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Rückkehr der Natur
Der Wolf der Ostsee

Lange war sie in der Region ausgerottet, jetzt breitet sich die Kegelrobbe wieder an den Küsten von Mecklenburg-Vorpommern aus - zum Kummer der Ostsee-Fischer. Heringsbestände werden gefressen, Netze zerrissen. Naturschützer sagen: Die Kegelrobbe soll leben - aber die Fischer müssen entschädigt werden

Von Silke Hasselmann | 04.07.2019
Zwei Kegelrobben schwimmen im Greifswalder Bodden zwischen der Insel Rügen und Lubmin.
Zwei Kegelrobben schwimmen im Greifswalder Bodden zwischen der Insel Rügen und Lubmin. (dpa / Stefan Sauer )
"Kommt ruhig alle näher ran! Erst mal willkommen zur Robbenschutz-Schulung in der Wismarbucht in Wismar!"
Zwanzig Männer und Frauen stehen an dem kleinen Strandabschnitt von Hoben bei Wismar. BUND-Meeresschutzreferent Matthias Goerres erklärt ihnen, wie sie den Strand absperren, sobald eines der bis zu drei Meter langen Säugetiere mit den kegelförmigen Reißzähnen in Menschennähe rastet.
"Was wir hier haben, sind diese gelben Stangen."
Seit 2005 leben Kegelrobben wieder vor der deutschen Ostseeküste, und das streng geschützt. In der Wismarbucht siedeln derzeit mindestens dreißig von ihnen, in der Pommernbucht mit dem Greifswalder Bodden etwa 170 Tiere.
"Also das Wichtigste ist, dass wir im Wasser damit anfangen, weil die Leute dazu neigen durchzuschlüpfen und der Robbe damit den Fluchtweg abzuschneiden. Das ist das Allerschlimmste und auch das Gefährlichste, weil die Robbe ja genau auf diesen Fluchtweg angewiesen ist und dann ehesten dazu neigt, tja, gewalttätig zu werden - wenn man das irgendwie dramatisch ausdrücken will - bzw. versucht sich zu verteidigen."
"Material kostet Geld. Du hast keinen Fisch."
Für Uwe Krüger und Andreas Zirkler von der Insel Usedom ist die Rückkehr der Kegelrobbe aus ganz anderem Grund bedrohlich. Sie gehören zu den noch wenigen aktiven Küsten- und Kutterfischern, für die der Hering einst der Brotfisch war und die mühsam ihre Reusen und Stellnetze ausbringen - auch im Greifswalder Bodden, wo der Hering laicht. Allerdings:
"Die wollen sich den Fisch holen. Und dabei - die haben so viel Kraft - dabei reißen sie es kaputt."
Sagt Andreas Zirkler und weist auf das riesige Loch in einem der Netze: Für ihn ist der Verursacher klar – eine Kegelrobbe.
"Das ist natürlich nervig. Weil: Material kostet Geld. Du hast keinen Fisch."
Eine nahezu tägliche Bilanz in der Heringssaison, seit sich die Kegelrobben im Greifswalder Bodden, der Kinderstube des Hering, wieder heimisch fühlen. Uwe Krüger aus Ahlbeck:
"23 Netze haben wir zu beklagen gehabt. Wir haben dann aber aufgehört hier zu fischen und sind dann ins Achterwasser gegangen. Wir konnten einfach nicht weiterfischen. Wir wären weit über hundert Netze losgeworden. Pass auf!"
Was die Kegelrobbe nicht frisst, raubt der Kormoran
Ein neues Netz kostet über einhundert Euro, die Reparatur eines Drei-Meter-Loches elendig viel Zeit und handwerklichen Aufwand, sagt Uwe Krüger. Der Usedomer Fischer sorgt sich um den Fortbestand seines Betriebes mit den 30 Angestellten. Denn auch die dritte Alternative, das Ausweichen ins Achterwasser...
"...da haben wir Zander, Hecht, Barsch..."
