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Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx
Sternberg: „Ich habe gesagt, der Falsche ist zurückgetreten“

Aus dem Rücktrittsschreiben von Kardinal Reinhard Marx gehe hervor, dass ihm der kirchliche Reformdialog weiter „sehr, sehr wichtig“ sei, sagte Thomas Sternberg vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Dlf. Marx wolle deutlich machen, dass dies Vorrang habe vor dem Kleben an Ämtern und an Posten.

Thomas Sternberg im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, gibt im Innenhof seiner Residenz ein Statement vor der Presse
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, gibt bekannt, dass er bei Past Franziskus um seinen Rücktritt ersucht hat (dpa/Peter Kneffel)
Er wolle "Mitverantwortung" für die "Katastrophe des sexuellen Missbrauchs" in der katholischen Kirche übernehmen, begründet der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, sein Rücktrittsgesuch, dass er bei Papst Franziskus eingereicht hat. Die Untersuchungen zu den Missbrauchsskandalen hätten gezeigt, dass diese unter anderem auch auf "institutionelles oder systemisches Versagen" der katholischen Kirche zurückzuführen seien, erklärte der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Archivfoto vom 13.03.2020 von Reinhard Kardinal Marx
Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche - Kardinal Marx bietet Papst Rücktritt an
Kardinal Marx hat dem Papst den Rücktritt von seinem Amt als Erzbischof von München angeboten. Er wolle "Mitverantwortung für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs" übernehmen. Ein Schritt, dessen Wirkung noch nicht absehbar ist.
Zugleich sei in den jüngsten Debatten allerdings offensichtlich geworden, "dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen". Eine ganz offenkundig Anspielung auf den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der wegen der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in seinem Erzbistum scharf kritisiert wird.
Kirchenrechtler Schüller: "Marx hat die Messlatte für alle Bischöfe extrem hoch gelegt"
Nach dem Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx sei der Kölner Erzbischof Woelki nicht mehr zu halten, sagte der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Alle Bischöfe müssten sich nun fragen, wie sie wegen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche Verantwortung übernehmen wollen.
Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), bekräftigte im Dlf-Interview seine Aussage, dass mit Kardinal Marx die falsche Person ihren Rücktritt angeboten habe. Auf die Frage, wer denn der Richtige sei, antwortete Sternberg: "Da lege ich mich nicht fest."
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, gibt im Innenhof seiner Residenz ein Statement vor der Presse. Marx hat zuvor Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten.
Kommentar: Rücktritte sind kein SelbstzweckDer Erzbischof von München und Freising, Kardinal Marx, hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Der Top-Mann im Gewissensbildungsbetrieb hat sich der Gewissensfrage gestellt, kommentiert Christiane Florin. Aber Rücktritte nützen wenig, wenn sie ein Davonstehlen sind.
Sternberg betonte, dass Kardinal Marx die Aufdeckung der Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche seit 2010 "zutiefst berührt" habe. "Und er ist immer deutlicher und immer schärfer geworden in seiner Forderung, dass es hier zu grundsätzlichen Reformen kommen muss", so der ZdK-Präsident.

Forderung nach erhöhter Wahrnehmbarkeit von Frauen

Was hingegen das Kölner Erzbistum angehe, stelle sich die Frage längst nicht mehr, ob dort jemand zurücktrete oder nicht. Sternberg: "Denn in Köln sind jetzt apostolische Visitatoren am Werk, da wird geprüft, das ist überhaupt gar nicht mehr in der Hand der handelnden Personen."
Der 69-Jährige forderte, dass die Katholische Kirche zu einer sehr viel größeren Partizipation kommen müsse und dass Amt und Leitung nicht mehr zusammenfallen dürften. "Und dass wir vor allen Dingen zu einer völlig anderen Wahrnehmbarkeit von Frauen kommen, die längst das Gesicht unserer Gemeinden und unserer Kirche prägen."

Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Herr Sternberg, was hat dieser Schritt persönlich gestern bei Ihnen ausgelöst?
Thomas Sternberg: Persönlich war ich zunächst erst mal erschrocken, denn ich kenne Reinhard Marx und schätze ihn seit vielen, vielen Jahren. Wir waren schon 1988, als wir unsere Berufswege begannen, Kollegen, und ich habe den länger begleitet. Ich habe ihn allerdings immer kennengelernt als einen durchsetzungsstarken, einen willensstarken, aber auch einen sehr sensiblen Menschen. Ich glaube, dass diese Geschehnisse seit 2010, die Aufdeckung des Missbrauchs auch unter Geistlichen in der katholischen Kirche, das hat ihn zutiefst, berührt, beeindruckt, und er hat sich da auch noch mal wieder verändert und ist immer deutlicher und immer schärfer geworden in seiner Forderung, dass es hier zu grundsätzlichen Reformen kommen muss.
Zurheide: Man kann den Brief ja jetzt jenseits der persönlichen Dinge auch anders lesen und kann sagen, er listet vor allen Dingen die strukturellen Mängel auf. Wir haben heute Morgen schon das Interview von Herrn Schüller hier in dieser Sendung noch einmal gespielt, da werden strukturelle Mängel angesprochen: die Hierarchie, die männlich geprägte Struktur. Sind das die beiden Kernpunkte, die Sie auch rauslesen aus diesem Brief als Hinweise auf Veränderungsbedarf?
Theologin Rahner - "Es geht nicht weiter mit den ewiggestrigen Lösungen"
Die Kirche stecke in einer Sackgasse, das zeige das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx, sagt die Theologin Johanna Rahner. Es brauche eine Umkehr, um die strukturellen Probleme zu lösen. Da helfe kein einzelner Rücktritt.
Sternberg: Ich lese aus dem Brief genau das, was nicht zuletzt auch er und die Bischöfe insgesamt aus der sogenannten MHG-Studie, eine interdisziplinäre Studie über das Missbrauchsgeschehen in der Kirche, damals herausgelesen haben. Diese Studie spricht davon, dass es strukturelle Ursachen gibt, die dazu führen, dass Missbrauchsgeschehen überhaupt möglich war. Das sind eben die Bereiche, die wir dann auf dem synodalen Weg aufgegriffen haben: das Thema Macht, das Thema Sexualmoral, das Thema priesterliche Lebensform und das Thema Frauen in Dienst und Ämtern. Das sind genau die vier Foren, die wir im synodalen Weg behandeln, und der ist ihm offensichtlich sehr, sehr wichtig, bleibt ihm sehr wichtig. Das schreibt er auch in seinem Schreiben sowohl an den Papst wie auch in seiner Erklärung, dass er deutlich machen will, dass das Vorrang hat vor dem Kleben an Ämtern und an Posten.
Zurheide: Wir kommen gleich auf die Ämter und die Posten, aber wenn er dann auch sagt, wir sind an einem toten Punkt angekommen, zieht er dann nicht das Fazit, dass das alles gut und schön ist mit diesem synodalen Weg, aber dass das im Moment, zumindest bei der Verfasstheit ja auch, ich sage jetzt des Klerus und der Bischofskonferenz, dass das nicht weiterführt, denn wir alle wissen, welche Widerstände auch aufseiten von manchen Bischöfen da sind?
Sternberg: Das lese ich da nicht draus, muss ich sagen, denn der synodale Weg läuft gut. Keineswegs ist das nur eine Zankerei, sondern da passiert sehr, sehr viel und das ist eine sehr gute Sache. Und da sagt er in dem Schreiben ganz, ganz deutlich, dass das Projekt des synodalen Wegs, dass der unbedingt weitergehen muss und dass die Institutionenordnung der Kirche dem eben unterstellt werden muss und zu dienen hat. Das ist im Grunde genommen ein altes christliches Verständnis. Wenn wir das Christentum ernst nehmen, dann kann es nicht darum gehen, an Posten zu kleben, sondern dann geht es darum, möglichst optimal und möglichst sinnvoll Evangelisierung zu betreiben – in umfassendem Sinne.

