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Rücknahme deutscher Dschihadisten aus Syrien
"Eine Chance, IS-Kämpfer ihrer gerechten Strafe zuzuführen"

Donald Trump droht Deutschland über Twitter, dass sie IS-Kämpfer zurücknehmen sollen. Dietmar Bartsch (Die Linke) hält die Art und Weise für unangemessen. Die Sache selbst sollte man aber prüfen - nicht wegen des Tweets des US-Präsidenten, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen, so Bartsch.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dirk Müller |
    Zu sehen ist Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Bundestag.
    "Wenn Donald Trump dann ausnahmsweise mal recht hat, dann sollten wir nicht wegen seines Tweets, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen das tun", sagte Bartsch (dpa / picture alliance / Britta Pedersen)
    Dirk Müller: "Holt eure IS-Kämpfer zurück nach Europa und macht ihnen den Prozess", fordert Donald Trump. – Äußerst aufgeschlossen dieser Forderung gegenüber steht der Chef der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen nach Berlin!
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen! – Ich grüße Sie.
    Müller: Herr Bartsch, warum sollte Deutschland daran Interesse haben?
    Bartsch: "Äußerst aufgeschlossen" ist vielleicht die falsche Formulierung. Aber wir haben ja eine Gesamtsituation, wo Donald Trump sich in vielen Fragen aufführt wie so ein Schulhofschläger. Ich finde, auch in dieser Frage ist der Ton völlig unangemessen. Aber in der Sache selbst muss doch eines klar sein: Deutsche Staatsbürger, die im Ausland sind, die gegebenenfalls Verbrechen begangen haben, die müssen auch in Deutschland verurteilt werden. Wir sind in einem Rechtsstaat und gerade wenn diese Forderung auf die Art und Weise – und ich finde das unangemessen via Twitter; ich finde Drohungen unangemessen. Aber wir sollten genau in diesen Fragen dann rechtsstaatliche Prinzipien einhalten. Heiko Maas hat recht, das ist zweifelsfrei kompliziert, aber es gilt der Rechtsstaat und das sollten wir deutlich nach außen dokumentieren.
    Müller: Wären wir denn ohne den Tweet von Donald Trump, den Sie jetzt kritisieren, selbst auf die Idee gekommen?
    Bartsch: Ja selbstverständlich! Es ist ja so, dass bereits jetzt Frauen und Kinder, die Deutsche sind, zurückgeholt worden sind …
    Müller: Was ja sehr umstritten ist.
    Bartsch: Was umstritten ist, aber was für mich eine Normalität ist. Und ich wiederhole das: Es sind deutsche Staatsbürger. Ich finde es unangemessen, dass es auf die Art und Weise läuft, und der Tweet von Donald Trump hat das zweifelsfrei nicht befördert. Aber in der Sache selbst muss man solide prüfen und selbstverständlich können wir doch nicht in Deutschland Abschiebungen vornehmen und Ähnliches, aber wenn es um deutsche Staatsbürger geht, dann sagen wir, nee, da haben wir nichts mit zu tun.
    Nein, Verfahren, feststellen, ob das Deutsche sind. Das muss rechtsstaatlich erfolgen und da darf es nicht diese moralisierenden Dinge geben. Ich kann das alles subjektiv verstehen, aber da geht es nicht nach subjektivem Verständnis, sondern da muss es Geradlinigkeit geben. Wir sollten dort weiterhin ein Beispiel sein. Es kann ja nicht sein, dass die USA jetzt meint, immer festzulegen, was andere zu tun haben. Das ist es genau nicht! Aber wenn Donald Trump dann ausnahmsweise mal recht hat, dann sollten wir nicht wegen seines Tweets, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen das tun.
    "Es geht nicht darum, dass wir irgendwelche Terroristen ins Land holen"
    Müller: Nicht allzu moralisierend auftreten, sagen Sie, Herr Bartsch. Ich muss da noch mal nachfragen: Viele fragen sich ja jetzt, wenn dort IS-Kämpfer mit deutscher Staatsbürgerschaft in Syrien geplündert haben, gemordet haben, vergewaltigt haben möglicherweise, Terror ausgeübt haben über Jahre, Dutzende von Opfern vielleicht an ihren Händen haben, warum müssen die nach Deutschland kommen und sollen nicht in Syrien bleiben und dort den Prozess bekommen?
    Bartsch: Ich bin für Prozesse. Ich bin für Rechtsstaatlichkeit und da gibt es Grundlagen. Und wenn sie nach Deutschland müssen, was ist denn die Alternative? Wir gehen auf einmal davon aus, dass bei Assad rechtsstaatliche Verfahren stattfinden. Wenn ich mich recht entsinne, war das vor zwei Jahren noch so, dass Menschen gesagt haben, der Assad macht nur noch wenige Wochen. Auf einmal ist Syrien das Rechtsstaats-Paradies? Da gehen wir davon aus, dass mit deutschen Staatsbürgern formal richtig agiert wird? – Nein, davon gehe ich nicht aus. Deshalb noch mal: Es geht doch nicht darum, dass wir jetzt irgendwelche Terroristen ins Land holen. Die Gefahr ist nur relativ groß, …
    Müller: Aber das ist es doch in der Konsequenz.
