt schon fast ein bisschen verzweifelt, dass man da auf etwas aufmerksam machen möchte, das so langsam aus unserem Alltag zu verschwinden scheint. Finnland etwa zieht derzeit die Konsequenzen aus dieser Entwicklung: Ab 2016 müssen finnische Schüler keine Schreibschrift mehr lernen, und in den USA übrigens auch nicht mehr. Solche Entwicklungen rufen aber auch immer Gegenbewegungen hervor, die dann das Verschwinden einer Kulturtechnik beklagen und die dann aber auch Studien zur Argumentation heranziehen, die dann sagen, mit der Hand Geschriebenes, das prägt sich besser ein. Also, Handschrift notwendig oder überflüssig, darüber spreche ich mit der Nürnberger Medienpädagogin und Bildungsforscherin Stephanie Müller. Ich grüße Sie!
    Stephanie Müller: Ich grüße Sie, Herr Schulz!
    Schulz: Frau Müller, wann haben Sie das letzte Mal mit der Hand einen Brief anstatt einer E-Mail geschrieben?
    Müller: Diese Woche!
    Schulz: Wirklich?
    Müller: Ja, tatsächlich, weil ich da natürlich selbst sehr viel Wert drauf lege.
    Schulz: Sie forschen ja auch zum Thema Schrifterwerb, und Sie haben ermittelt, dass viele Schülerinnen und Schüler heutzutage nicht mehr richtig mit der Hand schreiben können. Warum nicht?
    Müller: Es liegt vor allem in der Entwicklung der ersten sechs, sieben Lebensjahre. Ich sag mal, prinzipiell geht es ja um die Entwicklung der Feinmotorik, also Schrift oder schreiben können, ist einfach schon eine Spezialform der Feinmotorik, die hochdifferenziert ist, und ich geh da einfach mal gleich einen Schritt zurück oder genauso zum Schulanfänger hin. Also es ist so, in Tests, in Untersuchungen in ersten Klassen – unsere Erstklässler sind teilweise, ich nenn mal eine Zahl, so circa um die 70 Prozent, was meine Untersuchungen einfach zeigen, nicht mal in der Lage, oftmals eine handelsübliche Knetstange weich zu kneten. "Meine" Lehrer, in Anführungsstrichen, also das "meine" in Anführungsstrichen, in den Fortbildungen, die ich ja übers ganze Jahr habe, beklagen, dass sie teilweise keine Schneideaufgaben machen können, weil es einfach den Unterricht ihnen wirklich von der Zeit her sprengt, weil einfach die Schüler da nicht in der Lage sind. Und wenn dann natürlich so was ganz fein Hochdifferenziertes wie Schreiben ... Also man muss sich selber mal beobachten und ein Gefühl dafür entwickeln, wie differenziert die Hand – die übrigens über 30 Muskeln hat, also das ist ein hochkomplexer Apparat, den zu steuern – da die Aufgaben erfüllt, dann ist genau da das Problem, dass die Motorik leider nicht genug entwickelt ist.
    Schulz: Jetzt schreibe ich inzwischen deutlich schneller mit der Tastatur als handschriftlich – warum ist es trotzdem wichtig, dass wir das Schreiben mit der Hand überhaupt noch lernen, jetzt mal von Nostalgie oder Bildungsromantik oder dergleichen mal abgesehen?
    Müller: Genau, also ich sag mal, nostalgisch lass ich auch sehr gerne außen vor, um nicht zu sagen, ach ja, war schon immer so, soll auch immer so bleiben. Also das ist auch für mich ein ganz wichtiger Aspekt, da hinzugucken, ob das teilweise genau die Argumentation von allem ist. Aber wir sind einfach auch von der Evolutionsbiologie her so von unserem Gehirn so angelegt, dass aufgrund von Synapsenverschaltungen im Gehirn, die durch Bewegung entstehen, einfach auch eine höhere Denkleistung entsteht, beziehungsweise wir können uns die Sachen viel besser merken, wenn wir es mit fein differenzierten Bewegungen aufnotiert haben. Und eine Tastatur zu tippen oder zu drücken, hat bei Weitem nicht so differenzierte Bewegungen der Hand wie die verschiedenen Richtungen beim Schreiben.
    Schulz: Aber jetzt ist aber die Gegenwart in der Berufswelt eigentlich doch eine andere. Es wird ja schneller und auch effizienter Umgang mit neuen Medien erwartet, und das ist ja etwas, was die Schulen den Kindern nicht oder wirklich nur unzureichend beibringen. Müsste man trotzdem nicht den Schwerpunkt auch dahingehend verlagern, dass die Kinder mit Computern, mit neuen Medien richtig umgehen können, besser umgehen können?
    "Es geht um eine Sowohl-als-auch-Pädagogik"
    Müller: Also da gebe ich Ihnen auf alle Fälle schon mal recht. Leider gibt es nicht so wirklich diese guten medienpädagogischen Programme, dass man sagt, okay, für was kann ich sie nutzen oder wo machen sie Sinn. Ich bin auch ein Fan der neuen Medien, und mir geht's einfach wirklich um den Ansatz, wir sind einer Zeitphase der Menschheit, die haben wir, glaube ich, noch nie so erlebt. Wir haben diese althergebrachten Techniken, Kulturtechniken, aber wir haben jetzt auch neue Technologien zur Verfügung. Und da steckt ein Riesenpotenzial auch für manche Methoden, für manche Ziele drin, aber es geht darum, ihnen es richtig beizubringen. Es geht um eine Sowohl-als-auch-Pädagogik und nicht Entweder-oder. Dann muss es aber einerseits von der Dosis, andererseits von der Anwendung und überhaupt von dem, wie es stattfindet, in der Schule oder auch natürlich im Alltag, entsprechend gut gemacht sein.
    Schulz: Verstehe ich Sie denn richtig, dass, wer sozusagen in frühen Jahren ordentlich schreiben lernt mit der Hand, später auch besser eine Tastatur benutzen kann?
    Müller: Also das auf alle Fälle, würde ich jetzt mal so ganz spontan beantworten, weil wenn die Hand gut trainiert ist, dann ist natürlich die Tastatur auch ein viel einfacheres Gerät. Es muss nicht unbedingt die Zehn-Finger-Tastaturbedienung sein, aber ich sag mal, sie wird auf alle Fälle leichter.
    Schulz: ... sagt Stephanie Müller, Bildungsforscherin aus Nürnberg. Vielen Dank!
    Müller: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.