Rücktritte notwenig, um wieder Vertrauen aufbauen zu können

Zurheide: Jetzt sind Sie mir zu schnell bei den Posten. Also wenn ich daraus lese, wir sind an einem toten Punkt, das heißt doch, jetzt glaubt er im Moment, so, wie es jetzt läuft, kommt die Kirche nicht weiter, oder die Kirche, wie sie institutionell mit den Problematiken umgeht, oder was muss sich auch zum Beispiel im synodalen Weg verändern, damit dieser Aufbruch geschieht nach dem toten Punkt, dieser Wendepunkt.
Sternberg: Moment, er sagt ja genau das. Er sagt, ich glaube, dass der tote Punkt, an dem wir uns im Augenblick befinden, zum Wendepunkt werden kann. Und der wird zum Wendepunkt gerade dadurch …
Zurheide: Wenn.
Sternberg: Ja, Moment, er wird aber gerade dadurch, dass man eben beherzt weitermacht in den Reformanstrengungen und dass man versucht, wieder Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, die wir auch in der Bevölkerung zunehmend verlieren und verloren haben. Das ist doch das, warum es da geht, und das macht er auch ganz deutlich. Ich glaube, dieser tote Punkt, damit ist gemeint eine Situation, die ja im Moment so ist, dass wir in Deutschland – ich merke das auch im ZdK – Erklärungen machen können noch und noch, wir können Pressemitteilungen machen, es wird im Moment ausschließlich konzentriert und fixiert auf dieses eine große Thema. Und dann sagt er, dann müssen dann eben auch Rücktritte passieren, um so etwas wie Vertrauen wieder vorsichtig aufbauen zu können.
Zurheide: Das heißt, Sie haben es ja gestern auch schon in einer ersten Reaktion gesagt, eigentlich ist der Falsche zurückgetreten, um es jetzt deutlich zu machen, Sie können es heute Morgen hier erklären: Wer sollte zurücktreten? Ich sitze in Köln, das war jetzt mein Hinweis an Sie.
Sternberg: Ach Gott, ich meine, Sie haben jetzt natürlich die Kölner Perspektive, ich selber sitze in Münster, und anderswo gibt’s ja auch ... also ich möchte mich da gar nicht festlegen. Ich bin nur der Meinung, dass ich hier sehr, sehr großen Respekt davor habe, dass jemand, der jetzt nicht mit einem öffentlichen Druck, nicht, weil da irgendjemand sagt, du musst das jetzt tun oder der Mediendruck zu groß wird, sondern aus einer freien Entscheidung sagt, nein, ich übernehme Verantwortung für Institutionenversagen.
Zurheide: Ja, gut, aber lieber Herr Sternberg, jetzt kann ich Sie da auch nicht rauslassen. Sie haben gesagt, der Falsche ist zurückgetreten, hab ich Sie gestern richtig zitiert oder nicht?
Sternberg: Ich habe gesagt, der Falsche ist zurückgetreten, das ist richtig.
Zurheide: Wer wäre der Richtige?
Sternberg: Da lege ich mich nicht mit fest. Ich weiß auch nicht, wie das bereits … Wenn Sie aber übrigens Köln ansprechen, da muss ich sagen, in Köln ist gar nicht mehr die Frage, ob jemand persönlich zurücktritt oder nicht zurücktritt, das ist längst drüber raus, denn in Köln sind jetzt apostolische Visitatoren am Werk, da wird geprüft, das ist überhaupt gar nicht mehr in der Hand der handelnden Personen. Insofern ist das für Köln im Grunde genommen keine Frage mehr.
Aber ich hab’ nur damit deutlich gemacht, dass ich glaube, dass Reinhard Marx nicht derjenige ist, dem da viel nachzuweisen ist. Ich meine, ich weiß nicht, was man ihm da jetzt vorwirft noch aus alten Tagen und was weiß ich, ich kenne ihn nur eben als einen ausgesprochen integren Menschen, dem diese ganze Frage des Missbrauchsgeschehens wirklich an die Nieren gegangen ist und geht – übrigens nicht nur ihm alleine.
Zurheide: Zum Schluss ganz kurz: Was erwarten Laien, damit katholische Kirche, damit aus diesem toten Punkt der Wendepunkt wird, was muss sich verändern?
Sternberg: Ich glaube, dass mit den Themen des synodalen Wegs sehr viel angesprochen ist, aber was sich ganz wichtig ändern wird und muss, ist, dass wir zu einer sehr, sehr viel größeren Partizipation kommen, dass Amt und Leitung nicht mehr zusammenfallen und dass wir vor allen Dingen zu einer völlig anderen Wahrnehmbarkeit von Frauen kommen, die längst das Gesicht unserer Gemeinden und unserer Kirche prägen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.