Mitte November erkrankt Marin Pongracic an Corona. Seine Krankheit verläuft mit leichten Symptomen, viel Zeit zur Erholung danach hat er nicht. Wie schon kurz zuvor, als er nach Pfeifferschem Drüsenfieber und zweimonatiger Pause zurückgekehrt war. Gerade einmal 18 Tage nach dem positiven Corona-Test sitzt der Innenverteidiger des VfL Wolfsburg am 5. Dezember beim Spiel in Köln wieder auf der Ersatzbank.
"Und wie es halt dann so ist, dann kommt er zurück und wir wollten wieder mit Trainingsaufbau beginnen und ich musste ihn eigentlich sehr sehr schnell reinschmeißen eben", sich sein Trainer Oliver Glasner an die Situation, die sogar dafür sorgt, dass Pongracic zu drei Startelf-Einsätzen in der englischen Woche kurz vor Weihnachten kommt, im DFB-Pokal gegen Sandhausen sogar über die volle Spielzeit. Glasner sagt:
"Corona-Ausfälle, Lacroix, dann war Brooks verletzt. Ja wir hatten hier einfach Not am Mann und dann hat er plötzlich drei Spiele in einer Woche gemacht. Er hatte eigentlich nie Zeit sich körperliche Fitness vollständig aufzubauen."
Rechtfertigt Not am Mann eine so schnelle Rückkehr zur Vollbelastung nach einer Corona-Infektion? Fraglich. In Dortmund Anfang Januar setzt sich Pongracic während des laufenden Spiels nach 78 Minuten entkräftet auf den Boden – und wird dafür später von VfL-Manager Jörg Schmadtke öffentlich gerüffelt. Trotzdem stellt ihn Trainer Glasner eine Woche später bei Union Berlin erneut von Beginn an auf. Das Resultat: er ist endgültig am Limit. Schon nach 15 Minuten stützt der Verteidiger beide Hände in seine Knie, hat sichtlich Atemnot. Mit einem Fehlpass verursacht er den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich - und wird zur Halbzeit ausgewechselt. Noch einmal Oliver Glasner:
"Ich denke, man hat es schon im Laufe der ersten Halbzeit gesehen, dass Marin heute mit der Luft große Probleme hatte. Er ist einfach nicht in einem 100 Prozent fitten Zustand. Keiner von uns weiß, wie sich diese Infektion dann über Monate hinweg auswirkt."
"Wer Luftnot unter Belastung hat, der hat irgendwas"
Bislang weiß man sehr wenig über mögliche Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Und sicher: Die Frage, wann ein Sportler danach wieder einsatzfähig ist, ist für Ärzte nicht leicht zu beantworten. Und dennoch wirft der Umgang mit Marin Pongracic die Frage auf, ob seine Gesundheit ausreichend geschützt wird. Auch bei Sportmediziner Wilhelm Bloch, der mit seinem Team an der Sporthochschule Köln zu den Langzeitfolgen von Corona-Infektionen im Sport forscht. Er sagt:
"Das kann man nicht machen. Ganz klar. Das entspricht nicht den Richtlinien, wie man mit einer Corona-Infektion umgeht. Ein Sportler, der nicht fit ist und noch Symptome zeigt, den kann man nicht in einen Wettkampfbetrieb mit reinnehmen. Da müsste man auch den Trainingsbetrieb im Prinzip noch aussetzen. Also da gibt es gar keine Frage. Der darf nicht in der Startelf stehen."
Gegenüber dem Deutschlandfunk wollte sich der VfL Wolfsburg trotz zweifacher Anfrage dazu nicht äußern. Unter der Woche verkündet Trainer Glasner dann: Die Ärzte hätten nach weiteren, teils sehr spezifischen Untersuchungen wieder nichts gefunden, alle Werte seien okay, grünes Licht für das Samstags-Spiel gegen Leipzig. Für den Münchner Kardiologen und Sportmediziner Martin Halle ist das nicht nachvollziehbar - selbst dann nicht, wenn die Einsatzfähigkeit ärztlich attestiert wurde und sich der Spieler nun wieder fit gefühlt habe:
"Wer Luftnot unter Belastung hat, der hat irgendwas, was auch immer". Die Wahrscheinlichkeit, dass sogar Herz oder Lunge betroffen sind, sei laut Halle relativ groß: "Das kann ja auch eine Herzmuskelentzündung sein, die im Kernspin komplett unauffällige Untersuchungen zeigt. Es ist mitnichten so, dass nur, weil ich den medizinisch untersuche, den dann freigebe."
"Hätte nie spielen dürfen"
Trotz ursprünglicher Planung stand Pongracic beim 2:2 der Wolfsburger gegen Leipzig dann doch nicht im Kader, sondern wurde individuell belastet. Eine Vorsichtsmaßnahme? Bei Janik Möser, Eishockeyprofi der Grizzlys Wolfsburg, wurde im November jedenfalls nur durch Zufall eine Herzmuskelentzündung entdeckt – laut Ärzten wohl die Folge seiner Corona-Infektion.
