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Rückgrat der Wirtschaft

Das Rückgrat der Wirtschaft Panamas ist und bleibt der Kanal. Weil er zu eng geworden ist, möchten ihn Regierung und Kanal-Behörde nun erweitern. Nach der Verfassung muss darüber aber das Volk abstimmen. Für den 22. Oktober sind die Bürger zu den Urnen gerufen. Von dem Kanal-Projekt hängt viel ab: "Wettbewerbs- Fähigkeit" sagen die einen, "immense Verschuldung" fürchten andere.

Von Detlef Urban |
    Es ist Millimeterarbeit, die Captain Fredy Garcés, der Lotse an Bord der Ever Repute leisten muss. 4.000 Container vor und hinter sich, 47.000 PS unter sich, acht Lokomotiven, die am Rand der Schleusenkammern über Drahtseile das Schiff stabilisieren. Auch die Loks muss der Lotse dirigieren. Die Miraflores Schleuse an der Einfahrt zum Panama-Kanal nimmt Schiffe wie die "Ever Repute" nur knapp auf: 294 Meter lang, und auf beiden Seiten bleiben gerade mal 60 Zentimeter Platz.

    " Bei einem Panamax- Schiff mit 39 Fuß Tiefgang haben wir schon jetzt nur zwei Fuß Wasser unterm Kiel, also 60 Zentimeter. Wenn Du den Kahn mit voller Kraft anfährst, läufst Du Gefahr, dass er hinten aufsitzt."

    Die Panamax- Klasse, so benannt, weil sie exakt für die Größe dieser Panama-Schleusen gebaut wird, ist die größte, die hindurch passt. 26 Meter werden die Schiffe angehoben. Danach fahren sie 80 Kilometer durch den Kanal. Für die größten Schiffe kostet eine Passage bis zu 250.000 Dollar. Die Schleusen, zwei auf der Pazifikseite und eine am Atlantik, laufen rund um die Uhr. Draußen auf See, vor Panama-City am Pazifik und vor Colon auf der Karibik-Seite, stauen sich die Schiffe. Die meisten fahren von Asien an die Ostküste der USA.

    Der Kanal komme in fünf Jahren an die Grenzen seiner Kapazität, sagt die Autoridad del Canal de Panama, kurz ACP, die Kanalbehörde. Außerdem sollen neue Schleusen gebaut werden für die noch größeren Post- Panamax- Schiffe. Ein schon jetzt absehbares Mega- Bauprojekt, mit den immensen Kosten von 5,25 Milliarden US-Dollar. Kritiker schätzen, dass es noch wesentlich teurer werden wird. ACP-Manager Stanley Muschett Ibarra sieht jedoch keine Alternative zur Erweiterung des Kanals, weil Panama sonst nicht konkurrenzfähig bleiben wird.

    " Der Suez-Kanal und das Schienen- und Straßen gestützte Transportsystem zwischen der nordamerikanischen West- und Ostküste sind die beiden Hauptkonkurrenten für den Kanal. Doch der Panamakanal bietet den großen Vorteil, dass er als reiner Wasserweg äußerst sicher und wirtschaftlich ist. Ein Marktvorteil, den wir ausbauen müssen."

    Einer der Kritiker der Ausbaupläne ist der Ökonom Nicola Rodriguez von der Universität Panama. Er sieht die Entwicklung des Schiffsverkehrs anders als die Kanalbehörde. Gegen den Transportweg über den so genannten "canal seco", also den "trockenen Kanal", komme der Panama-Kanal nur schwer an.

    "60 Prozent der Schiffe, die zwischen Asien und den USA verkehren, laufen die kalifornischen Häfen an. Dort wird die Fracht für die Ostküste auf die Schiene umgeladen. Container brauchen so für den Weg Hongkong - New York insgesamt 18 Tage. Durch den Panama-Kanal sind es dagegen 31. Daran werden auch neue Schleusen nichts ändern."

    Die Lotsenvereinigung, die "Uníon de los Practicos del Canal", will sich in die politische Debatte nicht einmischen. Die Lotsen sind Angestellte von ACP. Doch auch sie werden teils mit "Sí", teils mit "No" stimmen beim Referendum. Wobei keiner besser weiß, welche technischen Erfordernisse für neue Schleusen bestehen. Alvaro Moreno, Geschäftsführer der Lotsenvereinigung, über ihre Einwände bei der Kanalbehörde.