    Bartsch: Meinen Sie, dass die bessere Variante ist, dass die illegal nach Europa oder wo auch immer hinkommen? Das genau nicht, sondern noch mal: Die haben Verbrechen begangen. Das müssen Gerichte feststellen. Dann müssen sie verurteilt werden, dann müssen sie ihrer Strafe zugeführt werden. Das ist Rechtsstaat und der gilt für alle. Das steht im deutschen Grundgesetz. Der Satz, die Würde des Menschen ist unantastbar, der gilt letztlich, so furchtbar das ist, auch für Leute, die Verbrechen begangen haben, und genau so müssen wir agieren. Die sollen ihrer Strafe zugeführt werden. Das muss alles ordentlich geprüft werden: Sind sie Deutsche, wie kommen sie hierher. Das ist kompliziert, da hat Herr Maas recht, aber diesen Weg müssen wir gehen.
    "Frage, muss diplomatisch ruhig, aber rechtsstaatlich geklärt werden"
    Müller: Jetzt sagen Kritiker und Gegner, Dietmar Bartsch ist dafür, dass die IS-Terroristen, die nach Deutschland zurückkommen, in einem Wohlfühlgefängnis landen.
    Bartsch: Ja gut, das ist typische Denunziation. Da geht man wieder vom Stammtisch aus und meint, die sollen mal in den Kerkern von Assad versauern. Das sind Sprüche, die sind der deutschen Politik nicht angemessen.
    Müller: Ist für Sie völlig absurd, egal was diese Menschen getan haben?
    Bartsch: Das muss ja erst mal festgestellt werden. Das habe ich doch nicht aus der Ferne zu beurteilen. Aber wissen Sie, in einer Situation, wo das Atomabkommen mit dem Iran gekündigt wird, der INF-Vertrag infrage steht, wo eine Mauer gebaut werden soll, wo die internationalen Beziehungen wirklich auf einem Tiefpunkt sind, wo ein Scherbenhaufen daliegt – aus Gründen im Übrigen -, da können wir bei dieser Frage, die dürfen wir nicht so zentral machen, sondern sie muss diplomatisch ruhig, aber rechtsstaatlich geklärt werden.
    Müller: Heiko Maas sagt, der Bundesaußenminister, ist alles nicht umsetzbar. Inwieweit trifft er da den Kern?
    Bartsch: Das kann ich von hieraus nicht einschätzen. Ich teile das so nicht. Wir müssen das prüfen. Ich weiß nicht, wie Heiko Maas so schnell zu dieser Einschätzung kommt, wo er doch völlig zurecht auch die Verantwortung trägt, dass Frauen, dass Kinder aus Syrien, aus anderen Ländern nach Deutschland zurückgeführt worden sind. Da sind ja auch furchtbare Schicksale dabei. Aber noch mal: Das ist nicht aus der Ferne einzuschätzen. Da muss jeder einzelne Fall geprüft werden. Es geht auch nicht um Wohlfühlgefängnisse, sondern es geht um Verurteilungen. Rechtsstaat muss durchgesetzt werden.
    Müller: Hören wir vielleicht einmal, Herr Bartsch, Roderich Kiesewetter. Den haben wir vor knapp einer halben Stunde dazu auch befragt:
    !!"Wir sind ein Rechtsstaat und wir wollen nicht, dass mögliche IS-Kämpfer, nur um in ein rechtssicheres Land zu kommen, falsche Staatsbürgerschaften angeben. Dazu brauchen wir Zugang zu den betroffenen Beschuldigten. Aber generell es auszuschließen, wenn wir die Daten haben und sie auch vor ein Gericht stellen können, das tue ich nicht. Aber wir brauchen dafür eindeutige Nachweise und dazu müssen wir uns europäisch abstimmen. Langfristig spricht nichts dagegen."!!
    Müller: … sagt Roderich Kiesewetter (CDU). – Dietmar Bartsch, wie hoch ist das Sicherheitsrisiko?
    Bartsch: Herr Kiesewetter hat ja dort genau den Kern getroffen, und ich glaube, genau so müssen wir agieren, und das verringert das Sicherheitsrisiko. Das Sicherheitsrisiko ist höher, wenn völlig ohne irgendeine Kontrolle Menschen hier zurückkommen können, die vielleicht IS-geprägt sind. Das sollten wir genau nicht tun. Wenn sie dort in Gefangenschaft sind, ist das auch eine Chance, sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Ich finde, was ja selten genug der Fall ist, dass ich dort mit Herrn Kiesewetter im Kern übereinstimme.
    Müller: Das Sicherheitsrisiko, sagen Sie, ist vor Ort viel, viel größer, beziehungsweise dass mögliche IS-Terroristen, wie Sie es gesagt haben, dann ungeregelt, unkontrolliert wie auch immer sich wieder einschleusen in Europa und dann gegebenenfalls nach Deutschland kommen?