Die Deutsche Eishockey Liga DEL hat daraufhin das sogenannte Return-To-Play-Schema angepasst. Inzwischen empfiehlt die Liga nach Corona-Infektionen längere Ausfallzeiten und konkretere Nachsorge-Behandlungen als im ursprünglichen Schema aus dem Mai.
Das sieht vor, dass bei symptomfreiem Verlauf nach zwei Wochen wieder die volle Sporttauglichkeit attestiert werden könne - vorausgesetzt die anschließenden Belastungstests sind unauffällig. Verläuft die Krankheit mit leichten Symptomen, wie bei Pongracic, empfehlen die Ärzte zwei bis vier Wochen Belastungspause - und eine aufwendigere Diagnostik vor der Rückkehr. Die Deutsche Fußball Liga DFL orientiert sich weiter an diesem Schema, an dessen Erstellung auch Sportmediziner Wilhelm Bloch beteiligt war. Zum Fall Marin Pongracic sagt er: "Nach diesem Schema hätte der nie spielen dürfen."
Seine Begründung: Die Voraussetzung zur Wiedereingliederung sei laut Return-To-Play-Schema Symptomfreiheit. Und Atemnot sei nun mal ein typisches Symptom. Bloch plädiert vor diesem Hintergrund dafür, das Konzept zu konkretisieren - und sogar verpflichtend zu machen. Tim Meyer, Sportmediziner, DFB-Nationalmannschafts-Arzt und Leiter der Task Force Sportmedizin der DFL, hält von einer Pflicht nichts. Im Deutschlandfunk-Sportgespräch sagt er:
"Es sind sehr viele einzelne Aspekte zu berücksichtigen, die einen Spieler betreffen und den Verlauf in den letzten Wochen. Ich glaube die Vorgaben sind schon sehr ordentlich. Und in der Praxis, das kann ich wirklich sagen – ohne auf Einzelfälle einzugehen – sind die Kollegen in den Vereinen extrem gründlich unterwegs."
"Da ist eine höhere Sorgfalt gefordert"
Und wenn es trotz gründlichen Untersuchungen zu einer Abwägung wie bei Marin Pongracic kommt? Nicht nur beim VfL Wolfsburg dürfte dieses Risiko bestehen.
"Das ist eine Virusinfektion, die ernst zu nehmen ist. Das medizinische Monitoring der Corona-Patienten ist wesentlich", sagt auch DFB-Arzt Meyer im Deutschlandfunk. "Das ist nicht wie bei jeder anderen Infektion, wenn alles wieder in Ordnung ist, dass es dann einfach weitergeht. Sondern da ist eine höhere Sorgfalt erfordert und erkennbar auch überall angezeigt."
Zur Vorsicht mahnt auch der Tübinger Sportmediziner Andreas Nieß, einer der Hauptautoren des Return-Schemas. Doch auch er sagt: Jeder Fall müsse letztlich individuell vor Ort und in Eigenverantwortung von den Mannschaftsärzten beurteilt werden. Das Konzept soll jedoch bald überarbeitet werden, sagt Nieß:
"Wenn jemand zwei Wochen komplette Sportpause hat wie empfohlen, ist es jedem klar, dann nicht am Tag 15 einen Wettkampf zu betreiben. Das muss man sicher bei einer Überarbeitung das noch mal explizit darstellen, dass das eine längere Ausfallzeit bedeutet, also eine tatsächliche Ausfallzeit, bis man tatsächlich wieder auf dem Platz steht."
Dass das nicht jedem klar ist, zeigt neben Marin Pongracic ein weiterer Fall beim VfL Wolfsburg: Verteidiger Maxence Lacroix wurde Anfang Januar in Dortmund für die Schlussviertelstunde eingewechselt - nur einen Tag nachdem er aus seiner zehntägigen Quarantäne wegen Corona-Infektion zurückgekehrt war. Er kam ins Spiel für den kraftlosen Marin Pongracic. Nichts dazu hörte man gestern Abend jedoch von VfL-Manager Jörg Schmadtke bei seinem Auftritt im ZDF-Sportstudio. Und auch nichts zu den insgesamt mittlerweile neun Corona-Fällen allein in seiner Mannschaft. Dafür diesen bemerkenswerten Satz:
Wir spielen jetzt seit neun oder zehn Monaten in der Pandemiezeit und trotzdem spielen wir Fußball. Und man muss sagen: Wir bekommen das im Großen und Ganzen sehr gut hin. Und auch Corona-frei. Das muss man schon sagen."
Nicht ganz Corona-frei. Darauf musste ihn Moderator Jochen Breyer hinweisen.