    " Bisher benutzen wir eine Andockmauer vor der Schleuse, wo wir die Schiffe zum Stillstand bringen und an die Lokomotiven anseilen. Lokomotiven soll es nach den neuen Plänen jedoch nicht mehr geben. Das bedeutet aber: wir brauchen große Becken, in denen wir das Schiff mit mehreren Schleppern manövrieren können, um die nötigen Kräfte zu entfalten."

    Dafür müssten die Schleusenkammern um 20 Prozent größer sein als konzipiert. Das würde bedeuten: wesentlich höhere Kosten. Die Einwände der Lotsen wurden nicht berücksichtigt. Bei 6 Milliarden Dollar soll die Grenze der Rentabilität liegen, hat man selbst im zuständigen Ministerium berechnet. Diese Zahl wird nach außen aber vehement dementiert. Man habe noch keine endgültige Finanzplanung, und es handele sich ja nur um einen konzeptionellen Vorschlag. Immerhin: das Volk soll dafür grünes Licht geben.

    30 Kilometer westlich der Mündung des Kanals. Von der Karibikküste fährt Flore Hernandez mit seinem Kanu den Rio Indio hinauf. Bis zu sechzehn Passagiere packt er in sein kleines Boot, dazu jede Menge Gepäck: Taschen, Tüten, Säcke - oben drauf ein krähender Hahn. Der Einbaum liegt tief im Wasser, für die Menschen am Fluss ist er das einzige Transportmittel. Vier Stunden braucht Flore Hernandez, bis er die letzten Reisenden abgesetzt hat. Der Rio Indio ist seine Geschäftsgrundlage. Wie viele Flussanwohner und Campesinos befürchtet auch er, dass der Fluss gestaut und abgeleitet wird, weil nach einer Erweiterung der Kanal viel mehr Wasser brauchen wird. Schon jetzt fließen mit jedem Schiff aus den Schleusen 200 Millionen Liter Süßwasser ins Meer. Die Regierung hat zwar ein Staudammprojekt für den Rio Indio widerrufen, doch Flore Hernandez bleibt misstrauisch.

    " Millionen von Dollar liegen in den Banken, Gebühren-Einnahmen aus dem Kanal. Nur kommt davon hier nichts an. Unsere Schulen zum Beispiel sind eine Katastrophe. Wir haben schon jetzt eine Auslandsschuld von über 10 Milliarden Dollar. Dann schlittern wir in die nächste Verschuldung, und alle Panamenios werden auf ewig verschuldet sein."

    Ein Gedanke, der nicht von der Hand zu weisen ist. Gegenwärtig fließen 700 Millionen Dollar jährlich, Überschüsse aus dem Betrieb des Kanals, in den Staatshaushalt und finanzieren Infrastruktur, Bildung und Gesundheit. Ob die Rechnung aufgeht, dass später eine Refinanzierung der neuen Schleusen mit höheren Gebühren klappt, steht aber in den Sternen. Reedereien und Schiffsmakler begrüßen zwar die Pläne, weil sie eine zusätzliche Option bieten, aber sie werden abwarten, ob höhere Kosten durchsetzbar, sprich auf den Verbraucher abzuwälzen sind. Tomas Drohan, ehemals Chefingenieur der Kanalbehörde, ist ebenfalls ein vehementer Kritiker des Projekts. Er vertritt einen sanfteren Weg zur Erhöhung der Kanal-Kapazität.

    " Ich glaube, Panama und die internationale Seeschifffahrt würden gewinnen, wenn Panamax- Schiffe nicht wie jetzt nur bei Tageslicht passieren, sondern auch bei Nacht. Mit Flutlicht wie in Fußballstadien kann man die Schleusen taghell machen. Wenn wir den Kanal dann noch etwas verbreitern, wäre die Zahl der Panamax-Schiffe zu verdoppeln."

    Viele Interessen sind im Spiel bei dem Panama- Kanalprojekt. International tätige Baukonzerne haben bereits Verbindungs- Büros in Panama-City eröffnet.