...gestaltet sich schwierig. Denn dort konkurrieren die Fischer nicht mit der Kegelrobbe, sondern mit fliegenden Fischfressern: den Kormoranen.
"Das Achterwasser, die Rückseite der Insel, ist eigentlich die Kinderstube vom Barsch, vom Zander, vom Plötz, vom Blei. Da kommen zum Beispiel in den Nepperminer See um die drei-, viertausend Kormorane rein und fressen in einem Tag alles komplett leer. Man kann so nicht existieren. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Alle Kollegen sitzen zusammen und überlegen. Aber wir wissen uns keinen Rat."
Nur ein Zehntel der Kutterfischer übrig
Immer neue Ausrüstungsvorschriften und Fangbeschränkungen, vor allem die niedrigen EU-Fangquoten für Hering, Dorsch und Aal haben schon viele kleine Fischereibetriebe in die Knie gezwungen. Von einst 2.300 Kutter- und Küstenfischern in Mecklenburg-Vorpommern sind nur noch 228 aktiv.
Die Empfehlung des Internationalen Rates für Meeresforschung an die Europäische Kommission, den Fang von Hering in der westlichen Ostsee und von Dorsch in der östlichen Ostsee vollends zu stoppen, empfinden sie als den jüngsten Schlag.
Dass Mecklenburg-Vorpommern im gerade gewählten Europaparlament nur noch von einem Abgeordneten vertreten wird, stimmt den Landesverband der Küsten- und Kutterfischer auch nicht gerade optimistisch. Denn dieser Abgeordnete kommt von den Grünen, und die - so der Verbandschef kürzlich auf der Jahrestagung – kümmern sich vor allem um die Kegelrobben.
"Auch Fischer eine zu schützende Art"
Zurück bei der Schulung freiwilliger Robbenschützer in der Wismar-Bucht. Sönke Reimann vom BUND für Umwelt und Naturschutz Wismar meint:
"Also die Fischer in der Wismarbucht - auch das ist eine zu schützende Art, weil natürlich der Fischer sagt: 'Der Seehund oder die Robbe frisst mir meinen Fang weg! Wovon soll ICH leben?' Da müsste man natürlich mit einer vernünftigen Kartierung, wenn man Fakten hat und weiß, wie viel Zahlen hier überhaupt sind, auch über Ausgleichsmaßnahmen nachdenken. Um einfach wertvolle kulturprägende Berufe zu erhalten, die ja identitätsstiftend für die Heimat sind. Wie zum Beispiel ein Fischer. Wie zum Beispiel ein Schäfer, die ein ähnliches Problem haben. Nur nicht mit den Robben, sondern mit den Wölfen."
Der Mensch müsse lernen, mit diesen wiederangesiedelten Raubtieren zu koexistieren, sagt der Naturschützer Reimann. Die Berufsfischer müssten ihre Fangmethoden so ändern, dass es keinen Beifang und keine Überfischung der Bestände mehr gebe. Nur so bleibe genügend Fisch für Robben und für Menschen.
In Estland und Schweden werden Robben gejagt
In den laufenden Gesprächen mit den Landesbehörden für Umwelt und für Fischerei sind die großen Naturschutzverbände übrigens dafür, die Fischer für Robben- und Kormoranschäden aus dem EU-Meeres- und Fischereifonds zu entschädigen.
Hingegen das Wachstum der Robbenpopulation vor der Ostseeküste zu managen, indem das zeitweise Vergrämen der Tiere aus dem Bereich von Heringsreusen erlaubt würde oder gar, wie in Estland und Schweden, die Jagd - davon hält auch Sönke Reimann rein gar nichts.
"Klar: Wenn es hier eine Schwemme gäbe und Menschen, Spaziergänger, Kinder von hungrigen Robben angegriffen würden, dann muss man sich natürlich andere Maßnahmen überlegen. Aber das sind Phantastereien im Moment. Bislang sprechen wir ja nur von wenigen Tieren."