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Rückzug von Rebecca Harms (Grüne)
"Es gibt eine zu starke Ja-aber-Haltung"

Nach sieben Jahren gibt Rebecca Harms ihren Posten als Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament auf. Im DLF begründete sie ihre Entscheidung damit, dass es ihr nicht gelungen sei, die Fraktion so "pro Europäische Union aufzustellen", wie dies in diesen Zeiten gefragt sei. Als Abgeordnete ohne Führungsrolle könne sie aus ihrer Sicht mehr bewegen.

Rebecca Harms im Gespräch mit Christine Heuer |
    Die Europapolitikerin Rebecca Harms von den Grünen am 14.01.2016 bei einer Pressekonferenz in Brüssel.
    Die Europapolitikerin Rebecca Harms gibt ihren Posten als Ko-Vorsitzende der Grünen auf. (imago stock&people)
    Christine Heuer: Und wir bleiben noch ein bisschen bei Europa, Rebecca Harms zieht sich nämlich aus der Fraktionsführung der europäischen Grünen zurück. Nach sieben Jahren will sie nicht mehr Ko-Fraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament sein, das wurde gestern Nachmittag bekannt, als Grund wurden dann Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fraktion genannt, und zwar in wichtigen Politikfeldern wie Flucht, Sicherheit oder dem Umgang mit Russland. Wir möchten das gerne ein bisschen genauer wissen, guten Tag, Rebecca Harms!
    Rebecca Harms: Guten Tag!
    Heuer: Wieso genau geben Sie Ihre Funktion auf?
    Harms: Es gibt ja Punkte, an denen man in der Politik auch mal bilanzieren muss, wo man selber hingekommen ist, welches der Einfluss ist, den ich mit unserer Fraktion nehmen kann. Und die Punkte, an denen ich im Moment bilanziere, sind die Entscheidung zum Brexit, davor war es, dass die Volksabstimmung in den Niederlanden zum Assoziierungsabkommen.
    Man kann auch die CETA-Debatte jetzt dazunehmen. Und, also, mein Eindruck ist eben, dass es mir nicht geglückt ist, die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten und dieser Auseinandersetzung gefragt ist. Also, selbst wenn es immer auch berechtigte, in jedem demokratischen System berechtigte Auseinandersetzung, berechtigte Kritik gibt, ich glaube, dass wir in einer Situation angelangt sind, in der wir alle eigentlich sehr genau wissen, dass die Europäische Union, wenn man es vergleicht mit dem Rest der Welt, einer - überhaupt der beste Platz ist für diejenigen, die demokratische Systeme schätzen. Und selbst bei Problemen, die wir kennen quer durch die Mitgliedsstaaten, sollten wir das erkennen in der grundlegenden Auseinandersetzung.
    Und diese positive - das positive Anerkennen des gemeinsam Erreichten, was man ja in der historischen Perspektive immer noch für ein Wunder halten muss, was hier geglückt ist, das, finde ich, das geht bei uns ein Stück weit zu viel verloren.
    Heuer: Ich finde das ein bisschen erstaunlich, Frau Harms. Nun stecken wir natürlich nicht jeden Tag wie Sie mittendrin in dem Brüsseler Geschehen, in Ihrer Fraktion, aber was Sie im Grunde sagen, ist, die europäischen Grünen sind eigentlich nicht europäisch genug?
    Harms: Ja, also, es gibt in meiner Erfahrung eine zu starke Ja-aber-Haltung oder wir sind für Europa, aber nicht für dieses. Also, ganz stark, aus dem Süden wird gespeist die Idee, dass Europa, die Europäische Union zum Opfer des Neoliberalismus ist, dass globale Konzerne übernehmen. Also, wer sich die Diskussion zum Beispiel um CETA anguckt, der kann sich ja schon Gedanken darüber machen, was läuft da falsch für die Landwirtschaftspolitik, aber die Behauptung, dass die Verhandlungsführer insgesamt Europa undemokratischer machen wollten, diese Behauptung habe ich nie geteilt. Und trotzdem ist die sehr dominant geworden.
