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Rückkehr nach Reykjavik

Weit jenseits der Grenzen von Recht und Ordnung bewegt sich die Hauptfigur von Hallgrímur Helgasons neuem Roman mit dem aparten Titel: "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen". Auf Spaß, schwarzen Humor und einen immerzu wachen Blick für die Verlockungen weiblicher Erotik ist bei Helgason auch diesmal Verlass.

Von Ursula März |
    Der isländische Schriftsteller Hallgrimur Helgason ist ein Freund des schwarzen, absurden Humors, der schrägen Gags und schrillen Plots. Seine Romane - vier gibt es inzwischen in deutscher Übersetzung - gelten als typisch isländisch. In seinem 1996 zuerst erschienenem Roman "101 Reykjavik", der in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt wurde, zappt sich ein isländischer Oblomow von seinem Bett aus durch sämtliche europäische Musik- und Pornokanäle, kommuniziert ein bisschen im Chatroom, betreibt nebenher ein bisschen inzestuöse Erotik und fungiert trotz seines zeitgenössischen Medienautismus als unerschöpfliche literarische Witzmaschine.

    In dem 2006 ins Deutsche übersetzten Roman "Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein", unternimmt Hallgrimur Helgason einen höchst vergnügten und unterhaltsamen Vatermord. Er lässt seine dandyhafte Hauptfigur in die Bauernwelt des isländischen Nobelpreisträgers Haldor Laxness geraten, des Übervaters der isländischen Literatur, der sich als spießiger, eine Weile lang stalinfreundlicher Agrareremit erweist. Ein gewisses Dandytum pflegt der 1959 geborene Hallgrimur Helgason selbst. Auf Fotografien trägt er einen Herrenhut, ein blütenweißes Hemd, einen Dreiteiler tadellos polierte Schuhe. Dem Vernehmen nach empfängt er auch Journalisten in der Bar des schicksten Hotels von Reykjavik, das nach der Postleitzahl des schicksten Stadtbezirks der kleinsten Hauptstadt der Welt benannt ist und wie Helgasons Roman "101 Reykjavik" heißt. Hallgrimur Helgason ist ein künstlerischer Tausendsassa, er hat bildende Kunst studiert, unter anderem in München, zahlreiche internationale Ausstellungen bestritten, er ist als Cartoonist tätig und als Stand-up-Comedian.

    Ein Spur Dadaismus zieht sich durch sein vielseitiges Werk, eine Spur Anarchie durch sein politisches Engagement. Hallgrimur Helgason gehörte zu den Mitinitiatoren der isländischen Protestbewegung, die vor einem Jahr zum Rücktritt der Regierung und ihres Chefs Geir Haarde beitrug. Auf dem Höhepunkt einer Straßendemonstration schlug der Schriftsteller auf das Auto des isländischen Regierungsoberhauptes ein, was ihm über sein Heimatland hinaus den Ruf des Skandalkünstlers eintrug.

    Weit jenseits der Grenzen von Recht und Ordnung bewegt sich auch die Hauptfigur von Helgasons neuem Roman mit dem aparten Titel: "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen". Der Titel ist insofern wörtlich zu nehmen, als der Kroate Tomislav am Ausgangspunkt der Romanhandlung als Berufskiller in New York tätig ist. Dass er sein Berufshandwerk im Jugoslawienkrieg gelernt hat, geht aus biografischen Mitteilungen hervor, dass er ein vergnügter, moralisch mit sich im Frieden lebender Zeitgenosse ist, geht wiederum aus dem helgasontypischen aufgekratzten, zur literarischen Blödelei neigenden Erzählsound hervor. Auf Spaß, Unterhaltsamkeit und einen immerzu wachen Blick für die Verlockungen weiblicher Erotik ist bei dem isländischen Autor auch in seinem neuen Roman Verlass. Allerdings muss der kroatische Berufskiller Tomislav seine Späße und Gelüste von New York nach Island verlegen. Der Weg dorthin ist gepflastert von Screwball-Comedy-haften Verwechslungen und Quentin-Tarantino-haften Handlungseinfällen. Der Killer gerät in eine neue Identität, die eines Erweckungspredigers, der im isländischen Fernsehen eine Bibelsendung zu bestreiten hat. Nebenbei verliebt er sich nicht nur in die Tochter seiner Gastgeber - ebenfalls Prediger - er lernt auch das seltsame Land im Norden kennen, das seit 1000 Jahren von Kriegen verschont blieb und über kein Waffengeschäft verfügt. So ist Hallgrimur Helgasons neuer Roman mit dem eigenartig-umständlichen Titel "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen" hinter allen Verrücktheiten und Späßen eine literarische Ethnografie des eigenen Landes, das der isländische Schriftsteller Helgason durch den befremdeten Blick eines kroatischen Berufskillers betrachtet. Der Schriftstellerkollege Kristof Magnusson hat Helgasons Prosa in ein pointen- und stilsicheres Deutsch übertragen.


    Hallgrimur Helgason: "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen". Roman. Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson. Tropen Verlag, Stuttgart 2010, 270 Seiten, 19.90 Euro