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Rückzug nach Castel Gandolfo

Das italienische Städtchen Castel Gandolfo beherbergt die Sommerresidenz des Papstes. Es gibt prächtige Villen, einen Bauernhof, barocke Brunnen und eine Vielzahl an Blumen. Das rund 55 Hektar große Areal liegt eine knappe Stunde von Rom entfernt und wird streng bewacht. Hier wird Benedikt XVI. nach seinem Rücktritt als Papst zunächst leben.

Von Thomas Migge |
    Man hört nur das Klicken der Fotoapparate. Man sieht den ganz in weiß gekleideten Benedikt XVI., wie er eine von seinem Privatsekretär Georg Gänswein überreichte Tageszeitung, den "Osservatore Romano", das vatikanische Hausblatt, entgegen nimmt, sie aufschlägt und darin liest. Hinter Benedikt ist ein großes Fenster zu sehen, das den Blick in einen Garten mit schlanken Zypressen frei gibt. Obwohl ein Kameramann und ein Fotograf anwesend sind, tut der Papst so als wäre er allein.

    Dann sind Benedikt und Georg Gänswein im Grünen zu sehen. Sie gehen auf gepflegten Kieswegen und unter Schatten spendenden Bäumen im Park spazieren. Das Mikro der Fernsehkamera fängt die leisen Stimmen der Spaziergänger ein: Sie unterhalten sich nicht, sondern beten beim Gehen konzentriert vor sich hin.

    Der US-amerikanische Fernsehsender Newsreports lieferte vor knapp zwei Jahren diese einmaligen Bilder des päpstliches Idylls in der Sommerresidenz Castel Gandolfo. Gestellte Bilder, die den Papst und seinen Sekretär in den Ferien zeigen.

    Die Sommerresidenz ist ein Paradies auf Erden: mit barocken Brunnen und geometrisch angelegten Gärten, mit einer schier unendlichen Vielzahl an Blumen, mit prächtigen Villen, einem Bauernhof, der den Papst und seine Mitarbeiter täglich mit frischem Obst, Gemüse und Eiern versorgt. Auch einen Swimmingpool gibt es und einen Tennisplatz. Das Gelände wird so streng bewacht, dass es bis jetzt noch keinen Paparazzo gelungen ist, auf das eine knappe Autostunde von Rom entfernte, rund 55 Hektar große Areal oberhalb des Nemi-Sees vorzudringen.

    Hinein darf man in die Sommerresidenz nur dann, wenn der anwesende Papst zur Ferien-Generalaudienz in den Innenhof des Palastes einlädt. Dann zeigt er sich am Fenster, spendet den Segen, teilt freundliche Worte aus und lässt sich bejubeln. Solche Audienzen allerdings wird es für den zurück getretenen Papst in Castel Gandolfo nicht mehr geben.

    Die Geschichte der sommerlichen Papstresidenz ist lang. Sie beginnt, wenn man es ganz genau nimmt, vor knapp 2000 Jahren. Unter den heutigen Gebäuden liegen die grandiosen Reste jener Kaiservilla, die sich Kaiser Domitian im ersten nachchristlichen Jahrhundert an dieser Stelle errichten ließ. Der Kaiser kam in der Regel hierher, um sich von der schlechten römischen Luft zu erholen. Nach dem Ende des römischen Reiches verfiel die Kaiservilla, Natur überwucherte die Ruinen.

    Die Ruinen gerieten in Vergessenheit, und auch als die Päpste sich den Ort für ihre Sommerresidenz erwählten, interessierte sich kaum jemand dafür – bis in die Gegenwart, weiß der Vatikanjournalist Sandro Magister:

    "Ich erinnere mich noch gut: Bis in die 60er-Jahre hinein war die Residenz in der Öffentlichkeit kein Thema. Dann, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, gelangte der Ort zum ersten Mal in die Medien. Die ersten Fotos der Villen und Gärten sorgten international für großes Aufsehen."

    Nicht ohne Grund. Auf dem Gelände der Residenz erheben sich gleich drei päpstliche Villen. Die barocke Villa Cybo, der Palazzo Barberini, wo sich die Reste eines antiken Theaters befinden, und der eigentliche Papstpalast, der vom Ortskern von Castel Gandolfo aus direkt zugänglich ist.

    Ursprünglich lebte auf dem Terrain der heutigen Papstvilla die adlige Familie Savelli. Es war Papst Klemenz VIII., der 1596 die auf den antiken Ruinen errichtete Adelsresidenz dieser Familie kurzerhand beschlagnahmte, um sie für sich zu nutzen. Urban VIII. ließ das Gebäude im frühen 17. Jahrhundert um- und ausbauen und legte die prächtigen Gärten an.

    1870 war es mit der päpstliche Ferienidylle vorbei. In Folge der italienischen Staatseinigung und dem Ende des Kirchenstaates zogen sich die Päpste in das selbst gewählte Exil in den Vatikan zurück. Mit der Papstresidenz in Castel Gandolfo ging es seither bergab. Die Gärten wurden nicht mehr gepflegt, die Villen verkamen, Kunstdiebe machten sich ans Werk.

    Erst mit den Lateranverträgen von 1929 wird das Gelände in Castel Gandolfo offiziell zu einem exterritorialen Besitz des Vatikans. Sofort kehrten die Päpste zurück – und mit ihnen Gärtner, Restaurateure, Maler, Köche, Dienstpersonal. Zwei Päpste blieben hier auch bis zu ihrem Tod. In der Sommerresidenz starben Pius XII., 1958, und Paul VI., 1978.

    Auch wenn die Päpste in ihrer Ferienvilla in der Regel sehr zurückgezogen lebten, zeigten sie sich, wenn es für das Städtchen Castel Gandolfo gefährlich wurde, sehr aufgeschlossen, berichtet der Historiker Valdo Carlini von der Universität Rom:

    "Das sogenannte Volk des Papststädtchens fand zum Ende des Zweiten Weltkriegs und während der innenpolitischen Unruhen in Folge der Besetzung Mittelitaliens durch die Deutschen Zuflucht in der Papstvilla. Mit der Verlegung der Kriegsfront in die Nähe Roms waren es schließlich circa 12.000 Menschen, die auf dem Gelände der Papstvilla Unterschlupf fanden. Durch geheime Passagen in den Mauern wurde der Kontakt zur Außenwelt aufrechterhalten."

    Auch in der heutigen Papstresidenz, dort, wo der Benedikt XVI. nach seinem Amtsverzicht bis Mai leben wird, wohnten Bürger aus Castel Gandolfo. Darunter zahlreiche Antifaschisten, die angesichts der deutschen Besatzer um ihr Leben fürchteten, doch in den Villen in relativer Sicherheit waren. Versorgt wurden die Flüchtlinge mit frischen Lebensmitteln vom päpstlichen Bauernhof. Die päpstliche Wohnung war in jener Zeit werdenden Müttern vorbehalten. Dort, wo Joseph Ratzinger Ferien machte und ab dem 28. Februar leben wird, wurden etwa 40 Kinder geboren.