    Heuer: Ja. Also, machen wir es ganz konkret, heute Morgen hat Ihre Fraktionskollegin Ska Keller uns im Deutschlandfunk auch ein Interview gegeben zu CETA und dabei war eine Kernaussage: Im Grunde freut sie sich, dass das gescheitert ist. So etwas halten Sie also dann genau für den falschen Weg?
    Harms: Also, diejenigen, die CETA eben für eine grundsätzliche Bedrohung unseres demokratischen Systems halten und in vielen einzelnen Bereichen schwerwiegende Bedenken haben, die können jetzt so reagieren. Aber tatsächlich ist ja - gibt es eine übergeordnete Ebene und die heißt: Wie funktioniert die Europäische Union? Vor einigen Wochen haben wir gefeiert mit Ban Ki Moon die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens in einem ungewöhnlichen Prozess, da war auch zu befürchten, dass zum Beispiel Polen oder andere Länder sagen, nee, wir wollen das so nicht. Da hätte sich keiner bei den europäischen Grünen gefreut.
    "Es wird nicht erkannt, was es zu verteidigen gilt"
    Heuer: Also sind Sie für mehr Realpolitik, das Machbare, um die EU auch zusammenzuhalten?
    Harms: Also, ich bin vor allen Dingen dafür, immer noch mal zu gucken, was eigentlich die Alternativen wären. Und ich habe den Eindruck, dass manchmal Politik so gestaltet wird, Auseinandersetzung so gestaltet wird, dass man das, was die Europäische Union tatsächlich erreicht hat, nämlich Frieden, Stabilität, Sicherheit, Demokratie für immer mehr Menschen auf dem Kontinent, auch relativen Wohlstand, dass das gar nicht mehr gesehen wird und dass selbst in der neuen Auseinandersetzung mit Russland, in der Wiederkehr des Krieges auf dem Kontinent, nicht erkannt wird, was es zu verteidigen gilt.
    Heuer: Sind Sie, wenn Sie jetzt aus dieser wichtigen Funktion ausscheiden – Sie bleiben ja im Europaparlament Abgeordnete –, sind Sie da auch ein bisschen resigniert oder verbittert? Mit welchen Gefühlen gehen Sie da raus?
    Harms: Also, ich habe eher bilanziert, was ich in der Führungsposition machen kann und was ich als gewählte Abgeordnete machen kann. Und ich glaube, dass ich mit meiner grundsätzlichen Haltung dann als Abgeordnete und ohne diese permanente Aufgabe nach der Kompromisssuche und Moderation mehr machen kann. Gerade auch für diese grundsätzliche Verteidigung des Erreichten in der Europäischen Union.
    "Es hat in unserer Fraktion eine politische Verschiebung gegeben"
    Heuer: Frau Harms, noch eine Frage zum Schluss, ich stelle die nicht so wirklich gerne, aber es ist ja auf dem Markt, dass Ihre Nachfolgerin möglicherweise Ska Keller werden soll, über die wir schon gesprochen haben. So, wie ich unser Gespräch jetzt bilanziere, können Sie das eigentlich nicht für die beste Wahl halten.
    Harms: Also, die Wahl findet in der Fraktion statt. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich glaube, dass in dieser Fraktion auch im Vergleich zu der Fraktion, die ich in der letzten Legislatur mitgeführt habe, es tatsächlich eine politische Verschiebung gegeben hat.
    Heuer: Gut, das ist eine Antwort. Rebecca Harms, noch Ko-Vorsitzende der Grünenfraktion im Europaparlament, die uns ihre Gründe genannt hat, warum sie aus dieser Funktion ausscheiden möchte. Frau Harms, danke schön!
    Harms: Auf Wiederhören!
    Heuer: Einen guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.