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Rücktritt von Präsident Nasarbajew
Stiller Umbruch in Kasachstan

Nach 30 Jahren im Amt als "Führer der Nation" übergibt Nursultan Nasarbajew freiwillig und ohne öffentlichen Druck sein Amt. Wer nun Präsident oder Präsidentin von Kastachstan wird, ist noch unklar - doch Nasarbajew hat schon mal seine Verwandtschaft positioniert.

Von Edda Schlager |
Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew im Porträt
Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew (dpa/Bernd von Jutrczenka)
Historische Momente gehen nicht immer mit lautem Knall oder Blutvergießen einher - auch nicht in Zentralasien, das chronisch unter dem Verdacht chaotischer Verhältnisse steht. Kasachstan hat einen solchen stillen Umbruch gerade erlebt. Nursultan Nasarbajew - seit 30 Jahren Alleinherrscher des Landes - ist freiwillig abgetreten, ohne öffentlichen Druck. In einer Botschaft ans Volk hat er am 19. März um kurz nach 19:00 Uhr Ortszeit live im Fernsehen und völlig überraschend seine Rücktrittserklärung unterzeichnet. Nursultan Nasarbajew:
"Das ist mein letzter Erlass als Präsident. - Eine Schlussbemerkung noch, liebe Landsleute: Ich wünsche allen Kasachstanern aus tiefstem Herzen Wohlergehen und Glück. Mögen Sie und Ihre Kinder in Frieden leben und immer an unsere großartige Zukunft glauben. - Vielen Dank!"
Eine ganze Generation kennt nur Nasarbajew im Amt
Der Rücktritt des 78-Jährigen war für viele ein Schock. Eine ganze Generation kennt nur ihn im Amt: Er hat Kasachstan in die Unabhängigkeit geführt, sich als Stabilitätsgarant inszeniert, ist per Verfassung "Führer der Nation". - Tage danach sind die Leute auf dem Prachtboulevard von Almaty etwas gefasster:
"Es ist traurig, weil es das Ende ist; aber er bleibt ja an der Macht."
"Eine wohl überlegte Entscheidung - das Volk war bereit dafür, denke ich."
"Offiziell war das ein Rücktritt, ja, aber uns ist klar, Nursultan Nasarbajew bleibt an der Macht. Das Volk kann man so leicht nicht belügen."
2020 sind Präsidentschaftswahlen
Nursultan Nasarbajew hat Kassym-Jomart Tokayev zum Interims-Präsidenten gemacht, Ex-Premier und Ex-Außenminister, bisheriger Sprecher des Parlaments. Doch im kommenden Jahr stehen in Kasachstan Präsidentschaftswahlen an. Und erst dann, sagen informierte Beobachter, werden die Karten neu gemischt. Alles sieht nach einer dynastischen Thronfolge aus. Nur damit die Machtübergabe innerhalb der Familie gelingt, hatte Nursultan Nasarbajew den Rückzug überhaupt freiwillig angetreten, sind sich Analysten einig.
Die möglichen Kandidaten für das dauerhafte Präsidentenamt nach Interim Tokayev? – Dariga Nasarbajewa, älteste Tochter des Ex-Präsidenten? Einen Tag nach dem Rücktritt hat das kasachische Parlament sie zur Senatssprecherin gemacht, bisheriges Amt des neuen Präsidenten Kassym-Jomart Tokayev. Und auch Nursultan Nasarbajews 40jähriger Neffe Samat Abish, Vize-Chef des Geheimdienstes, hat Chancen.
Dieselbe Machtfülle wird es nicht mehr geben
Dem Politologen und Menschenrechtler Jewgeniy Zhovtis zufolge spiele die Frage der Nachfolge jedoch eine untergeordnete Rolle. Denn das Präsidentenamt werde grundsätzlich an Bedeutung verlieren. Er sagt:
"Wichtig ist, welche Macht-Konfiguration entstehen wird, innerhalb derer jeder Figur eine bestimmte Funktion zugewiesen wird - und zwar unter der Kontrolle des alten Präsidenten und Führers der Nation; weil Nursultan Nasarbajew niemandem mehr dieselbe Führungsrolle mit einer derartigen Machtfülle und Super-Präsidenten-Power überlassen wird."
Nasarbajew bleibt unter anderem Chef des Sicherheitsrates
Nursultan Nasarbajew hatte sich schon im vergangenen Jahr zum Chef des Sicherheitsrates auf Lebenszeit machen lassen, ist weiterhin Vorsitzender der Regierungspartei Nur Otan und Mitglied im Verfassungsrat. So behält er die wichtigsten Befugnisse in der Hand. Und so, sagt Jewgeniy Zhovtis, sei sogar der Umbau zu einer parlamentarischen Demokratie denkbar - oder zumindest die perfekte Illusion einer solchen.
Denn im Kern bleibe Kasachstan ein totalitäres Regime, in dessen Mittelpunkt die Präsidentenfamilie steht und weiterhin stehen soll. Nur einen Tag nach Nursultan Nasarbajews Rücktritt wurde die kasachische Hauptstadt Astana umbenannt. Nursultan soll sie jetzt heißen, das ist Nasarbajews Vorname.