Es war eine Mitteilung mit Sprengkraft: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft von Österreich ermittelt gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz und neun weitere Personen wegen des Verdachts der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung.
Der "Falter" hat am 06.10.21 in einem brisanten Artikel einen Whatsapp-Chat von 2018 dokumentiert. Darin tauscht sich der damalige Kabinettschef Thomas Schmid mit dem Pressesprecher des damaligen ÖVP-Finanzministers aus. Es geht um die Frage, wie man "Content" gegen "Kohle" bekommen könne - also um die Frage, wie man die Inhalte der Zeitung "Österreich" kauft und manipuliert.
Dem Bundeskanzler wird vorgeworfen, dass er sich strafbarer Methoden bedient und unter anderem eine positive Berichterstattung erkauft haben soll – und zwar im Jahr 2016 und 2017, als Kurz ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner ausstechen wollte, um selbst an die Spitze der Partei und der Regierung zu gelangen.
Man habe diese Informationen von Anwälten zugespielt bekommen, nicht von der Staatsanwaltschaft, erklärte "Falter"-Redakteurin Konzett. Demnach habe ein "enger Kreis um Sebastian Kurz frisierte Umfragen" in dem Boulevardblatt platziert. "Kurz soll - das sagen die Korruptionsstaatsanwälte - davon gewusst haben", so Konzett. Insgesamt sollen rund eine Million Euro gezahlt worden seien.
Die österreichische Regierung ist schon lange dafür bekannt, im europäischen Vergleich besonders viel Geld für Anzeigen auszugeben: also für Werbung in Medien. Unter Sebastian Kurz aber explodierten diese Ausgabe zuletzt quasi, wie der Medienforscher Andy Kaltenbrunner in einer Studie untersucht hat. Vor allem die Boulevardmedien würden mittlerweile von Inseratenausgaben profitieren.
Bei Zeitungen wie "Österreich" mache die öffentliche Förderung zwischen 20 und 40 Prozent der Umsätze aus, "das ist eine totale Schräglage, wenn das nicht transparent geschieht, und macht das Geschäftsmodell sehr abhängig", sagte Kaltenbrunner im Dlf.
Die Gratiszeitung "Österreich" steht nun auch bei den Vorwürfen der Anzeigenkorruption im Fokus. Herausgeber ist Wolfgang Fellner, ein in Österreich bekannter Medienunternehmer, gegen den es in diesem Jahr #MeToo-Vorwürfe gab. Fellner soll staatliche Anzeigen bekommen und im Gegenzug dafür gesorgt haben, dass fingierte Umfragen und Artikel in seiner Gratiszeitung erschienen sind.
Für Medienforscher Kaltenbrunner zeigt der aktuelle Skandal, "was seit vielen Jahren in Österreich systematisch möglich ist". Die Inseraten- und Förderpolitik von Österreichs Bundesregierung sei besonders bei den Tageszeitungen aus dem Ruder gelaufen. Es brauche hier dringend mehr Transparenz und klare Gesetze und Regelungen.
Was Strache in Ibiza angedeutet habe, habe die ÖVP umgesetzt, analysiert der "Falter" nun in seiner aktuellen Recherche. Als ÖVP und FPÖ vor vier Jahren eine Koalition aus Bürgerlichen und Rechtspopulisten schmiedeten, wurde früh deutlich, dass Medienpolitik für diese Regierung eine große Rolle spielen würde. Schon im Februar 2018, also nur zwei Monate nach Beginn der Regierungsarbeit, setzte Strache den Österreichischen Rundfunk unter Druck.
Die Zeit von Heinz-Christian Strache an der Regierung endete dann anderthalb Jahre später mit der sogenannten "Ibiza-Affäre". Ein heimlich gefilmtes Video zeigte, wie Strache andeutet, Einfluss auf die Berichterstattung der "Kronen Zeitung", Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung, nehmen zu können. Journalisten seien "die größten Huren des Planeten", so äußerte sich Strache damals.
Strache wurde im August 2021 wegen Bestechlichkeit im Amt zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten auf Bewährung verurteilt.
Bislang hatte Kurz einen Rücktritt ausgeschlossen und argumentiert, er und seine Partei seien handlungsfähig und vor allem auch handlungswillig. Nun sagte er in Wien, er ziehe die Konsequenzen aus den Ermittlungen gegen ihn und mache einen Schritt zur Seite. Es gelt, Schaden vom Land abzuwenden. Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen hatte zuvor erklärt, im Raum stünden schwere Anschuldigungen. Es entstehe ein Sittenbild, das der Demokratie nicht guttue.
Österreichs Opposition ist nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Kurz unzufrieden mit den Entwicklungen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat die geplante Fortsetzung der Koalition aus ÖVP und Grünen kritisiert. Der Kanzler gehe zwar, aber das türkise System bleibe, sagte sie mit Blick auf die Parteifarbe der ÖVP.
Da Kurz am Vorsitz der Volkspartei festhalten und künftig auch Fraktionschef sein wolle, werde er weiterhin die bestimmende Kraft der ÖVP-Politik und damit ein Schattenkanzler Österreichs sein. Ähnlich äußerten sich die Parteichefs von FPÖ und Neos. Zuletzt hatte es Überlegungen gegeben, unter Führung der SPÖ zusammen mit den Grünen eine neue Viererkoalition gegen die ÖVP zu bilden.
Nachfolger des ÖVP-Politikers soll Außenminister Alexander Schallenberg werden. Kurz wird das Amt des Fraktionschefs der konservativen ÖVP im Parlament übernehmen und Parteivorsitzender bleiben.
Quellen: dlf, Michael Borgers, Clemens Verenkotte