    Bartsch: Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Wir sollten die Sicherheitsrisiken minimieren. Das ist allerdings nicht über diese Gefangenen zu allererst möglich. Da müssten wir ganz grundsätzlich mal hinterfragen, was ist dort eigentlich geschehen. Wie war das mit Assad noch vor vielen Wochen? Wie ist das mit der Frage der Kurdinnen und Kurden, die jetzt von den Amerikanern, auch von anderen im Stich gelassen werden? Ich glaube, dort muss die Weltgemeinschaft endlich wieder aktiv werden. Die jetzige Situation, dass es an allen Ecken und Enden brennt, dass wir ein Chaos in der Weltpolitik haben, was in München auf der Sicherheitskonferenz wirklich manifest geworden ist, die muss möglichst schnell beendet werden. Da kann man ja nur hoffen, dass sich eine Linie, die Angela Merkel aufgemacht hat, an der ich im Übrigen viel zu kritisieren habe, aber die ist ja aktuell eher noch eine Linie der Vernunft als das, was aus den Vereinigten Staaten geboten wird.
    "Militär und Aufrüstung ist nicht die allererste Alternative"
    Müller: Mit Blick auf Syrien – das ist für Sie ja auch immer wieder ein Thema, Herr Bartsch; wir haben häufig darüber gesprochen – reicht es völlig aus, wenn die Deutschen ein bisschen mit Überwachungsflugzeugen gucken, was sich da tut?
    Bartsch: Das ist wiederum eine ganz andere Frage. Die Militäreinsätze sind gescheitert, das kann man so festhalten. Jetzt ist es so, dass Herr Assad im Wesentlichen die Hoheit über Syrien hat. Wir müssen doch die Frage stellen, wie wollen wir jetzt insbesondere in Nordsyrien die Frage für die Kurdinnen und Kurden so klären, dass sie ein Selbstbestimmungsrecht haben. Das ist eine zentrale Frage. Wie wollen wir dafür sorgen, dass der IS nicht eine neue Chance hat? Wie wollen wir dem Terrorismus wirklich das Wasser abgraben? Wie wollen wir den Konflikt Iran-Saudi-Arabien vielleicht befrieden als Europäische Union? Wie sieht das mit Israel und Palästina aus? So viele Fragen und da ist Militär und Aufrüstung nicht die allererste Alternative.
    Müller: Auch nicht gegen den IS?
    Bartsch: Der IS ist doch jetzt Gott sei Dank vernichtet worden.
    Müller: Mit Militär!
    Bartsch: Auch mit Militär. Da ist es auch richtig, dass die Kurdinnen und Kurden dort einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Den sollten wir würdigen und sie jetzt nicht hängen lassen. – Ja, mit Militär! Ich habe nie was dagegen gesagt, dass der IS auch militärisch bekämpft werden muss. Aber ich will auch sagen: Dass der IS entstanden ist, das ist nicht aus luftleerem Raum. Der IS, der produziert nicht mal Messer. Diese Waffen sind alle irgendwo hergekommen. Die haben Geschäfte gemacht mit der Türkei. Das alles gehört analysiert und darf vor allen Dingen nicht wiederholt werden. Wir dürfen den Terroristen nicht neue Nahrung geben, sondern wir müssen genau in die gegenteilige Richtung agieren.
    Müller: Aber mit Hilfe der Amerikaner ist das passiert?
    Bartsch: Was meinen Sie jetzt, was mit Hilfe der Amerikaner passiert ist?
    Müller: Der vermeintlich erfolgreiche Kampf gegen IS.
    Bartsch: Der Kampf gegen den IS ist mit den Amerikanern passiert. Aber Sie wissen, dass dort auch Russen agiert haben, dass dort Assad, die Kurden, viele andere agiert haben. Dass der IS, dass das Wahnsinnige sind und dass man dort alles machen muss, um denen das Wasser abzugraben, ist doch völlig unbestritten. Wir müssen trotzdem die Frage stellen, wieso konnte der überhaupt in der Region Sympathien gewinnen. Das ist doch eine zentrale Frage. Und noch mal: Jetzt kommt es darauf an, dass wir Wiederholungen, was derartige Dinge wie den IS, was andere Terroristen betrifft, nicht zulassen, sondern dass wir denen das Wasser abgraben, mit den Mitteln der Zivilisation und nicht zu allererst mit Krieg.
    Müller: Gehen Sie davon aus, dass der Westen, dass die westliche Lesart, auch Ihre Lesart mit Russland gemeinsam erzielt werden kann in Syrien?
    Bartsch: Wir haben beim Iran gesehen, dass das mit Russland möglich ist, und ich sehe das so, dass die Sicherheitsratsmitglieder, die ständigen Sicherheitsratsmitglieder eine besondere Verantwortung haben. Deutschland hat mit seiner Mitgliedschaft dort auch eine Chance, und genau das sollte geschehen. Nur wenn dort alle gemeinsam agieren, wird man Lösungen hinbekommen. Das Gegeneinander, das Führen von Stellvertreterkriegen, das fördert nur neuen Terrorismus. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.
    Müller: Der Chef der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Ihnen noch einen schönen Tag und vielen Dank für das Gespräch.
    Bartsch: Ich danke Ihnen.
    Müller: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.